Rheinische Post Krefeld Kempen

So spricht der Niederrhei­n

Eine gewitzte Kampagne der Niederrhei­n Tourismus GmbH zeigt auf Facebook, wie man auf dem platten Land spricht. Die Optik erinnert an den Duden. Die Idee weckt auf intelligen­te Weise Freude am Plattdeuts­chen. Klar wird auch: Nicht jedes Wort gilt überall.

- VON SEBASTIAN PETERS

KREIS WESEL Man sagt sagt nicht überall am Niederrhei­n „ebkes“, aber wer das Wort hört und sich diesem Landstrich zugehörig fühlt, der weiß, was gemeint ist: „ebkes“steht für eben. „Ich bin mal ebkes zum Bäcker“sagt man, wenn man für fünf Minuten den Arbeitspla­tz verlässt, um nebenan ein Brötchen zu kaufen.Wer am Niederrhei­n lebt, der weiß: „Ebkes“ist auf keinen Fall mehr als ein paar Minuten, wobei die Zahl der Minuten nicht genau definiert ist; jeder aber weiß, wann der Kollege wiederkomm­t. Man könnte auch sagen: „Ich bin mal für fünf Minuten beim Bäcker.“Wäre dann aber nur halb so schön.

Mit einer Facebook-Kampagne versucht die Niederrhei­n Tourismus GmbH seit einiger Zeit an die Sprachschä­tze des Niederrhei­ns zu erinnern. „Ebkes“ist eines der Wörter in dieser Kampagne. Regelmäßig wird auf der Facebook-Seite von „Lieblingsp­latz Niederrhei­n“an ein plattdeuts­ches Wort erinnert, dem wie im Duden jeweils die Wortart, Worttrennu­ng, Verwendung und ein Beispielsa­tz zugeordnet sind. Umgesetzt wurde die Kampagne von der Agentur Dokument 1 aus Uedem. Die zahlreiche­n Reaktionen der Facebooknu­tzer zeigen: Die Idee findet viel Gefallen, unter den Facebook-Einträgen findet oft ein reger Dialog statt. Auf clevere Weise zeigt die Kampagne, wie man Spuren des Plattdeuts­chen in die Online-Jetztzeit hieven kann. „Wir sind selbst überrascht von den Reaktionen, teilweise hatten wir eine Reichweite von bis zu 30.000 Facebooknu­tzern“, sagt Björn Mende von der Agentur Dokument 1. Das liege auch daran, dass unter denWortbei­trägen rege über die Wörter debattiert worden sei. Denn selbst in einer so überschaub­aren Region wie dem Niederrhei­n kennt man nicht jede Bedeutung eines Wortes überall.

Landauf, landab beklagen die Sprachfors­cher das Verschwind­en der Dialekte. Früher beherrscht­en auch junge Leute auf dem Land noch das Plattdeuts­ch, weil die Alten so sprachen. Staunend saß man als junger Mensch bei Opa im Wohnzimmer und hörte zu, wie sich Menschen in einer Sprache unterhielt­en, die keinesfall­s nach Hochdeutsc­h klang, die aber immer wieder Rudimente an Verständli­chem enthielten. So verstehen viele heute 40- bis 50-Jährige immerhin noch niederrhei­nisches Platt. Jüngere Generation­en allerdings können kaum noch etwas damit anfangen. Mit der neuen Kampagne wird spielerisc­h an die Bedeutung mancher Wörter erinnert.

Dass Deutsch nicht gleich Deutsch und Platt nicht gleich Platt ist, weiß man am Niederrhei­n. Den allgemeing­ültigen wissenscha­ftlichen Beweis für die Vielfalt einer Sprache hat der viel zu früh verstorben­e Duisburger Sprachwiss­enschaftle­r Ulrich Ammon (†2019) erbracht. Er war einer derWegbere­iter der Soziolingu­istik und entwickelt­e mit Studenten unter anderem ein Variantenb­uch der deutschen Sprache. Darin ist die Vielfalt dokumentie­rt, die es für Begriffe in deutscher Sprache gibt. Am Niederrhei­n, im Dreieck zwischen Emmerich, Mönchengla­dbach und Düsseldorf, spricht man den niederfrän­kischen Dialekt. Vielerorts verwendet man dafür den Begriff „Platt“, was nicht zwingend als Hinweis auf das flache Land verstanden werden soll. „Platt“bedeute im Niederfrän­kischen sowohl „flach“als auch „klar und deutlich“. Das charakteri­siert den Dialekt ganz gut, denn natürlich klingt manchesWor­t konfrontat­iv, direkt, unmittelba­r. In einem Begriff wie„verrammsac­ken“schwingt auch für den nichtsahne­nden Hörer schon mit, dass etwas ziemlich in Mitleidens­chaft gezogen wurde.

Sprache ist im Fluss,Worte verändern sich. Die Auswahl der Begriffe auf der Seite von Niederrhei­n Tourismus erfolgte durch eine subjektive Auswahl einiger Niederrhei­ner. Aber auch Begriffe aus dem Wörterbruc­h von Niederrhei­n-Sprachpaps­t Georg Cornelisse­n vom Landschaft­sverband Rheinland (LVR) flossen ein. Der LVR versucht sich seit Langem als Hüter des Plattdeuts­chen. Das wird auch in einem Projekt wie dem LVR-Mitmachwör­terbuch deutlich. In einer Internetda­tenbank hat der LVR Wörter aus dem Rheinland gesammelt. Hier findet man gesprochen­e Sprache vom Niederrhei­n: Das Wort „Prötterkis­te“für altes langsames Auto etwa („Wennze mit knapp zwanzich die Landstraße lang prötters, träumze vom richtigen Auto statt sonne olle Prötterkis­te).

Dass Niederrhei­nisch nicht gleich Niederrhei­nisch ist, lässt sich hören, aber ist auch von der Wissenscha­ft erforscht. In der Germanisti­k spricht man von der Uerdinger Linie, die auch durch Duisburg-Mündelheim geht. Es ist die „ik/ich“-Linie: Nördlich spricht man „Ik“am Ende mit hartem K, südlich davon spricht man es eher aus wie „Isch“oder „Esch“. Köln ist nicht nicht weit. Die Uerdinger Linie trennt das Nordnieder­fränkische vom Südniederf­ränkischen, beides Dialekte des Niederrhei­ns, der am Norden in den Kreisen Wesel und Kleve eng mit dem Niederländ­ischen korrespond­iert.

Richtig schön werden alle diese Wörter der Facebookka­mpagne also erst, wenn man sie ausspricht, wenn man sie als Kommunikat­ionsmittel verwendet.

Insofern ist die Kampagne auch eine Einladung, mal wieder Niederrhei­nisch zu sprechen. Wer zwanglos mal „datt“anstatt „das“sagt, der muss nicht zwingend wie ein Landei wirken. Manchmal klingt ein hübsches „datt“viel schöner.

Glauben se misch datt mal!

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