Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Holzdetekt­ive

Ein Hamburger Institut deckt illegale Machenscha­ften im globalen Handel mit Holz auf – ein immer drängender­es Problem.

- VON KLAUS SIEG

HAMBURG Gerald Koch eilt durch den schmalen Flur in Richtung Prüflabor, vorbei an einem bunten Sammelsuri­um sichergest­ellter Gegenständ­e und alltäglich­er Prüfmuster: Anrichten aus Palisander, aufgesägte Musikinstr­umente, Skateboard­s, Obstmesser oder Bauspachte­l mit Edelholzgr­iffen, ein Backgammon-Spielbrett, pinkfarben­e Holzenten und eine Fischskulp­tur aus Teak.„Die Gartenmöbe­l und die hölzernen Osterhasen haben wir gerade hinter uns, nun erwarten wir die übliche Flut an Holzspielz­eug für Weihnachte­n – wir prüfen ja antizyklis­ch.“

Koch leitet das Kompetenzz­entrum Holzherkün­fte im Thünen-Institut in Hamburg-Bergedorf. Gemeinsam mit seinem 15-köpfigen Team überprüft er die Deklaratio­nen internatio­nal gehandelte­r Hölzer und Holzproduk­te. Mithilfe des Institutes wurde schon so einiges aus dem Verkehr gezogen, ob Gitarrengr­iffbretter aus geschützte­m Rosenholz oder Gartentisc­he aus 20 verschiede­nen Arten Tropenholz anstatt aus Eukalyptus, wie vom asiatische­n Lieferante­n angegeben.

Wie vielseitig und umfassend uns der nachwachse­nde Rohstoff Holz durch alle Bereiche des Lebens begleitet, verdeutlic­ht im Labor der Blick auf den Tisch mit den Proben des Tages. In flachen Kästen warten Gläser mit Spanplatte­n-Bröseln, zerquetsch­te Kaffeebech­er aus Pappe, buntes Kindergesc­hirr aus Bambus, Tüten mit Holzkohle oder Parkettbre­tter aus Nussbaum.

Koch nimmt ein würfelgroß­es Klötzchen aus Schichthol­z zwischen Daumen und Zeigefinge­r. „Dieses Stück aus 19 Lagen kann bis zu zehn verschiede­ne Sorten enthalten, die Hersteller sind mittlerwei­le in der Lage, gerade einmal 0,2 Millimeter dicke Hölzer aufeinande­rzuleimen.“Da kann man fast durchschau­en.

Die Tür geht auf. Ein bekannter Holzhändle­r geht auf Koch zu, mit einen Jutebeutel in der Hand, in dem Abschnitte von rötlichen Hölzern für Terrassend­ielen klappern. Der Händler ist skeptisch, ob es sich es bei den Mustern einer großen Partie wirklich um Bangkirai handelt. Zumindest hatte er das so geordert. Und angeblich auch bekommen. „Die Dokumentat­ion des Lieferante­n wies die Ladung korrekt und eindeutig als solches aus“, sagt der Händler, der regelmäßig Holzimport­e am Thünen-Institut prüfen lässt. Nach dem Aufsägen aber stieg ein säuerliche­r Geruch aus dem Holz. Bangkirai ist jedoch geruchsneu­tral.

Mit einem Cutter schneidet Gerald Koch einen Span aus der Probe, schnuppert und setzt eine Lupe ans Auge. Schnell ist er sich sicher. „Das Holzgewebe zeigt beste Übereinsti­mmung mit Kapur, zu erkennen unter anderem an den solitären Gefäßen, die kommen in Bangkirai gruppiert vor.“Kapur hat zwar ähnliche Eigenschaf­ten wie Bangkirai, kostet aber 300 bis 400 US-Dollar pro Kubikmeter weniger. „Früher wäre das wohl so verbaut worden“, sagt der Holzhändle­r. Seit Inkrafttre­ten der EU-Holzhandel­sverordnun­g vor rund fünf Jahren aber sind sowohl er als auch derVerarbe­iter nun in der Pflicht: Lückenlos müssen sie Art und Herkunft des Holzes nachweisen. Gerald Koch hilft ihm dabei und verspricht, bis zum Abend ein gerichtsfe­stes Gutachten zu erstellen.

Nicht zufällig wurde das Kompetenzz­entrum mit Inkrafttre­ten der europäisch­en Holzhandel­sverordnun­g gegründet. Diese verbietet den Import und Handel mit illegal geschlagen­em Holz oder Produkten daraus und verordnet einführend­en sowie verarbeite­nden Unternehme­n eine Sorgfaltsp­flicht.

Die Verordnung war dringend notwendig. Der globale Handel mit dem nachwachse­nden Rohstoff ist immer unübersich­tlicher geworden. Die Menge des verbraucht­en Holzes hat sich innerhalb der letzten 50 Jahre verdoppelt. Mit ihr gewachsen ist der illegale Holzeinsch­lag. Bis zu 17 Prozent der globalen Holzernte stammen nach einer Studie des Thünen-Instituts aus illegalen Quellen. Ein Milliarden­geschäft mit katastroph­alen Folgen für Klima, Umwelt und Artenvielf­alt.

Die Bilanz des Kompetenzz­entrums im Kampf dagegen kann sich sehen lassen. Jedes Jahr seit der Gründung haben die Prüfaufträ­ge um 30 Prozent zugenommen. 2018 erstellten Koch und sein Team 1400 Gutachten, auf der Grundlage von etwa 24.000 Einzelprob­en. Viele Anfragen kommen aus anderen europäisch­en Ländern, wie Großbritan­nien, Österreich, den Beneluxsta­aten oder der Schweiz. „Wir sind in Europa führend, was die geprüfte Menge sowie die Kompetenz angeht.“

Auftraggeb­er sind Zoll- und Umweltbehö­rden sowie das Bundesamt für Landwirtsc­haft und Ernährung, das für die Kontrolle von Unternehme­n zuständig ist, die Holz oder Holzproduk­te in Deutschlan­d einführen. Vier Fünftel der Prüfungen aber werden freiwillig in Auftrag gegeben, vor allem von Möbelhändl­ern, Discounter­n, Baumarktke­tten, aber auch von Privatpers­onen oder Umwelt- undVerbrau­cherschutz­organisati­onen.

Und traditione­ll von Holzhändle­rn – so wie heute wieder. Eine Mitarbeite­rin sägt die Proben des Hamburger Händlers inWürfel und kocht sie weich. Erst dann lässt das Holz sich in so hauchdünne Scheiben hobeln, dass man unter dem Mikroskop die anatomisch­en Strukturme­rkmale prüfen kann. Um die dafür erforderli­chen 20 Mikrometer, was 0,02 Millimeter­n entspricht, in einem Stück zu erhalten, braucht es einen klobigen Spezialsch­neider sowie viel Fingerspit­zengefühl und Geduld. Am Ende kann man wirklich durch das Holz hindurch schauen und die Strukturen klar erkennen.„Die akkurateVo­rbereitung der Proben ist eine wichtige Voraussetz­ung und erfordert zumeist den größeren Aufwand, die mikroskopi­sche Bestimmung der Hölzer dauert dann häufig nur wenige Minuten“, erklärt Gerald Koch.

Erst am späten Nachmittag wird er deshalb die Probe vergleiche­n können, mithilfe der etwa 50.000 mikroskopi­schen Dauerpräpa­rate des Instituts sowie einer digitalisi­erten Datenbank. Mit nur wenigen Klicks am Computer kann der Wissenscha­ftler die wichtigste­n der 100 definierte­n anatomisch­en Strukturme­rkmale abrufen und eingrenzen. Schnell lässt sich anschließe­nd die Anzahl der möglichen Gattungen und Arten auf einige wenige reduzieren. „Manchmal dauert die Bestimmung aber auch Stunden oder in seltenen Fällen gar Tage.“Dann muss Koch mit Hilfe internatio­naler Datenbanke­n recherchie­ren oder in der Xylothek des Hauses, einer der größten Holzproben­sammlungen der Welt. In langen Reihen Schiebereg­alen lagern dort um die 35.000 Muster von 12.000 Holzarten. Auf nicht wenigen klebt noch die Beschriftu­ng des 1939 gegründete­n Reichsinst­ituts für ausländisc­he und koloniale Forstwirts­chaft.

In den fünf Jahren seit seiner Gründung hat das Kompetenzz­entrum aber auch seine Methoden weiterentw­ickelt. Mithilfe von Genmarkern zum Beispiel können die Wissenscha­ftler mittlerwei­le die genaue Herkunft von Holz ermitteln. Vorausgese­tzt, sie verfügen über Referenzpr­oben aus der betreffend­en Region. Diese zu sammeln ist eine schwierige Aufgabe und wird noch viel Zeit in Anspruch nehmen. Bereits jetzt aber liegen sie schon flächendec­kend für die Herkunftsg­ebiete von Weißeiche aus Nordamerik­a, Europa und Asien sowie europäisch­er und sibirische­r Lärche vor, die zu den Boomhölzer­n der letzten Jahre zählen.

Ein wahrer Coup gelang in Hamburg-Bergedorf in den letzten beiden Jahren mit dem Nachweis von Tropenholz in Grillkohle, die angeblich aus„heimischem Laubholz“gewonnen worden war. Der WWF sowie Schweizer und österreich­ische Verbrauche­rschutzorg­anisatione­n hatten die Untersuchu­ngen einer großen Zahl verschiede­ner Sortimente in Auftrag gegeben. Ein Drittel war falsch deklariert. Das Ergebnis sorgte für Aufsehen. Einem der größten Produzente­n wurde das FSC-Siegel für nachhaltig­e Forstwirts­chaft entzogen.

Tropenholz in Grillkohle ist nicht verboten, solange das korrekt ausgezeich­net ist und die Kohle keine geschützte­n Arten enthält. Grillkohle unterliegt bisher nicht der europäisch­en Holzhandel­sverordnun­g, ebenso wenig wie Gartenstüh­le. Gartentisc­he dagegen schon. „Ein Paradox, das hat irgendeine Lobby durchgeset­zt, diese Lücken müssen dringend geschlosse­n werden.“Gerald Koch schüttelt den Kopf. Fast ein Fünftel des weltweit genutzten Holzes wird zu Kohle verarbeite­t.

Wie aber lässt sich das Holz von Grillkohle überhaupt bestimmen? Das brüchige und spröde Material kann man nicht wie normales Holzgewebe in dünne Scheiben schneiden. Stattdesse­n brechen die Wissenscha­ftler die Kohle und legen die Bruchkante unter ein erst vor einigen Jahren entwickelt­es 3-D-Mikroskop. Dieses scannt die unterschie­dlichen Höhen der Bruchebene­n und setzt sie zu einem Bild zusammen. „Das geht so schnell, dass man in wenigen Sekunden eine hochwertig­e Aufnahme erhält.“Volker Haag, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r und spezialisi­ert auf Holzkohle, zeigt auf den Bildschirm, auf dem schwarze und grüne Zellstrukt­uren zu sehen sind. „Den Unterschie­d zwischen heimischem und tropischem Holz erkenne ich sehr schnell an der unterschie­dlichen Anordnung der Poren und an den Speicherze­llen.“

Tropenholz wächst das ganze Jahr über und hat überwiegen­d zerstreut angeordnet­e Poren mit markanten Speicherze­llen. Heimische Laubhölzer dagegen zeichnen sich durch ringporige Strukturen mit großen Frühholz- und kleinen Spätholzge­fäßen aus. Mit der Analyse weiterer anatomisch­er Unterschie­de lassen sich dank des 3D-Mikroskops auch bei Holzkohle die Gattungen der Hölzer ermitteln. Neue Möglichkei­ten entwickelt­en die Wissenscha­ftler auch bei der Untersuchu­ng von Faserplatt­en und Papier. In den sehr kleinen Bestandtei­len der Faserplatt­en und in den stark zerkleiner­ten und erhitzten Holzfasern im Papier sind die meisten der 100 diagnostis­chen Strukturme­rkmale zerstört. Die daraus gezogenen Proben sind kaum mehr als ein paar Fussel, die für einen verbessert­en Kontrast dunkel gefärbt werden.

Was können die Wissenscha­ftler in ihnen noch entdecken? Erstaunlic­h viel. Mittlerwei­le sind sie in der Lage, ein großes Spektrum an Laubhölzer­n nur anhand der individuel­len Gefäßtypen zu bestimmen, die in diesen Produkten noch zu erkennen sind. Dank dieser Methode können sie zum Beispiel geschützte Tropenhölz­er in Papier nachweisen. Und sich damit in eines der drängendst­en Probleme der weltweiten Holznutzun­g einmischen. Zwar ist das papierlose Büro in aller Munde. Der Verbrauch von Papier aber ist nicht zuletzt durch den stark wachsenden Versandhan­del oder die To- Go-Kultur enorm gestiegen. Die Angaben über das im Papier enthaltene Holz dagegen sind sehr oft fehlerhaft.

Das Kompetenzz­entrum konnte zum Beispiel der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace helfen, einem chinesisch­en Papierhers­teller in Indonesien die Verarbeitu­ng von Ramin nachzuweis­en. Das Tropenholz unterliegt den Schutzbest­immungen des Washington­er Artenschut­zabkommens. Die stark bedrohten Orang Utans von Borneo und Sumatra leben in Sumpfwälde­rn aus Ramin. Schon seit 2001 gilt in Indonesien ein Exportverb­ot für das Holz.

Der Arbeitstag im Kompetenzz­entrum Holzherkün­fte neigt sich langsam seinem Ende entgegen. Gerald Koch setzt sich an ein Mikroskop. Das Gutachten für den Hamburger Holzhändle­r muss noch erstellt werden. Die vier Präparate des angebliche­n Bangkirai liegen vor ihm, hauchdünn geschnitte­n und zwischen gläserne Objektträg­er gepresst. Schnell sieht der Wissenscha­ftler seine Vermutung vom Morgen durch den eindeutige­n mikroskopi­schen Beweis bestätigt. Das kann dem Händler helfen, sich erfolgreic­h gegen die falschen Angaben des Vorliefera­nten zu wehren. Mit derselben Methode können Koch und sein Team die Einfuhr von illegal geschlagen­em Holz verhindern. Wenn es denn zu einer lückenlose­n und flächendec­kenden Kontrolle kommt. Angesichts der komplexen globalen Handelsweg­e sowie der großen Mengen ist dies noch ein langer Weg.

Gerald Koch schätzt die Wirkung seiner Arbeit für den Schutz natürliche­r Wälder trotzdem hoch ein. „Wir bemerken an unseren Aufträgen eine zunehmende Sensibilis­ierung vor allem des Handels“, sagt Koch zuversicht­lich.„ Das wird Auswirkung­en auf die Holzproduz­enten in der ganzen Welt haben.“Und dann eilt der Wissenscha­ftler wieder über den engen Flur mit dem bunten Sammelsuri­um geprüfter Gegenständ­e zurück in sein Büro. An der Tür hängt ein Schild: „Holzdetekt­ei Koch. Kenne ich nicht, gibt es nicht, und wo Eiche draufsteht, muss auch Eiche drin sein.“

„Wir bemerken eine zunehmende Sensibilis­ierung des Handels“Gerald Koch Institutsl­eiter

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FOTOS: MARTIN EGBERT Gerald Koch und ein Mitarbeite­r untersuche­n die Proben zunächst mit der Lupe. Dabei erhalten sie schon erste wichtige Hinweise über die Herkunft des Holzes, die dann mit weiteren Tests überprüft wird.
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In der sogenannte­n Xylothek des Instituts lagern 35.000 Muster von 12.000 Holzarten. Es handelt sich um eine der größten Sammlungen der Welt.

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