Rheinische Post Krefeld Kempen
Am Anfang war die Dampfmaschine
Vor 200 Jahren starb James Watt. Dem Schotten verdankt die Welt die wichtigste Erfindung des Industriezeitalters. Sie machte ihn schon zu Lebzeiten berühmt. Doch beinahe wäre der Erfinder gescheitert.
1763/1764 hatte Watt mit Dampfmaschinen eigentlich nichts am Hut. Nach seiner wegweisenden Erfindung wurde die verbesserte Maschine aber zum Lebensinhalt des begabten Mechanikers.Der brachte sich die dafür notwendige Mathematik und Physik selbst bei und verband sein mechanisches Ausnahmetalent mit naturwissenschaftlicher Präzision. Selten waren Theorie und Praxis so wirkungsvoll kombiniert. In einer Zeit, in der viele Talente sich mit neuen Maschinen und Erfindungen hervortaten, blieb diese Verbindung doch einzigartig und machte Watt zu einem der bedeutendsten Erfinder der Neuzeit.
Geradlinig verlief sein Weg jedoch nicht. Schnell waren seine Ersparnisse aufgebraucht. Und sein Geldgeber, der Arzt und weltläufige Unternehmer John Roebuck, machte nach Anfangserfolgen im Bergbau pleite. Trotz Anfeindungen und Verleumdungen gelang es Watt, im Januar 1769 ein Patent für seine Dampfmaschine zu erwerben. Im Birminghamer Geschäftsmann Matthew Boulton fand er einen zweiten Finanzier. Mit ihm und der neuen Fertigung in der Gemeinde Soho bei Birmingham stellte sich dann auch nach etlichen finanziellen Rückschlägen und brenzligen Situationen der wirtschaftliche Erfolg der neuen Erfindung ein. Mit 64 zog sich der Erfinder aus der Firmenleitung zugunsten seines Sohnes James Watt jr. zurück.
Den Anfang des Siegeszuges der Dampfmaschine erlebte der Schotte noch. Seine Fabrik in Soho wurde zum beliebten Ziel der Fortschrittsgläubigen, aber auch der Mächtigen der Welt, insbesondere aus Großbritannien. Die hatten allen Grund dazu, denn die Dampfmaschine verlieh der aufstrebenden Weltmacht jenen Vorsprung in der Industrialisierung, um die sie die ganze Welt beneidete. Dank der Erfindung Watts wurden neue Gruben abgeteuft, mehr Kohle gewonnen, die Energie in neue Industrieanlagen gesteckt, die wiederum neue Produkte und Prozessinnovationen hervorbrachten. Schon bald zahlten die britischen Unternehmen die höchsten Löhne der Welt. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wuchsen die Gehälter in Großbritannien um 70 Prozent. Die Industrieproduktion legte zwischen 1780 und 1880 um jährlich drei Prozent zu, nachdem sie im Jahrhundert zuvor um maximal ein Prozent pro Jahr angewachsen war. Die Dampfmaschine brachte über den Ausbau der Eisenbahn wie sonst nur das Telefon die Menschen zueinander. Die erste Globalisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm Gestalt an und stand noch ganz im Zeichen der Dampfmaschine.
Am Ende konnten die Menschen in Westeuropa und den USA ihr Pro-Kopf-Einkommen in nur zwei Jahrhunderten um fast das 20-Fache steigern. Die Industrieländer ließen Massenarmut, Unterernährung und Wohnungsnot hinter sich – obwohl ich im gleichen Zeitraum auch die Bevölkerung vervielfachte.
Doch es gibt auch eine Kehrseite der Industrialisierung, die mit der Dampfmaschine einher ging. Die ErfindungWatts brachte den Durchbruch des Energieträgers Kohle, der später durch den gleichfalls fossilen Rohstoff Öl ersetzt wurde. Der Mensch wurde dadurch unabhängig von den natürlichen Energiequellen Wind und Wasser. Das erlaubte sowohl Bevölkerungswachstum wie Wohlstandsvermehrung.
Zugleich veränderte der Mensch zum ersten Mal fundamental seine Umwelt. Durch den sauren Regen der Kraftwerke starben Wälder, durch die Einleitung der Rückstände verdreckten Flüsse. Die Umwandlung fossiler Brennstoffe in Wärme und Kohlendioxid schuf eine neue Zusammensetzung der Atmosphäre. Bereits in den 60er Jahren erkannten Wissenschaftler, dass die Industrialisierung das Weltklima erwärmte. Vermutlich hat sich der geniale Schotte diesen Effekt nicht vorstellen können.
Die Emanzipation des Menschen von der Natur hat die Erfindung Watts eingeleitet. Sie war ein Meilenstein auch für weitere Schritte wie der Agrarrevolution durch neue Züchtungen und Kunstdünger, wie der Entwicklung der modernen Medizin und Pharmazie, wie der Computertechnologie, derenVernetzung sowie der Möglichkeit, über Gentechnik sogar das Leben selbst zu verändern.
James Watt war einer der Ausprägungen dieses Prometheus, der die Menschheit auf eine neue Stufe gehoben hat. Nicht schlecht für einen lange Zeit kaum beachteten Mechaniker. Doch die Industrialisierung bot solchen Menschen eine Chance – wie heute die Informationsgesellschaft Menschen wie dem Microsoft-Gründer Bill Gates, dem Apple-Erfinder Steven Jobs oder dem Amazon-Helden Jeff Bezos eine Chance geboten hat.