Rheinische Post Krefeld Kempen
So spricht der Niederrhein
Eine gewitzte Kampagne der Niederrhein Tourismus GmbH zeigt auf Facebook, wie man auf dem platten Land spricht. Die Optik erinnert an den Duden. Die Idee weckt auf intelligente Weise Freude am Plattdeutschen. Klar wird auch: Nicht jedes Wort gilt überall.
KREIS WESEL Man sagt sagt nicht überall am Niederrhein „ebkes“, aber wer das Wort hört und sich diesem Landstrich zugehörig fühlt, der weiß, was gemeint ist: „ebkes“steht für eben. „Ich bin mal ebkes zum Bäcker“sagt man, wenn man für fünf Minuten den Arbeitsplatz verlässt, um nebenan ein Brötchen zu kaufen.Wer am Niederrhein lebt, der weiß: „Ebkes“ist auf keinen Fall mehr als ein paar Minuten, wobei die Zahl der Minuten nicht genau definiert ist; jeder aber weiß, wann der Kollege wiederkommt. Man könnte auch sagen: „Ich bin mal für fünf Minuten beim Bäcker.“Wäre dann aber nur halb so schön.
Mit einer Facebook-Kampagne versucht die Niederrhein Tourismus GmbH seit einiger Zeit an die Sprachschätze des Niederrheins zu erinnern. „Ebkes“ist eines der Wörter in dieser Kampagne. Regelmäßig wird auf der Facebook-Seite von „Lieblingsplatz Niederrhein“an ein plattdeutsches Wort erinnert, dem wie im Duden jeweils die Wortart, Worttrennung, Verwendung und ein Beispielsatz zugeordnet sind. Umgesetzt wurde die Kampagne von der Agentur Dokument 1 aus Uedem. Die zahlreichen Reaktionen der Facebooknutzer zeigen: Die Idee findet viel Gefallen, unter den Facebook-Einträgen findet oft ein reger Dialog statt. Auf clevere Weise zeigt die Kampagne, wie man Spuren des Plattdeutschen in die Online-Jetztzeit hieven kann. „Wir sind selbst überrascht von den Reaktionen, teilweise hatten wir eine Reichweite von bis zu 30.000 Facebooknutzern“, sagt Björn Mende von der Agentur Dokument 1. Das liege auch daran, dass unter denWortbeiträgen rege über die Wörter debattiert worden sei. Denn selbst in einer so überschaubaren Region wie dem Niederrhein kennt man nicht jede Bedeutung eines Wortes überall.
Landauf, landab beklagen die Sprachforscher das Verschwinden der Dialekte. Früher beherrschten auch junge Leute auf dem Land noch das Plattdeutsch, weil die Alten so sprachen. Staunend saß man als junger Mensch bei Opa im Wohnzimmer und hörte zu, wie sich Menschen in einer Sprache unterhielten, die keinesfalls nach Hochdeutsch klang, die aber immer wieder Rudimente an Verständlichem enthielten. So verstehen viele heute 40- bis 50-Jährige immerhin noch niederrheinisches Platt. Jüngere Generationen allerdings können kaum noch etwas damit anfangen. Mit der neuen Kampagne wird spielerisch an die Bedeutung mancher Wörter erinnert.
Dass Deutsch nicht gleich Deutsch und Platt nicht gleich Platt ist, weiß man am Niederrhein. Den allgemeingültigen wissenschaftlichen Beweis für die Vielfalt einer Sprache hat der viel zu früh verstorbene Duisburger Sprachwissenschaftler Ulrich Ammon (†2019) erbracht. Er war einer derWegbereiter der Soziolinguistik und entwickelte mit Studenten unter anderem ein Variantenbuch der deutschen Sprache. Darin ist die Vielfalt dokumentiert, die es für Begriffe in deutscher Sprache gibt. Am Niederrhein, im Dreieck zwischen Emmerich, Mönchengladbach und Düsseldorf, spricht man den niederfränkischen Dialekt. Vielerorts verwendet man dafür den Begriff „Platt“, was nicht zwingend als Hinweis auf das flache Land verstanden werden soll. „Platt“bedeute im Niederfränkischen sowohl „flach“als auch „klar und deutlich“. Das charakterisiert den Dialekt ganz gut, denn natürlich klingt manchesWort konfrontativ, direkt, unmittelbar. In einem Begriff wie„verrammsacken“schwingt auch für den nichtsahnenden Hörer schon mit, dass etwas ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Sprache ist im Fluss,Worte verändern sich. Die Auswahl der Begriffe auf der Seite von Niederrhein Tourismus erfolgte durch eine subjektive Auswahl einiger Niederrheiner. Aber auch Begriffe aus dem Wörterbruch von Niederrhein-Sprachpapst Georg Cornelissen vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) flossen ein. Der LVR versucht sich seit Langem als Hüter des Plattdeutschen. Das wird auch in einem Projekt wie dem LVR-Mitmachwörterbuch deutlich. In einer Internetdatenbank hat der LVR Wörter aus dem Rheinland gesammelt. Hier findet man gesprochene Sprache vom Niederrhein: Das Wort „Prötterkiste“für altes langsames Auto etwa („Wennze mit knapp zwanzich die Landstraße lang prötters, träumze vom richtigen Auto statt sonne olle Prötterkiste).
Dass Niederrheinisch nicht gleich Niederrheinisch ist, lässt sich hören, aber ist auch von der Wissenschaft erforscht. In der Germanistik spricht man von der Uerdinger Linie, die auch durch Duisburg-Mündelheim geht. Es ist die „ik/ich“-Linie: Nördlich spricht man „Ik“am Ende mit hartem K, südlich davon spricht man es eher aus wie „Isch“oder „Esch“. Köln ist nicht nicht weit. Die Uerdinger Linie trennt das Nordniederfränkische vom Südniederfränkischen, beides Dialekte des Niederrheins, der am Norden in den Kreisen Wesel und Kleve eng mit dem Niederländischen korrespondiert.
Richtig schön werden alle diese Wörter der Facebookkampagne also erst, wenn man sie ausspricht, wenn man sie als Kommunikationsmittel verwendet.
Insofern ist die Kampagne auch eine Einladung, mal wieder Niederrheinisch zu sprechen. Wer zwanglos mal „datt“anstatt „das“sagt, der muss nicht zwingend wie ein Landei wirken. Manchmal klingt ein hübsches „datt“viel schöner.
Glauben se misch datt mal!