Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Geschichte der Bienen
Sie hing schlaff herunter, fühlte sich leer an, und ich kratzte mich an der Stirn, damit sie etwas zu tun hatte. „Aber sonst wartest du doch immer noch ein paar Wochen?“, sagte er.
Jetzt sah er auf. Seine schönen Augen starrten mich an.
„Nein, tue ich nicht.“
„Papa…“
Er sah mir an, dass ich log, hatte eine Augenbraue hochgezogen und einen spöttischen Zug um den Mund.
„Es ist warm genug“, fügte ich schnell hinzu. „Und wir werden uns nur ein paar wenige vornehmen. Um den Rest brauchst du dich nicht zu kümmern. Das übernehme ich dann nächste Woche mit Jimmy und Rick.“
Ich versuchte noch einmal, ihm den Overall und den Imkerhut zu reichen, aber er nahm sie nicht an. Er machte keinerlei Anstalten, sich zu bewegen, deutete nur mit dem Kopf auf seinen Computer.
„Ich schreibe gerade eine Hausarbeit.“
„Hast du denn keine Ferien?“
Ich legte die Ausrüstung vor ihm auf den Tisch. Versuchte, ihn entschlossen anzublicken, mit meinen Augen auszudrücken, dass er sich doch bitte bequemen möge, mir zu helfen, wenn er es schon endlich einmal für richtig befunden hatte, bei seinen Eltern vorbeizuschauen.
„Wir sehen uns in fünf Minuten draußen.“
Wir besaßen 324 Magazinbeuten. 324 Königinnen mit ihren Bienenvölkern, die an unterschiedlichen Stellen in der Umgebung verteilt waren, selten mehr als 20 an einem Ort. Hätten wir in einem anderen Staat gelebt, hätten wir bis zu 70 Bienenstöcke an einem Ort aufstellen
können. Ich kannte einen Imker in Montana mit nahezu hundert Magazinbeuten an einem Ort. Die Gegend dort war so fruchtbar, dass die Bienen nur wenige Meter fliegen mussten, schon hatten sie alles gefunden, was sie brauchten.
Hier dagegen, in Ohio, war die Landwirtschaft zu einseitig. Meilenweit nur Mais und Sojabohnen. Zu wenig Zugang zu Nektar, nicht genug, als dass die Bienen davon leben konnten.
Über die Jahre hinweg hatte Emma all unsere Bienenstöcke in Pastellfarben gestrichen. Rosa, Türkis, Hellgelb und ein grünlicher Pistazienton, der so künstlich aussah wie Marshmallows mit Farbstoff. Sie fand, das sähe lustig aus. Meinetwegen hätten sie ruhig weiß bleiben können, so wie vorher. Mein Vater hatte sie stets weiß gestrichen, genau wie sein Vater und Großvater. Sie hatten immer gesagt, die inneren Werte zählten – das Wichtigste war das, was sich in den Bienenstöcken befand. Emma war jedoch der Meinung, den Bienen gefiele es so, ein bisschen persönlicher. Wer weiß, vielleicht hatte sie recht. Und ich muss gestehen, dass mir beim Anblick der bunten, in der Natur verstreuten Kästen, die aussahen, als hätte ein Riese seine Süßigkeiten verloren, immer warm ums Herz wurde. Wir begannen auf der Wiese zwischen dem Hof von Menton, der Hauptstraße und dem schmalen Alabast River, der trotz seines klangvollen Namens hier im Süden nicht viel breiter war als ein Bach. An dieser Stelle hatte ich die meisten Magazinbeuten an einem Ort versammelt. 26 Bienenvölker. Wir begannen mit einer quietschrosa Beute. Es war gut, zu zweit zu sein. Tom hob den Bienenstock an, während ich das Brett austauschte. Ich zog das alte heraus, das voller Abfall und toter Bienen aus dem Winter war, und setzte ein neues, sauberes ein. Letztes Jahr hatten wir in moderne Gitterböden mit Schublade investiert. Sie waren teuer gewesen, aber es hatte sich gelohnt. So war die Belüftung besser und die Reinigung leichter. Die meisten Imker, die in derselben Größenordnung produzierten wie wir, verzichteten auf einen so frühen Wechsel der Beutenbretter, aber ich wollte keine Kompromisse eingehen. Meinen Bienen sollte es gut gehen.
Im Laufe des Winters hatte sich viel Dreck auf dem Beutenboden gesammelt, ansonsten sah alles gut aus. Wir hatten Glück, die Bienen verhielten sich ruhig, nur wenige flogen hinaus. Es war schön, Tom hier draußen zu sehen. Er arbeitete schnell und routiniert, war wieder in seinem Element. Ein paarmal wollte er beim Heben den Rücken beugen, aber davon hielt ich ihn ab.
„Du musst in die Knie gehen.“Ich kannte mehrere Leute, die sich wegen der falschen Hebetechnik etwas ausgerenkt oder sogar einen Bandscheibenvorfall erlitten hatten. Und Toms Rücken sollte schließlich noch viele Jahre durchhalten und tausende Bienenstöcke heben.
Wir arbeiteten bis zur Mittagspause durch. Währenddessen redeten wir nicht viel, nur ein paar Worte, und nur über die Arbeit.„Hier musst du anpacken, ja, genau, gut.“Ich wartete die ganze Zeit darauf, dass er um eine Pause bat, aber er tat es nicht, und als es fast halb zwölf war, knurrte mein Magen so laut, dass ich am Ende selbst den Vorschlag machen musste, einen Imbiss zu nehmen.
Wir setzten uns auf die Ladefläche desWagens und ließen die Beine baumeln. Ich hatte eine Thermoskanne mit Kaffee und ein paar Brote mitgenommen. Das Brot hatte die Erdnussbutter aufgesogen wie ein Schwamm, und die Scheiben waren klitschig, aber es war erstaunlich, wie gut alles schmeckte, wenn man an der frischen Luft gearbeitet hatte. Tom sagte nichts. Mein Sohn war eindeutig kein großes Konversationstalent. Aber wenn er es so wollte, war es für mich in Ordnung. Ich hatte ihn hierher bewegt, das war das Wichtigste. Ich hoffte nur, er genoss es auch ein bisschen und erlebte dieselbe Wiedersehensfreude.
Als ich längst fertig war und vom Wagen sprang, um weiterzuarbeiten, mühte er sich immer noch mit seinem Brot ab. Nahm kleine Mäusebissen und starrte eingehend die Scheibe an, als würde etwas mit ihr nicht stimmen.
Und dann rückte er plötzlich damit heraus.
„Ich habe einen sehr guten Englischdozenten.“
„Aha“, sagte ich und hielt inne. Ich versuchte zu lächeln, aber irgendetwas daran, wie er diesen ganz normalen Satz sagte, versetzte mir einen Stich. „Das ist gut.“
Er nahm einen neuen Bissen und kaute und kaute, als hätte er das Schlucken verlernt.
„Er hat mich ermutigt, mehr zu schreiben.“
„Mehr? Mehr von was denn?“
„Er sagt, dass…“