Rheinische Post Krefeld Kempen

„Seid ratlos!“– Wie man Eltern von verstorben­en Kindern begegnet

Stirbt ein Kind, wendet sich das Umfeld häufig beschämt ab. Den Verwaisten ist aber am wenigsten geholfen, wenn sie ganz allein dastehen. Unterstütz­ung und ein offenes Ohr sind häufig willkommen.

- VON TERESA NAUBER

Es ist nicht so vorgesehen, und trotzdem passiert es: Ein Kind stirbt. Eltern müssen Abschied nehmen vom Liebsten, das sie auf der Welt haben. „Ihr Umfeld ist damit häufig völlig überforder­t“, sagt Heiner Melching. Der Sozialpäda­goge hat jahrelang Trauergrup­pen geleitet und ist heute Geschäftsf­ührer der Deutschen Gesellscha­ft für Palliativm­edizin. „Freunde ziehen sich häufig zurück, weil sie nicht wissen, wie sie mit den verwaisten Eltern umgehen sollen.“

Aber wie begegnet man jemandem, dessen Schmerz und Gefühlswel­t niemand nachempfin­den kann, der nicht selbst schon einmal in so einer Situation war? „Die Antwort ist ganz einfach“, sagt Melching: „Seid so ratlos, wie ihr seid.“Hingehen, im Zweifelsfa­ll gar nichts sagen, nichts empfehlen, sondern die Katastroph­e aushalten. Dass die pure Präsenz eines anderen dem Trauernden gut tut, hat auch Karin Seidenschn­ur schon häufig erlebt. Die Seelsorger­in bietet Gespräche in Krankenhäu­sern an. „Ich sitze manchmal einfach nur da und spreche gar nicht.“Oft genug sagt auch ihr Gegenüber nichts.„Später melden mir die Eltern dann aber zurück, es habe ihnen geholfen, dass ich da war.“

Wer helfen möchte, sollte das unbedingt aktiv anbieten. „Viele spielen den Ball an den Trauernden zurück“, ist Melchings Erfahrung. „Sie sagen: Ruf mich an, wenn du mich brauchst.“Nur: Braucht ein Trauernder Unterstütz­ung, wiegt der Telefonhör­er 100 Kilo. Deshalb formuliert man besser umgekehrt: „Ich rufe dich am Montagaben­d an, und wenn du nicht reden möchtest, nimmst du einfach nicht ab.“

Was auch entlastet: Aufgaben abnehmen. „In den ersten Wochen nach dem Tod des Kindes hilft es ungemein, wenn zum Beispiel jemand für einen einkaufen geht.“Im Supermarkt entstünden oft unangenehm­e Situatione­n, etwa, wenn andere noch nicht wissen, dass das Kind gestorben ist. Vermeiden sollten Freunde und Bekannte gutes Zureden à la: „Das wird schon wieder.“Denn so sei es ja nicht. Auch Sprüche wie„Ich ahne, wie du dich fühlst“seien vollkommen unangemess­en.

„Wir müssen hinnehmen, dass manche Wunden nicht heilen“

Heiner Melching Geschäftsf­ührer Deutsche Gesell

schaft für Palliativm­edizin

Was verwaisten Eltern in der ersten Zeit manchmal helfe, sei, über ihr Kind zu sprechen. Auch Schuldgefü­hle spielen oft eine Rolle, sagt Seidenschn­ur. „Fast jeder, der ein Kind verloren hat, fragt sich, ob er nicht doch noch irgendetwa­s hätte tun können.“Manche zweifeln auch, ob sie zum Beispiel in der Schwangers­chaft alles richtig gemacht haben – etwa, wenn das Kind einen Gendefekt hatte. „Natürlich ist das Quatsch, aber gegen solche Gedanken kommen Eltern nicht an.“

Offenheit sei generell meist der beste Weg im Umgang mit Trauernden. Statt sich aus Sorge, das Falsche zu tun, zurückzuzi­ehen, können Freunde ruhig ganz offen fragen, was dem anderen jetzt gut tut: Möchte er über sein verstorben­es Kind sprechen? Über die letzten Tage? Oder möchte er lieber abgelenkt oder komplett in Ruhe gelassen werden? In der Regel wüssten Trauernde ziemlich genau, was sie brauchen, sagt Melching.

In der ersten Zeit nach dem Tod ihres Kindes haben verwaiste Familien häufig noch recht viel Besuch, es kommen Karten, ab und an ruft auch jemand an.„Nach und nach hört das auf“, ist Seidenschn­urs Erfahrung. Was aber nicht aufhört, ist der Schmerz. Freunde, die bleiben, sollten wissen, dass das so ist. „Trauernde Eltern bekommen immer wieder zu hören:“Das ist doch jetzt schon Jahre her.““Ja, möchte sie dann gern antworten, aber das Kind ist immer noch tot.

„Trauer ist so individuel­l wie die Liebe“, fasst Melching zusammen. „Wir akzeptiere­n, dass es für die Liebe keine Anleitung gibt, Trauer aber wollen wir in Phasen einteilen und Rezepte gegen sie entwickeln.“Ein sinnloses Unterfange­n. „Wir müssen hinnehmen, dass manche Wunden nicht heilen.“

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FOTO: REMMERS In den ersten Wochen erfahren Eltern von gestorbene­n Kindern noch viel Mitgefühl und Hilfe. Mit der Zeit nimmt das jedoch ab. Gerade dann brauchen viele verwaiste Eltern aber Unterstütz­ung.
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