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Empörung über Johnson-Pläne

Der Vorschlag des Premiermin­isters sorgt für heftigen Unmut im Unterhaus. Es ist mehrheitli­ch gegen einen EU-Austritt ohne Abkommen, den Johnson notfalls wagen möchte.

- VON SEBASTIAN BORGER

LONDON Im Brexit-Poker zwischen Regierung und Parlament hat Boris Johnson den Einsatz erhöht. Mit Verweis auf seine Pläne für Reformen im Gesundheit­swesen, Schulen und der Kriminalit­ätsbekämpf­ung kündigte der Regierungs­chef eine fünfwöchig­e Zwangsschl­iessung des Unterhause­s sowie eine neue Regierungs­erklärung für Mitte Oktober an. InWirklich­keit wolle der Premiermin­ister die Brexit-Debatte abwürgen, sagten Abgeordnet­e der Opposition sowie aus Johnsons Fraktion. Es handele sich um einen Verfassung­sverstoss, sagte der Parlaments­präsident, Speaker John Bercow.

Woraus besteht Johnsons Initiative?

Eigentlich gehört eine von der Regierung angeordnet­e, formal aber bei der Queen beantragte Zwangspaus­e des Parlaments zur Normalität auf der Insel. Die sogenannte Prorogatio­n schließt eine Parlaments­ession ab, die durchschni­ttlich ein Kalenderja­hr lang dauert. Die darauf folgende Periode eröffnet Königin Elizabeth II, indem sie das neue Regierungs­programm (Queen’s Speech) verliest. In einem Brief an alle 650 Abgeordnet­en des Unterhause­s verwies der Premier darauf, dass die derzeitige Session nach der letzten Wahl im Juni 2017 begann und bereits 340 Sitzungsta­ge währt, so lange wie keine andere seit mehr als 350 Jahren. Mit seiner „neuen“Regierung habe er das Recht, dem Parlament und dem Land sein „fantastisc­hes“Programm vorzustell­en, argumentie­rte Johnson. Nach der Queen’s Speech, die für den 14. Oktober geplant ist, sei reichlich Gelegenhei­t zur Prüfung seiner Brexit-Politik. Ausdrückli­ch nahm der Regierungs­chef Bezug auf den EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober, von dem er sich eine neue Austrittsv­ereinbarun­g erhofft. Dem Parlament bleibe dann immer noch Zeit, den neuenVertr­ag zu verabschie­den. Auf jeden Fall werde die Insel am 31. Oktober aus dem Brüsseler Club ausscheide­n, notfalls auch ohneVertra­g.

Wie reagiert die Opposition?

Es sei „vollkommen klar, dass eine Diskussion über den Brexit verhindert werden solle“, betonte Speaker Bercow. Die schottisch­e Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon sprach vom „Tag, an dem unsere Demokratie verstarb“. Eine „Kriegserkl­ärung“ans Parlament sah der Liberaldem­okrat Tom Brake, ein „verfassung­srechtlich­es Verbrechen“konstatier­te der Konservati­ve Philip Hammond, der bis Juli Finanzmini­ster war. Sein Kollege vom liberal-konservati­ven Flügel der Regierungs­partei Dominic Grieve glaubt, ein Misstrauen­svotum gegen Johnson schon kommende Woche sei wieder wahrschein­licher geworden. Dieser Weg war erst am Dienstag bei einem Treffen aller Opposition­sfraktione­n verworfen worden. Stattdesse­n werde man sich auf ein Gesetz konzentrie­ren, das den No Deal illegal machen würde, beschloss die Versammlun­g, die auf Einladung von Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn zusammenge­kommen war.

Wie können Parlamenta­rier Johnsons Plan vereiteln?

Die No-Deal-Gegner stehen unter Zugzwang. Nach bisheriger Planung tagt das Unterhaus nach der Sommerpaus­e ab Dienstag lediglich zwei Wochen, ehe die Session erneut für dreiWochen zugunsten der Parteitage von Torys, Labour und Liberaldem­okraten unterbroch­en wird. Eine bereits diskutiert­e Absage dieser Unterbrech­ung müsste mehrheitli­ch im Parlament beschlosse­n werden; die Aussichten stehen schlecht, weil die Parteien kein Interesse daran haben, ihre lukrativen Jahrestref­fen zu verkürzen oder ganz abzusagen. Mehr als 70 Angehörige des Ober- und Unterhause­s gehen den Gerichtswe­g: Am 6. September berät das Sessionsge­richt in Edinburgh über ihren Antrag, die Prorogatio­n für ungesetzli­ch zu erklären. Das oberste schottisch­e Gericht hatte bereits Johnsons Vorgängerr­egierung unter Theresa May Zügel angelegt, als es um den No Deal zum angepeilte­n Termin im vergangene­n März ging

Könnte die Queen dem Parlaments­urlaub ihre Genehmigun­g verweigern?

Theoretisc­h hätte es in ihrer Macht gelegen, den Antrag abzulehnen. Doch das wäre ein Bruch jahrhunder­tealter Konvention­en gewesen und undenkbar. Die britischen Monarchen halten sich seit langer Zeit strikt aus allen politische­n Auseinande­rsetzungen heraus. Es ist daher nicht überrasche­nd, dass die Queen dem Antrag zugestimmt hat. Die Monarchin dürfte sich aber durchaus bewusst sein, wie heikel die Parlaments­schließung zu diesem Zeitpunkt ist. (

mit dpa)

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FOTO: AFP Großbritan­niens Regierungs­chef Boris Johnson will das Parlament kurz vor dem geplanten EU-Austritt lahmlegen. Theoretisc­h liegt es in der Macht der Queen, den Antrag der Regierung abzulehnen.

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