Rheinische Post Krefeld Kempen

Mit 100 Jahren jeden Morgen die RP

- VON SVEN SCHALLJO

Die Zeitung liest Maria Sürder noch immer jeden Tag. Natürlich die Rheinische Post. „Als wir 1975 nach Krefeld zurückgezo­gen sind, haben wir sie gleich wieder abonniert und seitdem lese ich sie“, erzählt die alte Dame. Was sich auf den ersten Blick nicht weiter besonders anhört, wird bemerkensw­ert mit dem Wissen, dass Maria Sürder am heutigen Freitag ihren 100. Geburtstag feiert.

„Da passt man einmal nicht auf und puff ist man 100“, sagt die freundlich­e und sehr offene sechsfache Mutter lachend. Für ihr Alter ist sie sehr fit und folgt dem Gespräch aufmerksam. Drei ihrer Kinder, die älteste Tochter verstarb im Jahre 1990 ein Jahr nach dem Ehemann, sind zu Besuch. Gemeinsam schwelgen sie in Erinnerung­en. Maria Sürder erzählt von den vielen Besuchern, die ihre Kinder hatten. „Bei uns konnte immer jeder zu Besuch kommen. Ich weiß nicht, ob wir überhaupt jemals als Familie, ohne zusätzlich­en Besucher, gegessen haben“, erzählt die Jubilarin. Sie ist Krefelderi­n mit Leib und Seele und wuchs hier auf. Während des Krieges wohnte sie auf dem Hohen Dyk. In den 50er Jahren war ihr Mann Stadtrat in Krefeld und gab der Straße, in der seine Frau noch heute wohnt, ihren Namen.

Nach dem Krieg nahmen die Sürders auch zwei Flüchtling­sfamilien aus Ungarn auf. „Das war für uns nie eine Frage“, erzählt die gelernte Friseurin, die aber in diesem Beruf nie gearbeitet hat. In den 60er Jahren schloss die Fabrik Jammers, wo der Mann arbeitete. So zog die Familie nach Worms. Doch gleich nach der Rente ging es zurück in die Heimat.

Sehr am Herzen liegt Maria Sürder ein früherer Freund ihres Sohnes, den sie mehrfach erwähnt. „Das war ein kleiner vietnamesi­scher Junge mit schweren Napalm-Verletzung­en aus dem Krieg. Er hatte das ganze Gesicht verbrannt, und keiner wollte etwas mit ihm zu tun haben. Bei uns war er sehr oft“, erzählt sie und Tochter Ruth fügt hinzu: „Vor einigen Jahren rief er an, er führe auf einem Schiff auf dem Rhein. Wir sollten kommen und winken. Das haben wir aber leider nicht geschafft.“

Diese Offenheit lebt die 100-Jährige noch heute. In ihren Gartenzaun baute sie eigens ein Törchen zum neben liegenden Sportplatz ein, und wenn Bälle hinüber fliegen, können sich die Spieler diese unkomplizi­ert zurückhole­n. „Und wenn der Ball mal auf dem Dach liegt, gebe ich eine Leiter“, erzählt Sürder. Wie beurteilt sie bei all ihrer Weltoffenh­eit und Hilfsberei­tschaft die aktuelle politische Lage? Ihr Blick wird schwer. „Das macht mich traurig“, sagt sie. „Ich denke, wir können so viel besser leben, wenn wir gut miteinande­r umgehen und offen sind.“

Bis vor fünf Jahren fuhr die 14-fache Groß- und achtfache Urgroßmutt­er noch täglich Fahrrad und schwamm im SVK. Heute verhindert ein Hüftleiden dies ebenso wie die geliebte Gartenarbe­it. Training ist heute Kopfrechne­n, Kreuzwortr­ätsel und Zeitungles­en. „So bleibe ich fit“, sagt sie. Und das hoffentlic­h noch sehr, sehr lange.

 ??  ?? Maria Sürder bei der Lektüre der Rheinische­n Post. Seit 1975 ist sie Abonnentin und liest noch jeden Tag die Zeitung – mit inzwischen 100 Jahren.
Maria Sürder bei der Lektüre der Rheinische­n Post. Seit 1975 ist sie Abonnentin und liest noch jeden Tag die Zeitung – mit inzwischen 100 Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany