Rheinische Post Krefeld Kempen
In der Tiefe des Maschinenraums
Beim Deutschlandtag der Jungen Union bringen sich die möglichen Kanzlerkandidaten von CDU und CSU in Stellung.
SAARBRÜCKEN Annegret Kramp-Karrenbauer hätte auch in dem Regenmantel kommen können, den ihr die Junge Union vor einem Jahr geschenkt hatte. Er war schließlich gedacht für schlechte Zeiten, wenn einem der Wind ins Gesicht bläst und alles auf einen einprasselt. Die jüngsten Wahlergebnisse sind schwach, die Umfragewerte für die CDU mies, und das Vertrauen der Bürger in die Parteichefin sinkt den Erhebungen zufolge kontinuierlich.
Damals beim Deutschlandtag der JU in Kiel war die Welt für sie noch in Ordnung. Als CDU-Generalsekretärin war sie streitlustig und unbeschwert. „Annegreat“, schallte es ihr entgegen. Heute ist sie Verteidigungsministerin und angeschlagene CDU-Vorsitzende, und die JU hielt ihr bei ihrem Jahrestreffen am Wochenende in Saarbrücken die Forderung nach einem Mitgliederentscheid über die Kanzlerkandidatur unter die Nase. Das erste Zugriffsrecht der Parteichefin will ihr die JU unter ihrem neuen Chef Tilman Kuban nicht zugestehen.
Eigentlich sollte der Auftritt in Saarbrücken für die Saarländerin ein Heimspiel werden, doch es wurde ein Auswärtsspiel. Ihre Konkurrenten waren alle schon da: Friedrich Merz und Markus Söder wurden frenetisch gefeiert, Armin Laschet wurde mit „Armin, Armin“-Rufen begrüßt und Jens Spahn, der große Förderer der JU, überraschend lieblos behandelt. Aber die Unbeliebteste bei der Nachwuchsorganisation ist die Parteichefin.
Sie hatte sich jedoch gewappnet für diesen Auftritt. Anders als ihre Vorredner nahm die 57-Jährige am Sonntag das Mikrofon in die Hand und blieb nicht hinter dem Podium, sie sprach frei und ging auf der Bühne lässig hin und her. Sie erklärte ihren Kurs für die Bundeswehr, die Digitalisierung, den Klimaschutz. An diesem Tag war aber nicht nur wichtig, was sie rüberbringt, sondern wie sie rüberkommt. Die Saarländer seien Menschen, die nicht viel Theater um sich machten, es seien nicht die „Lauten und Schrillen“, sagte sie. Saarländer säßen im „Maschinenraum“. Aufstehen, Arbeit, Familienleben, Kramp-Karrenbauer.
Sie ging auch auf den Vorwurf ein, sie habe den antisemitisch motivierten Doppelmord eines Rechtsextremisten in Halle an der Saale verniedlicht, indem sie von einem „Alarmzeichen“sprach. Halle sei eine Schande und ein Einschnitt, betont sie. Aber das Attentat sei auch ein Alarmzeichen, weil zuvor Hakenkreuze oder der Mord anWalter Lübcke nicht als Alarm wahrgenommen worden seien. Sie räumte ein, dass ihr bisher„beiWeitem nicht alles gelungen ist“. Aber sie mahnte: „Lasst uns streiten, aber lasst uns nie vergessen, der politische Gegner sitzt außerhalb, nicht innerhalb.“Stehender Beifall. Nur eine Gruppe aus NRW, dem Merz-Land Sauerland, blieb sitzen.
Ein Delegierter warrf Kramp-Karrenbauer vor, sie sei kein gutes Beispiel für Glaubwürdigkeit, etwa weil sie ins Kabinett wechselte, obwohl sie sich vorher einmal dagegen ausgesprochen hatte. Kramp-Karrenbauer erinnerte daran, dass sie ihr sicheres Amt als Ministerpräsidentin gegen den unsicheren Posten der CDU-Generalsekretärin getauscht und damals das Angebot der Kanzlerin zum Wechsel ins Kabinett ausgeschlagen habe. DasVerteidigungsministerium habe sie nun übernommen, um die Bundeswehr wieder zur Chefsache zu machen. Zur Sache der CDU-Chefin.
Bei der JU bemisst sich Sympathie in Länge und Lautstärke des Beifalls. Die Rede des früheren Fraktionschefs Friedrich Merz am Freitagabend wurde bejubelt und auch der Umstand, dass der mutmaßliche Weintrinker mit Kuban auf der Bühne ein Bier aus der Flasche trank. Wann der Bundestag auch immer neu gewählt werde, die Union werde wieder richtige politische Auseinandersetzungen führen müssen, sagte er. „Und wenn Sie wollen, dass ich dabei bin, dann bin ich dabei.“Je mehr sich die CDU um das Personal streitet, desto stärker rückt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in den Fokus. Er betonte zwar gleich zu Beginn: „Ich habe meinen Traumjob gefunden.“Aber höher geht ja immer.
Wie man eine Stimmung auch wieder drehen kann, zeigte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, der sich seit Wochen anhören muss, dass er eine Fehlbesetzung sei. Merz, der Ziemiak verdächtigt, JU-Leute zur Wahl von Kramp-Karrenbauer gedrängt zu haben, hatte ihn scharf angegriffen. Ziemiak dürfe die politische Rhetorik nicht weiter der Konkurrenz überlassen. Unter Heiner Geißler wäre das nicht passiert, ätzte Merz. Geißler, der 1977 im Alter von 47 Jahren das Amt übernahm. Kein CDU-Generalsekretär hatte mehr politisches Gewicht als er.
Der 34-Jährige Ziemiak ließ das abtropfen. „Viele blicken zurück und sagen, wie war das früher mal in der Union. Ich will, dass die nächste Generation der JU nicht auf ganz früher zurückschaut, sondern eigene Ideen hat.“Er berührte die Delegierten mit der Mahnung, dass Probleme von Juden, Ausländern, Armen immer auch Probleme der Christdemokraten sein müssten. Wenn ein Junge mit anderer Hautfarbe ausgegrenzt werde, dann sei das so, als wäre es sein eigenes Kind. Im Saal sprangen sie auf und feierten den Ex-JU-Chef. Mehr Applaus bekam an diesemWochenende keiner.