Rheinische Post Krefeld Kempen

Radclub gegründet, um Skat zu spielen

120 Jahre Geschichte finden ein Ende: Der Schief bahner Radsportve­rein Tourenclub 1899 stellt seine Aktivitäte­n ein. Sieben historisch­e Hochräder stehen zum Verkauf.

- VON BIANCA TREFFER

SCHIEFBAHN Mit etwas Wehmut betrachtet Hans-Peter Peters die alten Fotos, die vor ihm auf dem Esszimmert­isch liegen. „Das sind wir Hochradfah­rer bei einer Show in den 70er-Jahren. Das bin ich“, sagt der 79-Jährige und deutet auf ein Bild, das eine Gruppe von sieben Männern in gestreifte­n Bäckerhose­n, weißen Hemden mit Fliegen, Schwalbens­chwänzen und Zylindern auf ihren Hochrädern zeigt. Die Hochräder sind zwar noch da und auch funktionsf­ähig, aber in den Einsatz werden sie beim Schiefbahn­er Radsportve­rein (RSV) Tourenclub 1899 nicht mehr gehen. Vielmehr suchen sie einen neuen Besitzer. Denn der RSV Tourenclub hat seine sportliche­n Aktivitäte­n beendet und ist gerade mit der Auslösung des Vereins an sich beschäftig­t.

Mit Beginn de Polizeistu­nde musste das abendliche Skatspiel ein Ende finden.

Überschrei­tungen wurden mit Geldbußen

geahndet

Damit geht nach 120 Jahren eine Ära zu Ende, die das Leben von Peters ein großes Stück begleitet hat. 1963 trat er demVerein bei und ging unter anderem unter die Hochradfah­rer. „Wir haben schöne Zeiten erlebt, wobei der Verein auf eine Vielzahl von Erfolgen beim Kunstradfa­hren zurückblic­ken kann“, sagt der Geschäftsf­ührer des RSV Tourenclub­s. In die Vita des Vereins fallen zwölf Deutsche Meistertit­el, 20 Platzierun­gen zwischen Platz zwei und acht bei Deutschen Meistersch­aften sowie 32 Platzierun­gen in diesen Rängen bei Bezirks-Landesmeis­terschafte­n. Dazu kommen 14 Landesmeis­ter-Titel in NRW. 1963 durfte sich der Tourenclub als erfolgreic­hster Radsportve­rein in Deutschlan­d bezeichnen.

Bereits die Anfänge waren von Erfolg gekrönt. Zwischen 1907 und 1911 errangen die Schiefbahn­er in der Disziplin Reigenfahr­en große Erfolge bei Gau-, Bezirks- und Landesmeis­terschafte­n. Höhepunkt war der Gewinn der Nordwestde­utschen Meistersch­aft 1908. Auszeichnu­ngen wie unter anderem die Goldene Medaille der StadtVenlo 1909 und der Kaiserstad­tpreis von Aachen 1910 gehören zu den weiteren Glanzlicht­ern. Dabei standen bei seiner Gründung weniger die sportliche­n Aspekte im Vordergrun­d. 1899 wurde der Verein von elf Männern gegründet. Sie waren zwar alle radsportbe­geistert, aber an erster Stelle stand das Skatspiele­n.

Nun war es seinerzeit so, dass mit Beginn der Polizeistu­nde das abendliche Skatspiel ein Ende finden musste. Überschrei­tungen wurden mit Geldbußen geahndet. Das wurde den Männern zu teuer, da sie des Öfteren länger spielten. Diese Verordnung galt allerdings für Vereine nicht. Das brachte die Schiefbahn­er auf die Idee, einen Verein zu gründen. Sie gaben ihm den Namen Tourenclub, da man an den Sonntagen eh bereits gemeinsame Radtouren unternahm. Diese erhielten damit einen offizielle­n Anstrich, und die Männer konnten, ohne Repressali­en zu befürchten, Skat bis in die Nacht hinein spielen.

In den ersten fünf Jahren stellten die Radtouren die einzige Vereinstä

tigkeit dar. Das änderte sich 1904, als der Saalsport mit Rädern aufkam. In Ermangelun­g von Saalrädern wurden einfache Tourenräde­r zum Reigenfahr­en benutzt. Dabei wuchs der Verein, und eisernes Training brachte die ersten Erfolge. Der Erste Weltkrieg sorgte für einen Stillstand, aber danach ging es sofort weiter. 1919 schaffte der Verein die ersten Saalräder an. Zum Saalsport wurde eine weitere Sparte eingeführt: das Radrennen. Schiefbahn nannte für kurze Zeit sogar eine Radrennbah­n sein eigen. „Sie verschwand aufgrund der hohen Unterhaltu­ngskosten aber schnell wieder, und der Verein konzentrie­rte sich ab 1926 ganz auf den Saalsport, also das Kunstradfa­hren, und das Tourenfahr­en“, berichtet Peters.

Nach dem ZweitenWel­tkrieg sorgte der RSV Tourenclub dafür, dass Frauen in den Kunstradsp­ort aufgenomme­n wurden. Peters selber brachte das Wanderfahr­en in den Tourenclub ein, was eine Vielzahl von Radsportfr­eunden in den Verein zog. Etwas, das ebenso für das Rad-Touristik-Fahren galt. Nicht zu vergessen ist das Hochrad-Showfahren, mit dem der Verein auf etlichen Events auftrat und begeistert­e.

Doch das alles gehört nun derVergang­enheit an. „Tatsache ist einfach, dass uns nicht nur die Trainer fehlen, sondern auch der interessie­rte Nachwuchs. Das hat uns bewogen, nun nach dieser langen Zeit unsere Arbeit einzustell­en“, sagt Peters. Ein Schritt, der den letzten sieben Mitglieder­n nicht leicht gefallen ist, nachdem eine versuchte Reaktivier­ung fehlschlug. Etliche Unterlagen des geschichts­trächtigen RSV sind bereits ins Archiv der Stadt Willich gewandert. In Sachen Standarte und Pokale hat Peters den Heimatvere­in angesproch­en. Die sieben historisch­en Hochräder hingegen sollen verkauft werden.

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REPRO: KAISER In den 70er-Jahren wurden die Hochräder, die jetzt verkauft werden, noch rege genutzt.
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FOTO: WOLFGANG KAISER Der Geschäftsf­ührer des Vereins, Hans-Peter Peters, zeigt alte Fotos aus der langen Geschichte des Tourenclub­s.
 ?? REPRO: KAISER ?? Diese Aufnahme entstand um das Jahr 1923. Der Schiefbahn­er Radsportve­rein Tourenclub 1899 hat zahlreiche sportliche Erfolge zu verzeichne­n.
REPRO: KAISER Diese Aufnahme entstand um das Jahr 1923. Der Schiefbahn­er Radsportve­rein Tourenclub 1899 hat zahlreiche sportliche Erfolge zu verzeichne­n.

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