Rheinische Post Krefeld Kempen
Genial am Klavier, loyal im Leben
Vor 200 Jahren wurde Clara Schumann geboren. Als Pianistin prägte sie ihr Jahrhundert, als Komponistin wurde sie erst spät entdeckt.
DÜSSELDORF Der goldene Käfig ist ein Symbol für Gefangenschaft auf hohem Niveau. In ihm lebt keiner unkomfortabel, er muss sich um nichts sorgen. Aber Freiheit sieht anders aus – es sei denn, der Käfig ist auch so etwas wie Heimat, Nest, Unterschlupf, Bastion.
Es liegt nahe, das Leben von Clara Schumann als fortgesetzte Käfighaltung zu betrachten. Als Kind stand sie unter der Fuchtel ihres Vaters Friedrich Wieck. Als grandios begabte Pianistin hatte sie die Erwartungen ihres Publikums zu erfüllen. Als Gemahlin Robert Schumanns erlebte sie das Joch der Ehe und der Wegsperrung in die Küche. Sie kämpfte sich durch acht Schwangerschaften und die sich steigernde Krankheit ihres Mannes. Später erlebte sie, als Alleinerziehende und konzertierende Geldverdienerin, Mutterschaft und Künstlerdasein als unerhörte Bürde. Nie konnte sie, wie sie wollte. Aber: Wie wollte sie denn?
Nun, dieses Leben war mehr als nur eine Plage. Es war vielmehr ein bewusster und bewunderungswürdiger Akt der Emanzipation, obwohl Clara Schumann weder dieses Wort noch dessen Bedeutung je in den Sinn gekommen wäre. Und es war ein Kampf gegen die Beschränkungen, die das bürgerliche 19. Jahrhundert einer Frau auferlegte. Dieser Kampf darf als gewonnen bezeichnet werden.
Clara Schumann geb.Wieck, heute vor 200 Jahren am 13. September 1819 in Leipzig geboren, war am Klavier eine Jahrhundertbegabung, nicht nur technisch, das sahen alle so: Chopin, Liszt, Mendelssohn und natürlich Ehemann Robert selbst. Auf dem öffentlichen Parkett, das ihr der Vater weitsichtig zugedacht hatte, hatte sie keine Konkurrenz zu fürchten, vor allem weil sie eine Frau war. Sie war eben das Gegenteil des donnernden Virtuosen, der das brillante Geklingel damaliger Klaviermusik wie einen Schellenbaum vor sich her trug. Tief drang sie ein in die Erlebniswelt romantischer Klavierpoesie, und das hatte sie Robert zu danken, der als Prophet moderner musikalischer Gedankenwelten ungeheuren Einfluss auf seine Frau ausübte. Sie liebte diesen Einfluss.
Robert seinerseits war nach allem, was wir wissen, das Gegenteil des einfühlsamen Gatten, aber er kannte Claras Stärken und ahnte, dass die nicht nur im Klavier, sondern auch in der Komposition lagen. Einmal schrieb er voller symbiotischer Anerkennung: „Wir geben dann auch Manches unter unseren beiden Namen heraus, die Nachwelt soll uns ganz wie ein Herz und eine Seele betrachten und nicht erfahren, was von dir, was von mir ist.“Das ist eine dieser Liebeserklärungen, die Robert immer druckreif gelangen.
Tatsächlich ist die Komponistin Clara Schumann lange Zeit nicht beachtet worden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erforschte die Musikwissenschaft systematisch ihr Schaffen, und alle gerieten ins Staunen, über welche Phantasie, welche Gedankenschärfe, welche tonsetzerische Formsicherheit sie verfügte. Ihr Klavierkonzert schrieb sie im Alter von 15 Jahren, und es stand in jener Tonart a-Moll, derer sich später Robert für sein eigenes Klavierkonzert bediente.Wer hat da wen inspiriert? Und die einleitenden Oktaven klingen wie eine Vorahnung zu Griegs noch später entstandenem Klavierkonzert (ebenfalls in a-Moll).
Gewiss hat Robert es gehasst, wenn er auf Claras Konzertreisen etwa nach Russland in ihrem Schatten stand, wo er doch selbst ein bedeutender Komponist war. Doch war er damals weithin unbekannt, weswegen es ihn andererseits freuen musste, dass Clara immer auch seine Werke aufs Programm setzte.
Fremdbestimmung war gewiss ein Fluch, der über ihr kreiste. Ihr Vater legte für sie ein Tagebuch an, in dem er – Gipfel väterlicher Besitzergreifung – sogar selbst Eintragungen vornahm, und zwar in der IchForm: Vaters Eintrag als fingierte Autosuggestion des Kindes, wie perfide! Robert zwang sie zu einem gemeinsamen Ehetagebuch, wodurch ihr Innerstes abermals nach außen gekehrt wurde. Andererseits hat sich Clara nie ernsthaft gegen diese Kontrollmechanismen gewehrt; womöglich fühlte sie sich in dieser seltsamen Form von Führung sogar wohl – wir wissen es nicht.
Aber immer wieder gab es Zeichen von Selbstbewusstsein, von keimendem Eigensinn, von individueller Zeichensetzung inmitten einer von außen geregelten Grammatik des Lebens. Die Zuneigung zu Johannes Brahms war eine solche. Sechs Romanzen für Klavier hat Clara Schumann mit einer Widmung versehen, drei galten Robert, drei
andere Johannes. Ob sie den jungen Brahms geliebt hat? Oder ob es ihr gefiel, dass ihr ein anderes Genie, das nicht der eigene Ehemann war, den Hof machte? Jenseits dieses Zwiespalts herrschte jedenfalls ein anderes Gefühl, nämlich die Loyalität der Ehefrau. Selbst als sich Robert aufgrund seiner Neurosyphilis bereits in wirren psychischen Welten befand und irgendwann in die Nervenheilanstalt nach Endenich eingewiesen wurde, hat sie ihrem Mann die Treue bewahrt. Sogar über den Tod hinaus: Die Beziehung zu Brahms war und blieb zärtliche Zuneigung auf Distanz. Es waren ihre Kinder mit Robert, die sie als „Glückspfand unserer Liebe“verstand, obwohl diese Kinder ihr Leben ja nun in größerem Maße bestimmten, als sie es gehofft hatte.
Roberts Tod im Jahr 1856 hätte tatsächlich ein Wendepunkt ihres Lebens sein können, doch die Entfesselung gelang ihr nicht. Ihre kompositorische Produktivität versiegte, als fehlte ihr das Gegenüber der Inspiration. Sie musste Konzerte geben und unterrichten, sie kämpfte sich durchs Leben, blieb aber auf dem Podium die Generalvertreterin Roberts, dessen Werke sie spielte, so oft es ging. 1896 starb sie in Frankfurt.
Es war ein Leben im Käfig, doch stand die Tür offen, und Clara kehrte immer wieder zurück. Gewiss hatte sie keine andere Wahl, aber sie tat es aus Souveränität – und aus Liebe. Wie Clara ihre Rolle und wie sie Klavier spielte, wie sie ihr Leben führte – das nötigt einem noch heute Bewunderung ab. Und Zuneigung. Nicht nur wegen ihrer Düsseldorfer Ehejahre war sie ja ein bisschen auch Rheinländerin. Lebensdevise der Sächsin am Rhein: Wat mutt, dat mutt.