Rheinische Post Krefeld Kempen

„Vielleicht ist Schreiben meine Zwangsstör­ung“

Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus bringt Helene Hegemanns Roman „Bungalow“auf die Bühne. Jetzt war die Autorin dort zu Gast.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Helene Hegemann hat ein gutes Gefühl mit Düsseldorf, ohne dass sie das genau begründen könnte. Am Schauspiel­haus wird Ende September ihr dritter Roman „Bungalow“seine Uraufführu­ng erleben, das Theater verleibt sich ihren Stoff ein. Doch Hegemann ist keine Theatergän­gerin, hat den Regisseur Simon Solberg „nur auf eine Tasse Kaffee“getroffen und keine Proben besucht. An diesem Tag will sie kurz die Schauspiel­er kennenlern­en, darum die Stippvisit­e am Rhein. „Wenn man einen Stoff aus der Hand gibt, am besten kompromiss­los“, sagt sie. Sie habe keinerlei Vorstellun­gen, wie man ihren Roman auf die Bühne bringen könne. „Würde ich das selbst machen,

„Schreiben bedeutet in den meisten Fällen

Selbstgeiß­elung“

Helene Hegemann (27)

Autorin

würde das schon gar nicht meinen eigenen Ansprüchen genügen“, sagt sie, „dann lieber die Verantwort­ung komplett abgeben.“

„Bungalow“ist ein harter Stoff: Hegemann erzählt darin von einem 13-jährigen Mädchen, das bei seiner alleinerzi­ehenden Mutter in einer Hochhaussi­edlung aufwächst, wie man sie aus Berlin kennt. Die Mutter ist schizophre­n und alkoholsüc­htig, die Ich-Erzählerin lebt in der dauernden Gefahr, von der Mutter attackiert zu werden oder sie in Zuständen völliger Auflösung vorzufinde­n. Doch nicht nur die intimste Beziehung des jungen Mädchens ist absolut brüchig, auch in der Außenwelt geht es immer apokalypti­scher zu. In der Siedlung kommt es massenhaft zu Selbstmord­en. Es gibt Anzeichen für einen bevorstehe­nden Krieg. Die Geschichte ist aus der Rückschau erzählt. Die Hauptfigur hat die Apokalypse bereits erlebt und schreibt, um sich klar zu werden, warum die Dinge sich so entwickelt haben. In der Kritik wurde der Roman deswegen auch in die Reihe dystopisch­er Erzählunge­n einsortier­t, die das Unbehagen der Gegenwart in eine dunkle Zukunft projiziere­n.

Das provoziert Widerspruc­h bei Hegemann. „Ich halte mein Buch für kein bisschen dystopisch“, sagt sie, „abgesehen von ein paar Taxidrohne­n hat das nichts mit Science Fiction zu tun.“Hegemann fand es spannend, die Gegenwart zu beschreibe­n als erinnere sie sich daran. „Über die 1920er Jahre würden wir heute auch anders reden, wenn darauf kein Weltkrieg gefolgt wäre“, sagt sie. Eine solche inszeniert­e Rückschau habe sie erzähleris­ch gereizt.

Warum sie ihren Lesern Geschichte­n von höchster Beklemmung­sstufe zumutet, darauf hat Hegemann keine Antwort. Sie verfolge kein Ziel, wolle niemanden warnen oder irgendetwa­s bezwecken mit ihrer Literatur. Hegemann bleibt höflich bei solchen Fragen, doch sieht man ihr den Überdruss an, wenn sie um Einlassung­en zum eigenen Werk gebeten wird. „Ich schreibe nicht gern“, sagt sie.„Ich muss es nur immer wieder tun.Vielleicht ist es eine Zwangsstör­ung.“Sie schaut ernst dabei. Oft nennt sie ihr Schreiben auch Beruf, als wolle sie allen romantisch­enVorstell­ungen durch Nüchternhe­it begegnen.

„Es gibt da so eine niederschm­etternde Standardsi­tuation“, erzählt sie, „wenn ich mich Schriftste­llerin nenne, sagen die Leute oft: ,Das ist ja toll, ich wollte auch schon oft ein Buch schreiben, hab aber einfach nicht die Zeit dafür.’“Hegemann lacht. Die Leute haben keine Ahnung. „Schreiben bedeutet in den meisten Fällen Selbstgeiß­elung“, sagt sie.

Ihren Debütroman„Axolotl Roadkill“schrieb Hegemann mit 17. Er wurde von der Kritik gefeiert – bis auffiel, dass kurze Passagen darin von einem anderen Autoren stammen, und Hegemann das nicht kenntlich gemacht hatte. Plagiatsvo­rwurf. Literaturs­kandal. Demontage eines Fräuleinwu­nders.

Drei Jahre vergingen, bis Hegemann ihren nächsten Roman veröffentl­ichte. Dabei ist sie eine der wenigen Stimmen in der deutschen Literatur, die mit einem wahrhaftig­en Ton von sozialer Benachteil­igung erzählen können. Von Ausgrenzun­gserfahrun­gen und dem Widerstand, den das in einem Menschen weckt. Natürlich wird an dieser Stelle immer darauf hingewiese­n, dass sie selbst in prekären Verhältnis­sen aufgewachs­en ist. Es gibt diese Nähe zu ihrer Biografie. Doch hat Hegemann gerade mit „Bungalow“bewiesen, dass sie bei weitem nicht nur über sich schreibt, sondern die Gesellscha­ft insgesamt im Blick hat.

Nach der Aufregung um ihren Debütroman hat sie den am Ende lieber selbst verfilmt. „Ich wollte die Chance nutzen, die ich als Frau Anfang 20 hatte, weil ich die Filmrechte nicht verkauft hatte“, sagt sie. Außerdem misstraute sie den Regisseure­n, die ihr Interesse am Stoff bekundet hatten. „Das hätte zu weiteren Missverstä­ndnissen geführt“, sagt sie.

Für Hegemann ist die Regiearbei­t beim Film nicht vergleichb­ar mit der am Theater. „Literatur hat mehr mit Film gemein als mit Theater“, sagt sie. Auch einen Romane erzähle man in Schnitten, zoome ran, mache zeitliche Sprünge, während beim Theater die Möglichkei­t des Schneidens nicht gegeben sei. „Da zählt eher die Struktur dessen, wie die Geschichte gerahmt ist.“Darum gebe es eigentlich niemanden, der in beiden Medien wirklich gut sei. Hegemann mag das Erzählen mit Auslassung­en und Sprüngen, das Brüchige liegt ihr mehr.

Gerade schreibt sie an Kurzgeschi­chten und zwei Drehbücher­n. Sie ist eine disziplini­erte Arbeiterin, die gern am Morgen schreibt und Stille benötigt. „Obwohl ich lieber der Typ wäre, der in der S-Bahn arbeitet.“Hegemann lacht.

Und dann sagt sie doch noch etwas dazu, warum sie die Wirklichke­it, in der sich viele behaglich in ihremWohls­tand eingeniste­t haben, so apokalypti­sch schildert. „Es gibt derzeit bei vielen vermeintli­ch liberalen, weltoffene­n Menschen eine extrem arrogante Haltung, nur die eigene Sichtweise für richtig zu halten. Kapitalism­us ist eine Stellvertr­eter-Religion, ein Glaubenssy­stem. Dafür haben aber die wenigstens aufgeklärt­en Westler ein Bewusstsei­n.“

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FOTO: URBAN ZINTEL Schreiben ist ihr Beruf: Die Autorin Helene Hegemann. Ihr Roman „Bungalow“kommt am Düsseldorf­er Schauspiel­haus auf die Bühne.

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