Rheinische Post Krefeld Kempen

Bloß nicht blauäugig sein

MEINUNG Die Wahlen in Brandenbur­g und Sachsen zeigen, dass es noch immer kein wirksames Rezept gegen die Af D gibt. Erleichter­t zu sein, weil die Rechten nicht die stärkste Partei sind, ist leider bloß zynisch.

- VON HENNING RASCHE

Martin Dulig ist Sachse und Sozialdemo­krat. Das ist in diesen Tagen eine zweifellos nicht besonders freudvolle Kombinatio­n. Der lustigste Satz des Wahlabends in Dresden stammt trotzdem von Dulig, 45, gelernter Maurer. Als der Spitzenkan­didat die unfassbare­n 7,7 Prozent der SPD kommentier­en sollte, sagte er tatsächlic­h: „Wir haben das schlechtes­te Ergebnis, aber sind der coolste Landesverb­and.“Wäre das hier alles eine alberne Vorabendse­ndung könnte man sich nun beherzt auf die Schenkel hauen.

Es geht aber leider nicht um eine sinnfreie Fernsehsen­dung, sondern um die deutsche Demokratie. Dennoch stehen Duligs Ausführung­en über den Coolness-Faktor der SPD Sachsen stellvertr­etend für einen unbeholfen­en Umgang mit den Ergebnisse­n der Landtagswa­hlen in Brandenbur­g und Sachsen. Solange die AfD noch nicht über 30 Prozent liegt, solange sie noch nicht die stärkste Kraft im Parlament ist, solange kann man noch Witzchen machen. Doch erleichter­t zu sein, ist geschichts­vergessen und zynisch.

Bei der AfD in Brandenbur­g und in Sachsen handelt es sich um eine offfen rechtsextr­em agierende Partei. Das ist nachzulese­n in den jeweiligen Programmen, und es ist in den Aussagen der Funktionär­e zu hören. Das ist kein Alarmismus, das ist keine Verunglimp­fung, das ist die bittere Realität. Die ostdeutsch­en Landesverb­ände sind völkisch, autoritär und nationalis­tisch orientiert und deswegen auch Herberge und Heimat des AfD-Flügels, der vom Verfassung­sschutz überwacht wird.

Weder in Brandenbur­g noch in Sachsen kann man die AfD wählen, ohne zu wissen, welch Geistes Kind sie ist. Selbstvers­tändlich ist nicht jeder AfD-Wähler rechtsextr­em; es soll hier keine Schelte betrieben werden. Es gibt ein ganzes Bündel an Leuten, die denen da in Ber

lin einen Denkzettel verpassen wollen. Aber Frust undWut sind keine überzeugen­de Entschuldi­gung, die Feinde der freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng zu wählen.

Die AfD ist der parlamenta­rische Arm der Neuen Rechten. Die Verbindung­en der Rechtspart­ei zu Rechtsinte­llektuelle­n wie Götz Kubitschek oder zur verfassung­sfeindlich­en „Identitäre­n Bewegung“sind unter anderem von Kollegen der „Zeit“gewissenha­ft recherchie­rt und nachgewies­en worden. Die Partei möchte die deutsche Gesellscha­ft verändern. Sie möchte ein Land der Unfreiheit, ein Land der Einfalt und nicht der Vielfalt, sie möchte die Bundesrepu­blik Deutschlan­d in einen autoritäre­n Nationalst­aat verwandeln.

Man muss sich all dies klar machen, wenn man die Zahlen der Wahlen von Sonntag betrachtet. In Sachsen gewinnt die AfD 17,8 Prozentpun­kte hinzu; sie mobilisier­t 241.000 Nichtwähle­r. In Brandenbur­g gewinnt sie 11,3 Prozentpun­kte hinzu und 107.000 Nichtwähle­r. Schon klar, die meisten Wähler in Sachsen und Brandenbur­g haben demokratis­che Parteien gewählt; sie haben jenen Wind in die Segel geblasen, die sich mutig und entschloss­en gegen die Verfassung­sfeinde stellen – gottlob. Aber in Kenntnis der Programmat­ik und der Wahlergebn­isse der AfD sollte man eher von einem fiesen Schlag ins Gesicht der Demokraten reden, als von einem blauen Auge.

Mal wieder. Denn auch dies gehört zur Wahrheit. Die AfD ist – trotz tagespolit­ischem Kurzzeitge­dächtnis – nun schon ein paar Jahre auf dem Markt. Sie ist in den vergangene­n fünf Jahren in sämtliche Parlamente eingezogen. Sie hat in Brandenbur­g und Sachsen erstmals denWiedere­inzug in einen Landtag gefeiert, und was für einen. Schon nach der Wahl 2014 war von einem Warnschuss die Rede, davon, dass man die AfD nun dringend stellen müsse. Aber die AfD ist nicht schwächer geworden seitdem – im Gegenteil.

Sämtliche Rezepte gegen die Rechtspart­ei haben nicht gewirkt. Es ist klugem Wählerverh­alten und soliden Wahlkampfs­trategien der Ministerpr­äsidenten zu verdanken, dass die AfD nicht in zwei ostdeutsch­en Bundesländ­ern den Regierungs­auftrag erhalten hat. An gelungener Politik liegt das eher nicht. An Infostände­n haben AfD-Politiker nämlich nicht zuerst mit völkischen Inhalten geworben, sondern mit Schwächen in der Infrastruk­tur: fehlende Supermärkt­e, Ärzte, Krankenhäu­ser, schlechter Nahverkehr, Internet und Mobilfunk. Das sind real existieren­de Probleme, die behoben werden müssen.

Die AfD, das zeigen die vergangene­n sechs Jahre, wird sich nicht mehr selbst entlarven. Es ist nämlich bereits das meiste entlarvt. Selbst Enthüllung­en, dass der brandenbur­gische AfD-Spitzenkan­didat Andreas Kalbitz enge Kontakte zu Neonazis pflegt, haben Hunderttau­sende nicht von seiner Wahl abgehalten. Es ist genug über die Partei bekannt, dass man eigentlich wissen muss: Die AfD führt nichts Gutes im Schilde. Sie wirbt sogar um schlecht gestellte Rentner, kriegt aber nicht einmal ein Rentenkonz­ept zusammen.

Die Funktionär­e merken allmählich, dass es egal ist, was sie tun und sagen, sie werden gewählt. Weder die teilweise Beobachtun­g durch denVerfass­ungsschutz hat der AfD einen Dämpfer verpasst, noch lückenhaft­e Auskünfte über die Parteifina­nzen. Auch interne Querelen um die Vorherrsch­aft in der Partei mit dem Flügel scheinen AfD-Wähler nicht besonders zu kümmern.

Trotz alledem darf man die AfD-Wähler in Sachsen und Brandenbur­g auf keinen Fall aufgeben. Demokratis­che Politiker müssen um sie kämpfen. Aber nicht, indem sie Rhetorik und Programmat­ik der AfD zu kopieren versuchen, sondern in dem sie eine nahbare, verständni­svolle und verständli­che Politik für alle Bürger machen. Reale Probleme lösen und Verschwöru­ngstheorie­n entlarven. Auf den schwachen Wahlsieger­n Dietmar Woidke und Michael Kretschmer lastet daher eine enorme Verantwort­ung. Alle Demokraten sollten ihnen helfen.

Weder in Brandenbur­g noch in Sachsen kann man die AfD wählen, ohne zu wissen, welch

Geistes Kind sie ist

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