Rheinische Post Krefeld Kempen
Wie Russland die Türkei in Syrien vorführt
Wladimir Putin will die Türkei aus der Nato brechen und zugleich die russische Position im Nahen Osten ausbauen. Beides ist Russlands Präsidenten schon mindestens teilweise gelungen.
ISTANBUL (sei) Russland baut zugleich seinen Einfluss in Syrien und auf das Nato-Land Türkei aus. Beim Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Moskau äußerte Kremlchef Wladimir Putin am Dienstag zwar Verständnis für die Sorgen der Türkei wegen der von Russland unterstützten syrischen Regierungsoffensive in der Provinz Idlib. Dennoch gingen die Gefechte in Idlib am Mittwoch weiter. Gleichzeitig begannen Gespräche über den möglichen Verkauf russischer Kampfjets an die Türkei. Russlands verfolgt im Syrien-Konflikt drei wichtige strategische Ziele, und die Türkei ist dabei nur Statist.
Die Moskauer Begegnung von Putin und Erdogan kurz vor dem nächsten Syrien-Gipfel von Russland, Türkei und Iran am 16. September demonstrierte dieVormachtstellung Moskaus. Der Kriegseintritt in Syrien an der Seite von Präsident Baschar al Assad im Jahr 2015 hat Russland zum wichtigsten ausländischen Akteur in dem Konflikt gemacht. Moskau profitierte von der Schwäche des Westens. Syrien, im Kalten Krieg ein Verbündeter der Sowjetunion, ist für Russland strategisch wichtig: Der syrische Hafen Tartus ist Standort des einzigen russischen Flottenstützpunkts am Mittelmeer. Russland präsentiert sich in Nahost als Militärmacht, auf die Verlass ist – im Gegensatz zu den USA, die nach dem blutigen Chaos im Gefolge des Irak-Krieges mit dem Rückzug aus der Region begannen.
Regierungen in der Region haben die Zeichen der Zeit erkannt. Der saudische König Salman, Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al Sisi und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gehörten in den vergangenen Jahren zu Putins Gästen in Moskau. Russland mischt auch in Konflikten wie dem in Libyen mit.
Verbunden mit dem Streben nach einer größeren Rolle im Nahen Osten ist der Versuch des Kreml, den Einfluss der USA zu begrenzen. In Syrien unterstützt Putin das Ziel von Assad, jene Landesteile im Osten zurück zu gewinnen, die derzeit von den USA und ihren kurdischen Verbündeten kontrolliert werden. Der Kreml begrüßte deshalb Trumps Ankündigung eines US-Truppenrückzuges aus Syrien. Auch bei der Suche nach einer politischen Lösung für Syrien steht Russland im Mittelpunkt und Amerika abseits. Mit der Türkei und dem Iran will Russland im „Astana-Prozess“eine Verfassungskommission für Syrien zusammenstellen.
Außerhalb Syriens geht die wachsende Rolle Russlands in der Region mit einem Einflussverlust der USA einher. Selbst US-Verbündete im Nahen Osten wollten nicht mehr alles auf die amerikanische Karte setzen, analysiert das US-Magazin„The National Interest“.
Deutlich wird die neue russische Stärke im Nahen Osten auch am Beispiel der Türkei. Putins Einfluss auf Erdogan kommt nicht zuletzt daher, dass die Türkei der US-Politik in Syrien misstraut:Washington kooperiert mit der Kurdenmiliz YPG, dem syrischen Ableger der kurdischen Terrororganisation PKK. Dagegen bot Russland denTürken im„Astana-Prozess“die Gelegenheit zur Mitgestaltung einer syrischen Nachkriegsordnung.
Erdogans Möglichkeiten, auf Putin einzuwirken, sind gering. Entgegen einer Abmachung zur Stabilisierung von Idlib aus dem vergangenen Jahr rückt die syrische Armee mit russischer Hilfe in der Provinz vor. Die Türkei befürchtet eine neue Fluchtwelle. Bei Erdogans Besuch in Moskau sprach Putin nun zwar von „legitimen Interessen“der Türkei und „gemeinsamen Schritten“, um die Lage zu beruhigen. Doch nur einen Tag später begannen neue Luftangriffe in der Nähe eines türkischen Militärpostens in Idlib.
Das Zerwürfnis in den türkisch-amerikanischen Beziehungen lässt dasVerhältnis zwischen Ankara und Moskau auch im militärischen Bereich aufblühen. Nach seiner Entscheidung zum Kauf des russischen Luftabwehrsystems S-400 zeigt Erdogan jetzt auch Interesse an russischen Kampfjets. Gesprochen wird nach russischen Angaben über eine mögliche Lieferung von Flugzeugen der Typen Su-57 und Su-35 an das Nato-Mitglied. Die Türkei braucht neue Kampfflugzeuge – denn wegen des S-400-Kaufs ist sie aus dem amerikanischen Kampfjet-Projekt F-35 ausgeschlossen worden.