Rheinische Post Krefeld Kempen

Mal zart, mal dramatisch düster

Der Bonner Kammerchor gastierte in der Kempener Thomaskirc­he.

- VON GABRIELE M. KNOLL

KEMPEN Die Programman­kündigung „Geistliche Chormusik der Romantik“lockte am Samstagabe­nd trotz des Hinweises auf die allgemein beliebte Epoche der Romantik weniger Publikum in die Thomaskirc­he, als man es wohl erwartet hatte. Außerdem stimmte der Titel nur sehr eingeschrä­nkt. Bei aller Großzügigk­eit, mit der man die musikwisse­nschaftlic­he Epoche der Romantik auf fast das gesamte 19. Jahrhunder­t ausdehnt, für Werke, die 1912 (die Vertonung des 130. Psalms von Heinrich Kaminski), 1934 (die Missa six vocibus von Joseph Ryelandt) und 2015 (Reminiscer­e von Colin Mawby) entstanden sind, gilt sie nun wahrlich nicht mehr.

Trotz der„Mogelpacku­ng Romantik“waren gerade einmal die mittleren Kirchenbän­ke beim Auftritt des Bonner Kammerchor­s auf seiner diesjährig­en Konzertrei­se an den Niederrhei­n in Kempen zur Hälfte gefüllt. Mit der Vertonung des 130. Psalms „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“von Heinrich Kaminski (1886-1946) beginnt der gemischte A-cappella-Chor unter seinem Dirigenten Georg Hage.

Bald wird deutlich, dass eine große Homogenitä­t zum Markenzeic­hen dieses Chors gehört. Im zweiten Gesang„Ich harre auf den Herrn“ lässt er zurückhalt­end dem Solo von Ute Baumgartne­r allen Raum, den dieser Part benötigt. Das folgende Werk „Reminiscer­e“komponiert­e Colin Mawby (*1936) zum Gedenken an die Opfer des Atombomben­abwurfs über Hiroshima. Der Bonner Kammerchor hat im April 2019 dieses Werk uraufgefüh­rt.

Mit schwebende­n Stimmen entsteht eine Räumlichke­it im Gesang, das Sphärische zwingt geradezu, die Gedanken schweifen zu lassen, sich an diese Katastroph­e zu erinnern. Auch bei dem anspruchsv­ollen zeitgenöss­ischen Werk mit seinen moderneren Harmonien und starken Kontrasten beweist der Chor seine Homogenitä­t.

Ausdruckss­tark setzen die Sängerinne­n und Sänger die Texte um. Da wird das „Da pacem“(Gib Frieden) von einem leisen Flehen zu einer energische­r vorgetrage­nen Bitte. Ein unverkennb­arer Jubel werden die letzten Zeilen, die zum Lob des Herrn auffordern. Diese Musik von Mawby lässt sich trotz ihrer Entstehung­szeit schon mehr Romantik als der Gegenwart zuordnen.

Dann sind zwei unzweifelh­aft „originale“Kompositio­nen der Romantik zu erleben. Einfühlsam zart oder beschwören­d auf der einen Seite, dramatisch düster auf der anderen – je nach Text – und mit perfekten Wechseln der Lautstärke­n interpreti­ert der Chor geistliche Musik von Peter Cornelius (1824-1874) und Hugo Wolf (1860-1903).

Als Hauptwerk des Konzertpro­gramms folgt eine Rarität, die Missa six vocibus op. 111 für sechsstimm­igen Chor a cappella von Joseph Ryelandt (1870-1965). Dieses Werk des 20. Jahrhunder­ts verbindet – so die Konzertank­ündigung „die Kompositio­nsprinzipi­en der Vokalpolyp­honie des 16. und 17. Jahrhunder­ts mit Strömungen der romantisch­en Musiktradi­tion des 19. Jahrhunder­ts“. In höchst überzeugen­der Weise setzt der Bonner Kammerchor den Inhalt um.

Für den langen Applaus der Zuhörer bedankt der Kammerchor sich mit dem Abendlied „Bleib bei uns“(Erstfassun­g von 1855) Josef Gabriel Rheinberge­r (1839-1901). Dabei stellt sich der Chor um die mittleren Kirchenbän­ke herum auf und lässt die verschiede­nen Stimmen um die Zuhörer kreisen. Ein schön inszeniert­er Ausklang eines stimmungsv­ollen Konzerts im Geiste der Romantik!

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Der Bonner Kammerchor gastierte im Rahmen seiner Konzertrei­se in der Kempener Thomaskirc­he.

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