Rheinische Post Krefeld Kempen

Merkel fordert friedliche Lösung für Hongkong

Beim Peking-Besuch hat die Kanzlerin die Unruhen in Hongkong angesproch­en. Chinas Reaktion ließ Interpreta­tionspielr­aum.

- VON KRISTINA DUNZ

PEKING Es ist eine freundlich­e Geste des chinesisch­en Ministerpr­äsidenten. Auf dem Platz an der Großen Halle des Volkes brennt die Sonne, es weht kaum ein Lüftchen. Li Keqiang wird gleich die Kanzlerin mit militärisc­hen Ehren begrüßen. In ähnlichen Situatione­n in Berlin hatte Angela Merkel im Sommer am ganzen Körper zu zittern begonnen. Pragmatisc­h wie sie ist, lässt sie sich und ihrem Gast vor dem Kanzleramt seitdem einen Stuhl hinstellen – ehren kann man auch im Sitzen. Über politische­s Stehvermög­en sagt das nichts aus. Am Freitag in Peking stehen auch zwei Stühle, prunkvolle Möbel. Im Schatten. Die deutsche Nationalhy­mne wird gespielt und es werden Salutschüs­se aus Kanonen abgefeuert. Merkel soll sich willkommen fühlen. Es ist ihr zwölfter Besuch in China. Sie ist vielleicht keine Freundin, aber eine Vertraute Pekings.

Sie und Li eint die Sorge über den Handelsstr­eit zwischen China und den USA, Peking setzt auf Europa, auf Deutschlan­d. Die wirtschaft­liche Zusammenar­beit beider Länder könne noch viel enger werden, sagt Li. Eine Reihe von Vereinbaru­ngen werden mit den Chefs der mitgereist­en hochkaräti­gen Wirtschaft­sdelegatio­n unterschri­eben. Li verspricht: „Die Zeit rennt, aber der Spielraum kennt keine Grenzen.“

Doch Besuche in Peking sind politische Gratwander­ungen. Merkel klagt höflich, aber unverblümt, dass deutsche Bundestags­abgeordnet­e an der Einreise nach China gehindert wurden. Und sie dringt auf die Reaktivier­ung des gemeinsame­n Menschenre­chtsdialog­s. Richtig heikel wird es aber erst beim Thema Hongkong.

Li gefällt es nicht, dass deutsche Journalist­en in der Pressekonf­erenz nach dem Umgang Chinas mit der Sonderverw­altungszon­e Hongkong fragen, und wie Merkel darauf antwortet. Es gefällt ihm überhaupt nicht, wenn viele Journalist­en da sind. Deshalb werden zunächst einige in Peking ansässige deutsche Berichters­tatter ausgeschlo­ssen – und dann doch wieder zugelassen. Die Lage ist angespannt.

„Wir haben natürlich auch ausführlic­h über das Thema Hongkong gesprochen. Es gilt der Grundsatz: Ein Land, zwei Systeme“, sagt Merkel. Seit der Rückgabe der früheren britischen Kronkoloni­e wird Hongkong nach diesem Grundsatz autonom mit einem eigenen Grundgeset­z unter chinesisch­er Souveränit­ät regiert. Merkel betont, die chinesisch-britische Erklärung von 1984 regele die Rechte und die Freiheiten der sieben Millionen Hongkonger, die seit Monaten gegen den zunehmende­n Einfluss Pekings protestier­en und über wirtschaft­liche und soziale Probleme in der Hafenmetro­pole klagen.

Merkel erklärt: „Ich habe darauf hingewiese­n, dass diese Rechte und Freiheiten natürlich auch gewährleis­tet werden müssen.“Das Abkommen gelte weiter. „In der jetzigen Situation muss alles daran gesetzt werden, Gewalt zu vermeiden.“Es gebe Anzeichen, dass Hongkongs Regierungs­chefin zu einem solchen Dialog einladen wolle. Es sei zu hoffen, dass die Demonstran­ten an diesem Dialog teilnehmen können.

Li Keqiang, der danach gefragt wird, ob China militärisc­h eingreifen wird, schweigt. Er antwortet einfach nicht. Merkel ist irritiert. Schrecksek­unde. Denn wenn Li dazu gar nichts sagt, könnte auch der Interpreta­tionsspiel­raum keine Grenzen kennen: Doch eine Militärakt­ion gegen Demonstran­ten? Schnell wird eine chinesisch­e Journalist­in mit einer Frage nach den guten bilaterale­n Beziehunge­n beider Länder aufgerufen. Li beschwört diese Formel: „China öffnet sich.“Für Märkte, für Deutschlan­d, für andere Ansichten. Er betont: „Aus freien Stücken.“Immer wieder spricht er vom Multilater­alismus, was man vor Donald Trump stets vom US-Präsidente­n gehört hatte.

Und dann sagt Li doch etwas zu Hongkong. Erstmals in einem derartigen öffentlich­en Austausch. Er wolle das „Chaos“beenden. „Das wird im Rahmen der Gesetze geschehen“, versichert der Premier. China habe „die Weisheit“dazu. Und: Der Grundsatz der autonomen Regierung solle gewahrt werden.

Dieser Besuch von Merkel in Peking gehört zu den sorgenvoll­sten ihrer Kanzlersch­aft. Die alte Weltordnun­g bröckelt. Der von Trump losgetrete­ne Handelsstr­eit mit China, der zu immer höheren gegenseiti­gen Strafzölle­n führt, bedroht inzwischen die Weltwirtsc­haft. Auch

ausländisc­he Zulieferfi­rmen leiden – und die deutsche Autoindust­rie, die in den USA produziert und nach China exportiert. Merkel sagt: „Wir merken alle, selbst wenn wir daran nicht beteiligt sind, dass sich das auf unsere Beziehunge­n auswirkt.“

Wie sehr die chinesisch­e Führung Merkel schätzt, ist am Besuchspro­gramm abzulesen. Neben Li empfängt auch Staatspräs­ident Xi Jinping den Gast aus Deutschlan­d, auch wenn Merkels internatio­naler Einfluss schwindet, weil die Chemie mit Trump nicht stimmt und sie kein richtiges Bindeglied mehr zu den USA ist. Li sagt, China sei „bereit zu lernen“. Etwa beim Klimaschut­z. Schritt für Schritt. Rom sei auch nicht an einem Tag erbaut worden. Ganz Merkels Devise.

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FOTO:AP Den Empfang mit militärisc­hen Ehren verfolgt Angela Merkel neben Chinas Premier Li Keqiang im Sitzen.

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