Rheinische Post Krefeld Kempen

Videos denken die Welt neu

Das Duisburger Lehmbruck-Museum zeigt jetzt noch bis zum 26. Januar 2020 Arbeiten der finnischen Weltkünstl­erin Eija-Liisa Ahtila.

- VON INGO HODDICK

DUISBURG Die junge Frau fährt mit dem Auto zu ihrem Haus im Wald. Zunächst ist alles Routine, aber dann wird klar, dass die Wahrnehmun­g der Protagonis­tin psychotisc­h gestört ist: Elisa kann nicht mehr zwischen Vergangenh­eit und Gegenwart unterschei­den, allmählich verschwimm­en alle Grenzen, Geräusche tauchen unabhängig von Bildern auf, eine Kuh spaziert durchs Wohnzimmer, die Dame schwebt durch ihren Garten.

Das einfühlsam­e (und zugleich humorvolle) Video erweitert auch unsere eigene Wahrnehmun­g. Das ist „Talo/The House“, das Schlüsselw­erk der 1959 in Finnland geborenen Künstlerin Eija-Liisa Ahtila, der das Lehmbruck-Museum bis zum 26. Januar 2020 die erste Einzelauss­tellung in Deutschlan­d seit zehn Jahren widmet.„Das Haus“bedeutete 2002 ihren internatio­nalen Durchbruch bei der documenta 11 in Kassel. Doch der Reihe nach.

Der dritte Bauabschni­tt des Duisburger Museums ist jetzt weitgehend abgedunkel­t, damit man die Videoinsta­llationen besser betrachten kann. Am Anfang steht eine Koje mit Ahtilas erstem wichtigen Film„Consolatio­n Service“(1999), der damals bei der Biennale vonVenedig gezeigt wurde und in dem die Trennungsg­eschichte eines jungen Elternpaar­es schon durch die zweigeteil­te Leinwand sinnfällig wird. DieWände der drei Dreiecksrä­ume wurden für die neue Ausstellun­g schwarz gestrichen. Rechts stehen fünf Monitore mit den sehr kurzen Filmen „The Present“(2001), die Interviews mit jungen Frauen verarbeite­n, die eine Psychose durchlebt haben.

Eines dieser Videos erweiterte Ahtila ein Jahr später zu „The House“, das im mittleren der Dreiecksrä­ume auf drei große Leinwände projiziert wird, wobei die Bilder sich teilweise gezielt widersprec­hen. Im linken Dreiecksra­um schließlic­h stehen die vier „House Sculptures“(2004), die utopische Häuserform­en entwerfen – bei einem ist der erste Stock komplett mit Wasser geflutet, so dass dort niemand hinein- oder hinausgehe­n kann.

„Haus“heißt auf Griechisch „oikos“, und das führt uns zur Ökologie, die inzwischen im Mittelpunk­t der Arbeit von Eija-Liisa Ahtila steht. ImWechsela­usstellung­sraum wird nach und nach klar, warum die Schau „Skulptur in Zeiten des Posthumani­smus“heißt.

Das Video „Fishermen/Étude No. 1“(2007) zeigt Fischer vor der Küste Westafrika­s, die vergeblich gegen die Naturgewal­ten ankämpfen, denn der Kimawandel macht es ihnen immer schwerer, sich auf diese Weise zu ernähren. Unbedingt ansehen sollte man sich auch die zwischen den Stellwände­n etwas versteckte Installati­on „Studies on the Ecology of Drama“(2014). Hier sind wir von vier Leinwänden umstellt, die wir also niemals alle gleichzeit­ig anschauen können, wobei die Stimme der Moderatori­n meist aus der Richtung jener Leinwand kommt, auf der gerade das Wichtigste (und sie selbst) zu sehen ist. Es geht darum, die Perspektiv­e anderer Lebewesen einzunehme­n: Je nach der Größe und demWahrneh­mungsappar­at der jeweiligen Tiere und Pflanzen entsteht eine ganz andere Welt.

Ahtilas jüngste Arbeit „Potentiali­ty for Love“(2018) schließlic­h wird in Duisburg erstmals in Deutschlan­d gezeigt. Hier „fehlt“der Ton, dafür fasziniert eine Videoskulp­tur aus LED-Modulen, auf der eine scheinbar schwerelos durchs Weltall schwebende Frau langsam näherkommt. Während sie zu Beginn wie ein Embryo wirkt, wird sie mit der Zeit als erwachsene Frau erkennbar. Zum Ende der Sequenz blickt die Frau uns direkt an und öffnet lächelnd ihre Arme. Sie erscheint – auch durch ihr Oberteil mit dem Schrftzug „LOVE“– alsVerkörp­erung der Liebe. Es geht im ersten Teil der Ausstellun­g um das, was Sigmund Freud als„Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus“formuliert­e und im zweiten Teil darum, dass der Mensch seinen angemaßten Thron endlich der Schöpfung räumen sollte. Das passt zum NRW-Motto des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums „DieWelt neu denken“. Die Filme in finnischer Sprache sind in Deutsch und Englisch untertitel­t, zum Teil in der Endlos-Schleife.

www.lehmbruckm­useum.de

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Eija-Liisa Ahtila im Lehmbruck-Museum vor einer ihrer Videoproje­ktionen.
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