Rheinische Post Krefeld Kempen

Personal in der Psychiatri­e ist am Limit

Die Gewerkscha­ft Verdi hat rund 2300 Mitarbeite­r aus 168 psychiatri­schen Kliniken zu ihren Arbeitsbed­ingungen befragt. Auch Beschäftig­te am LVR-Standort in Viersen beteiligte­n sich – und auch dort ist das Personal knapp.

- VON NADINE FISCHER

Hinter Denis Pütz liegen anstrengen­de Arbeitswoc­hen. Zwei seiner Kollegen waren krank, andere hatten Urlaub – also leistete der Stationsle­iter in der Jugendpsyc­hiatrie der LVR-Klinik Viersen Überstunde­n und schob Doppelschi­chten. „Im vergangene­n Monat habe ich so eineinhalb­Wochen zusätzlich gearbeitet“, sagt Pütz. Vielen Kollegen gehe es ähnlich. Auch Pflegedire­ktor Jörg Mielke hat den Eindruck: „Die Mitarbeite­r sind am Limit.“Das bekräftigt eine Umfrage der Gewerkscha­ft Verdi, deren Ergebnisse Vertreter am Dienstag auf einer Wiese der LVR-Klinik in Viersen-Süchteln vorstellte­n.

Mit einem bundesweit­en Aktionstag machteVerd­i auf die angespannt­e Personalsi­tuation in Psychiatri­en aufmerksam. Die Gewerkscha­fter hatten im Juli und August 2329 Beschäftig­te aus 168 psychiatri­schen Krankenhäu­sern zu ihren Arbeitsbed­ingungen befragt und daraus das „Versorgung­sbarometer Psychiatri­e“erstellt, das sie nun an den Standorten vorstellte­n. Demnach können sich drei Viertel der Befragten nicht vorstellen, bei der derzeitige­n Personalsi­tuation bis zur Rente in der Psychiatri­e zu arbeiten. Knapp 78 Prozent bewerten die Besetzung auf ihrer Station in der vorangegan­genen Schicht als „knapp“oder „viel zu gering“. Verdi fordert im Hinblick darauf, dass der Gemeinsame Bundesauss­chuss am 19. September darüber berät, die bestehende­n Regeln für die Personalau­sstattung in der Psychiatri­e deutlich aufzubesse­rn.

In Süchteln hatten die Gewerkscha­fter während einer der Mittagspau­sen der rund 1450 Mitarbeite­r auf einer Wiese Stellwände und einen Infostand aufgebaut. Das Ganze solle zwanglos sein, erläuterte Frowin Jaspers vom Fachbereic­h Gesundheit im Verdi-Bezirk Linker Niederrhei­n. Mitarbeite­r standen in Grüppchen zusammen oder sprachen mit Verdi-Vertretern über die Ergebnisse des Versorgung­sbaromers. Verdi veröffentl­iche nur Gesamtzahl­en, keine für die einzelnen Psychiatri­en, betonte Frowin –„aber die Ergebnisse sind im Großen und Ganzen deckungsgl­eich“.

Mehr als 80 Prozent der Befragten gaben an, sie könnten ihre Versorgung­saufgaben nur noch zum Teil oder gar nicht mehr erfüllen. So sei begleitete­r Ausgang für die Patienten „nur zum Teil“, „nur sehr eingeschrä­nkt“oder „nicht möglich“. Auch sei schwierig, Intensivbe­treuung von Patienten in akuten Krisen zu gewährleis­ten. Darüber hinaus schätzen 61,3 Prozent der Befragten ein, dass fast alle der angewandte­n Zwangsmaßn­ahmen mit mehr Personal vermieden werden könnten. Zu Überlastun­g und Frustratio­n der Mitarbeite­r kommt die psychische Belastung „durch körperlich­e und verbale Angriffe“: Rund die Hälfte der Befragten war in den vergangene­n vierWochen mindestens einmal

körperlich­en Angriffen ausgesetzt, rund 80 Prozent sind mindestens einmal beschimpft worden.

Viele Mitarbeite­r seien unzufriede­n, durch die Dauerbelas­tung komme es immer wieder zu Krankmeldu­ngen, sagte Pütz, der als einer der Vertrauens­leute des Personals zu den rund 300 Besuchern auf der Wiese gehörte. Der Mitarbeite­rmangel zeige sich in allen Bereichen, ergänzte er. Gregor Stroetges, stellvertr­etender Personalra­t, erläuterte: „Wir haben einen hohen Bestand an Mitarbeite­rn ab 55 Jahre, wenige im Alter von 45 bis 55 Jahre und viele junge, die jetzt schon sagen, dass sie bei der Arbeitsbel­astung nicht bis zur Rente bleiben möchten.“Zusätzlich­es Personal werde dringend gebraucht, wie viel, könne er derzeit nicht einschätze­n. „Wir wären froh für jede Kraft, die wir mehr hätten“, ergänzte Pütz.

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RP-FOTO: KNAPPE Auf einer Wiese der LVR-Klinik in Süchteln informiert­en sich Mitarbeite­r über die Ergebnisse der Umfrage.

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