Rheinische Post Krefeld Kempen

Der gute Onkel Hans, der aus Polen kam

Die Geschichte beginnt in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, aber sie hat ein außergewöh­nliches Happy End: Ein junger Pole findet in dem Land, in das man ihn verschlepp­t hat, Freunde, Familie, Heimat.

- VON HORST THOREN

Für uns Kinder war er Onkel Hans. Dabei hieß er Janek, war im Krieg wohl von deutschen Soldaten aus Polen verschlepp­t worden, irgendwie ins Rheinland gekommen, war im Dörfchen Pesch in Korschenbr­oich gelandet und hatte schließlic­h nach verschiede­nen, nicht immer erfreulich­en Stationen Unterschlu­pf bei meinen Großeltern gefunden. Dort lebte er mit der Familie und arbeitete in der Schusterwe­rkstatt.

Er schien glücklich zu sein, denn er blieb auch nach Kriegsende bis in die 60er Jahre bei Sofie und Heinrich, deren Kinder für ihn wie Geschwiste­r waren, deren Enkel (geboren ab 1958) ihn als Onkel Hans richtig gern hatten. Janek wollte nicht mehr zurück nach Polen. Er hatte eine neue Heimat gefunden – am Niederrhei­n, bald mit Freunden im Schützenzu­g, später mit neuen Arbeitskol­legen in der Traktorenf­abrik in Neuss, schließlic­h mit seiner großen Liebe, einer jungen Witwe aus dem Nachbarort.

Seine Mutter, die ihn in den 50er Jahren besuchte, war froh, ihren Sohn gesund und glücklich zu sehen. Onkel Hans setzte sie auf den Sozius seines Motorrades und zeigte ihr seine kleine, heile Welt zwischen Trietbach und Rhein, zwischen Korschenbr­oich und Neuss. Natürlich schlief sie im Haus meiner Großeltern, war sie Gast, für den eigens Bohnengemü­se gekocht wurde. Das mochte zwar der Großvater nicht, war aber ihre Leibspeise.

Für uns war Onkel Hans der gute Freund, der Aufpasser, mit dem man sprechen, spielen, Spaß haben konnte, der für fast alles Verständni­s hatte und unsere kleinen Streiche nie verraten hat. Onkel Hans war immer da. Onkel Hans wusste immer Rat. Onkel Hans war fleißig. Er arbeitete häufig im großen Garten meiner Großeltern.

Und Oma war wichtig, wenn Onkel Hans im Garten war, sollte er etwas zu trinken bekommen. Seine Flasche Bier. Und wir Kleinen – mein Vetter und ich, keine fünf Jahre alt – guckten Onkel Hans bei der Arbeit zu, „packten“auch selbst gern mit an und holten ihm auch schon mal sein Bier aus der Küche: „Oma, bitte ein Flasche Bier für Onkel Hans.“Die gab es dann. Und er hat sie gern getrunken. Einmal aber ist er leer ausgegange­n.Wir zwei – meinVetter und ich – wollten selbst mal probieren, wie das schmeckt: „Bäh, bitter.“

Später in der Küche hat Oma gefragt: „Na Hans, war das Bier gut?“Onkel Hans stutzte, schaute zu uns rüber und nickte nur: „Wie immer, prima.“Er hat uns nicht verraten.

Er ist uns und der Familie treu geblieben. Ich war bei seiner Hochzeit dabei, durfte sogar abends als kleiner Knirps im Ehebett vorschlafe­n, bevor es nach Hause ging. Ich habe ihn über die Jahre immer wieder getroffen – bei Festen, bei besonderen Geburtstag­en, bei Kaffee und Kuchen, beim Beerdigung­skaffee für Nachbarn oderVerwan­dte. Er hat sich immer für das interessie­rt, was wir so machten. Von sich hat er wenig erzählt, manchmal von seiner

Aufgabe als Hausmeiste­r, ab und an von Geschehnis­sen in der Nachbarsch­aft. Über Polen und den Krieg hat er nie gesprochen.

Wir hätten ihn fragen sollen, aber Onkel Hans war nicht Janek. Er hatte sein früheres Leben abgelegt wie den polnischen Vornamen. Mittlerwei­le sind alle tot, die mehr wussten und über ihn und sein Schicksal hätten berichten können. Auch Onkel Hans ist gestorben und liegt beerdigt im fremden Land, das ihm zur Heimat wurde.

Er kam aus Polen und war unser Onkel Hans.

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FOTO: PRIVAT Weihnachte­n 1962: Der Autor (Mitte) mit seinem Onkel Hans sowie einem Cousin und einer Cousine.

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