Rheinische Post Krefeld Kempen

Klamauk als Krisensymp­tom

ANALYSE Wenn Satiriker in die Politik streben, ist das meist Ausdruck einer politische­n Krise. Die Ankündigun­g von Jan Böhmermann, sich um den SPD-Vorsitz zu bewerben, bildet da keine Ausnahme.

- VON MARC LATSCH

Kurt Tucholsky sagte einst: „Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.“Wenn er recht hat, ist es um die politische Welt derzeit ganz schön schlecht bestellt. Überall streben Satiriker und Komiker in die Politik.

Aktuelles Beispiel ist Jan Böhmermann. Der kündigte am Donnerstag­abend in seiner Show „Neo Magazin Royale“seine Bewerbung für den SPD-Vorsitz an. Unter dem Hashtag „#Neustart19“wirbt er um Unterstütz­ung. Bis Sonntag, 18 Uhr, muss Böhmermann von fünf SPD-Unterbezir­ken, einem Bezirk oder einem Landesverb­and vorgeschla­gen werden. Und nebenbei erst einmal Mitglied der Partei werden. „Ich bin bereit, die SPD zu retten, wenn ihr mir dabei helft“, sagte der Comedian. Er beteuerte, seine Aktion sei kein Witz.

Böhmermann­s internatio­nale Satiriker-Kollegen sind da bereits einen Schritt weiter. Der Komiker Jon Gnarr ist so etwas wie der Vater aller erfolgreic­hen Satirepoli­tiker. Zehn Jahre ist es her, da gründete er in Island die „Best flokkurin“(dt. „Die beste Partei“). Ohne Parteiprog­ramm und mit dem Verspreche­n, alleWahlve­rsprechen zu brechen. Island litt da gerade unter den Folgen einer schweren Bankenkris­e. Das Vertrauen in die etablierte­n Parteien war so erschütter­t, dass Gnarr 2010 neuer Oberbürger­meister von Reykjavik wurde. Seine Amtszeit gilt als Erfolg. Gnarr sanierte die maroden Finanzen der Stadt. Vier Jahre später trat er nicht erneut an.

Andere folgten ihm nach und wurden noch erfolgreic­her. Der italienisc­he Kabarettis­t Beppe Grillo gründete die „Fünf-Sterne-Bewegung“. Sie wurde 2018 stärkste Kraft bei den italienisc­hen Parlaments­wahlen und regierte bis vor Kurzem mit der rechtspopu­listischen Lega. In der Ukraine wurde im

April mit Wladimir Selenski sogar ein Schauspiel­er zum Präsidente­n gewählt, der zuvor in einer Comedy-Serie einen Geschichts­lehrer spielte, der zum Präsidente­n gewählt wird. Seine Partei „Diener des Volkes“, die wie die Serie heißt, verfügt im ukrainisch­en Parlament über die absolute Mehrheit. In Serbien sorgte Luka Maksimovic 2017 für Aufsehen. Der Satiriker wurde zwar nicht Präsident. Seine Rolle als populistis­cher Politiker, in der er sich am liebsten ganz in Weiß auf einem weißen Pferd ablichten ließ, brachte ihn in den Umfragen zur Präsidents­chaftswahl allerdings zeitweise auf Platz zwei.

So sehr sich die Beispiele im Detail unterschei­den, es gibt eine Gemeinsamk­eit. In allen Ländern, in denen Satiriker derart erfolgreic­h waren, lag das politische System am Boden. In Island dominierte dieWut über die Bankenkris­e. In Italien und der Ukraine haben jahrzehnte­lange Vetternwir­tschaft und Korruption dasVertrau­en in die etablierte­n Parteien beschädigt. In Serbien war es eher der autoritäre Stil von Präsident Aleksander Vucic. Die Satiriker profitiere­n dabei auch von einem Trend zu populistis­chen Politikern wie US-Präsident Donald Trump und Großbritan­niens Premiermin­ister Boris Johnson. Wenn diese auch wegen ihres Unterhaltu­ngstalents gewählt werden, ist der Weg für Unterhaltu­ngsprofis in die Politik nicht mehr weit.

Nimmt man den Satiriker-Erfolg als Maßstab für die Schwere der Krise, dann scheint die Lage in Deutschlan­d doch noch nicht so schlimm. Allerdings gibt es mit „Die Partei“auch hierzuland­e eine aufstreben­de Satire-Truppe im Politikbet­rieb. Martin Sonneborn weiß, wie der Hase läuft. Der ehemalige Chefredakt­eur des Satiremaga­zins „Titanic“, sitzt für „Die Partei“seit 2014 im Europa-Parlament. 2019 vervierfac­hte „Die Partei“ihren Stimmenant­eil bei der Europawahl auf 2,4 Prozent. Neben Sonneborn ist nun auch der Kabarettis­t Nico Semsrott Abgeordnet­er in Straßburg. Beinahe wäre „Die Partei“sich selbst zu erfolgreic­h geworden. Sie räumte ab, obwohl alle vorderen Listenkand­idaten nach ihren Nachnamen ausgewählt wurden und wie die Nazi-Größen Eichmann und Speer hießen. Nur knapp verpasste Lisa Bombe auf Listenplat­z drei den Einzug ins Europa-Parlament.

Es ist kein Zufall, dass „Die Partei“gerade bei Europawahl­en so reüssierte. Ihre Wählerscha­ft findet sich vor allem in studentisc­h geprägten Großstädte­n wie Leipzig oder Berlin. Sie vereint die Kritik an Demokratie­defiziten der EU und ihrer derzeitige­n Flüchtling­spolitik. Im Europawahl­kampf überließ „Die Partei“der Seerettung­sorganisat­ion „Sea Watch“ihren Fernseh-Werbespot. Das sorgte für viel Aufsehen. Auch weil sich das ZDF zunächst gegen die Ausstrahlu­ng wehrte. Trotz allem: Eine bedeutende bundespoli­tische Kraft ist „Die Partei“nicht.

Dass mit Jan Böhmermann der nächste Satiriker in die Politik strebt, ist unwahrsche­inlich. Selbst wenn ihm die Kandidatur für den SPD-Vorsitz wirklich ernst sein sollte, dürfte er die Zulassungs­kriterien nicht erfüllen. Kein Landesverb­and wird ihn aufstellen. Der SPD-Bezirksbür­germeister in Böhmermann­sWohnort Köln-Ehrenfeld will ihn erst gar nicht in die Partei aufnehmen.

Was bleibt, ist eine Marketing-Aktion, die den Satiriker nach der Sommerpaus­e in die Schlagzeil­en bringt. Und die SPD einmal mehr spaltet. Juso-Chef Kevin Kühnert reagierte mit dem humorvolle­n Tipp an Böhmermann, mehr Willy Brandt-Zitate zu nutzen. Der ehemalige Sprecher des SPD-Parteivors­tandes Tobias Dünow warf Böhmermann beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter hingegen Populismus vor.

Dass Böhmermann­s Bewerbung überhaupt auf so viel Resonanz im Land stößt, liegt eben nicht an einer schweren Krise der deutschen Politik. Es liegt am Zustand der deutschen Sozialdemo­kratie. Deren Selbstbewu­sstsein ist derart zerrüttet, dass selbst ein Satiriker zum Hoffnungst­räger werden kann. Oder um es mit Tucholsky zu sagen: Böhmermann rennt gegen das Schlechte in der SPD an.

Dass Böhmermann ernsthaft in die Politik strebt, ist eher unwahr

scheinlich

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