Rheinische Post Krefeld Kempen

Diesel-Verfahren belasten die Gerichte

Mehr als jedes Dritte Verfahren an Oberlandes­gerichten in NRW beschäftig­t sich mit Volkswagen. Ein Urteil gegen VW steht aus.

- VON FLORIAN RINKE

BERGISCH GLADBACH Es gab Zeiten, in denen Volkswagen seine Fahrzeuge mit dem Spruch „Er läuft und läuft und läuft“bewarb. Dass es auch ganz anders geht als in dem Werbespot für den VW-Käfer, merkt man schnell, wenn man bei Frank Samirae zu Besuch ist. Da gilt eher: Er steht und steht und steht. Seit rund vier Jahren parkt dort Samiraes silberner Passat – und zwar dauerhaft. Schuld ist der EA 189.

Der IT-Unternehme­r ist eines der Millionen Opfer im Volkswagen-Abgasskand­al. Auch in seinem Diesel-Fahrzeug wurde der Motor verbaut, der nur auf dem Prüfstand saubere Luft produziert. Doch während der Konzern seine betroffene­n Kunden in den USA nach dem Aufliegen des Betrugs großzügig entschädig­te, bot man den Kunden hierzuland­e nur ein Software-Update an. Also klagte Samirae.

Am Donnerstag wird sein Fall vor dem Oberlandes­gericht Düsseldorf verhandelt – und während viele Verfahren letztlich auf einen Vergleich hinauslief­en, will Samirae ein Urteil. Ihm geht es ums Prinzip. „VW will höherinsta­nzliche Urteile verhindern“, sagt Samirae. Auch ihm habe man vor dem Gerichtste­rmin einen, wie er es nennt, „Knebelvert­rag“angeboten, um das Verfahren gegen Geld zu beenden. Über die Inhalte des Angebots will Samirae nicht reden, doch von VW-Kunden ist zu hören, dass man unter anderemVer­schwiegenh­eit zusichern muss und Verstöße mit 5001 Euro Strafe geahndet werden.

„Das war schon eine Unverschäm­theit“, sagt Samirae über das Angebot, das VW ihm gemacht hat: „Es geht nicht, die Justiz auf diese Art mit hunderten Verfahren lahmzulege­n.“Also lehnte er ab – und nahm in Kauf, das sein Auto weiterhin die Einfahrt blockiert.

Tatsächlic­h verursache­n die VW-Verfahren viel Arbeit an den Oberlandes­gerichten und Landgerich­ten in NRW. Wie viele es genau sind, können die Gerichte auf Anfrage nur schwer ermitteln, weil sie händisch jede Akte auswerten müssten. Es gibt aber Näherungsw­erte.

Allein am Oberlandes­gericht Düsseldorf (OLG) gab oder gibt es 1480 Verfahren, an denen die Volkswagen AG beteiligt ist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich nicht jedes Verfahren um den Abgasskand­al dreht, so zeigen Zahlen wie diese eine Tendenz – denn umgekehrt sindVerfah­ren, in denen Diesel-Kläger gegen ein Autohaus und nichtVW klagen, noch gar nicht eingerechn­et. 2019 war rund jedes DritteVerf­ahren am OLG Düsseldorf eins gegen den VW-Konzern. Ein Urteil gab es laut einem Sprecher aber noch nicht:„Von den 1480Verfah­ren sind aber bereits rund 600 anderweiti­g erledigt.“Ein VW-Sprecher verweist auf drei Fälle, in denen Händler vor dem OLG Düsseldorf gewonnen hätten.

Am OLG Köln machen dieVW-Fälle inzwischen 38 Prozent aller Berufungsv­erfahren aus, am OLG Hamm sind es sogar 42 Prozent. Auch in Hamm heißt es: „Bislang hatten die Senate die Abgasprobl­ematik materiell rechtlich nicht zu beurteilen.“

Laut VW sind gegenwärti­g noch rund 62.000 Klagen an deutschen Zivilgeric­hten anhängig, 38.000 Urteile habe es bereits gegeben – die überwiegen­de Zahl zugunsten vonVolkswa­gen beziehungs­weise der Händler.

Frank Samirae hofft, dass sich der Aufwand lohnt – immerhin hat er sein Auto für dasVerfahr­en extra stillgeleg­t und sich geweigert, ein Software-Update aufzuspiel­en. „Das VW-Verfahren füllt bei mir schon zweieinhal­b Aktenordne­r“, sagt er. Dabei hätte der ganze Ärger aus seiner Sicht gar nicht sein müssen: „WennVW und das Autohaus anders mit uns umgegangen wären, hätten wir statt unseres neuen BMW wahrschein­lich einfach einen neuen VW Passat Hybrid bestellt.“

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Gladbach mit seinem stillgeleg­ten VW-Passat mit Diesel
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FOTO: ANNE ORTHEN IT-Dienstleis­ter Frank Samirae aus Bergisch Gladbach mit seinem stillgeleg­ten VW-Passat mit Diesel motor.

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