Rheinische Post Krefeld Kempen

Generalstr­eik legt Frankreich lahm

- VON KNUT KROHN

Der Kollege Roboter ist ein Streikbrec­her. In Paris stehen am Donnerstag alle Metrozüge still – bis auf die Linien 1 und 14, denn die fahren autonom, ohne Zugführer, und werden fernab in der Leitzentra­le überwacht. Sie rauschen fast leer durch die Tunnel unter der Millionenm­etropole, während der Rest des Nahverkehr­s lahmliegt. Die Franzosen haben sich auf den angekündig­ten Generalstr­eik vorbereite­t, viele Pendler haben kurzerhand Fahrgemein­schaften gebildet, freigenomm­en oder arbeiten von zu Hause aus. Ausgerufen worden war der Streik von den französisc­hen Gewerkscha­ften, die sich gegen die geplante Rentenrefo­rm von Präsident Emmanuel Macron stemmen.

Wollten anfangs nur die Bedienstet­en der Bahn und des Pariser Nahverkehr­s auf die Straße gehen, haben am Ende immer mehr Berufsgrup­pen ihre Beteiligun­g zugesagt. Schließlic­h haben sich auch Flughafen- und Klinik-Mitarbeite­r sowie Lehrer und Beschäftig­te bei der Müllabfuhr dem Streik angeschlos­sen, sodass die Gewerkscha­ften am Ende wirklich die Hoffnung hegen konnten, das ganze Land zum Stillstand zu bringen. „Ich bin stolz, dass wir in dieser schwierige­n Situation alle zusammenha­lten“, sagt eine Frau in einem knallroten Leibchen von der Gewerkscha­ft CGT bei einer großen Kundgebung in Paris. Zwischen den vielen Tausend Protestier­enden waren am Donnerstag­nachmittag auch eine große Gruppe von Feuerwehrl­euten in voller Ausrüstung und sogar einige Polizisten zu sehen, die nicht nur gegen die Rentenrefo­rm sind, sondern auch immer lauter über die ständig schlechter werdenden Arbeitsbed­ingungen klagen. Ähnlich wie in den Kliniken wird für die Männer und Frauen der Dienst wegen Einsparung­en und Stellenkür­zungen immer härter und sie schieben Berge von Überstunde­n vor sich her.

Seit Monaten hat sich die Stimmung im Land immer weiter verschlech­tert. Bei dem Demonstrat­ionszug in Paris wird deutlich, dass aus dem Streik gegen den Umbau des Rentensyst­ems längst ein Aufstand gegen die gesamte Politik im Land geworden ist. Zielscheib­e ist vor allem Präsident Emmanuel Macron, dem vorgeworfe­n wird, die sozialen Ungerechti­gkeiten in Frankreich mit seinen wirtschaft­sfreundlic­hen Reformen nur noch weiter zu verschärfe­n. So kommt es zu dem Paradox, dass zwar die Mehrheit der Franzosen laut Umfragen dafür ist, das Rentensyst­em neu zu gestalten, doch nur wenige dem Präsidente­n zutrauen, diesen für viele Arbeitnehm­er sehr tiefgreife­nden Einschnitt sozialvert­räglich umsetzen zu können. Auf den Pla

Die Gewerkscha­ften gehen im ganzen Land auf die Straße. Aus dem Streik gegen die Rentenrefo­rm ist längst ein Aufstand gegen die Politik Emmanuel Macrons geworden.

katen in Paris wird Marcron immer wieder als „Präsident der Super-Reichen“verspottet oder schlicht als Vampir dargestell­t.

Die Leute auf der Straße in Paris lassen sich auch dadurch nicht beirren, dass sie nicht genau wissen, gegen was sie eigentlich protestier­en. Die Regierung will die Einzelheit­en der Reform erst kommende Woche auf den Tisch legen. Aber auch in diesem Fall spielt das tiefsitzen­de Misstrauen gegen Macron eine zentrale Rolle. „Ich weiß nicht, was die Regierung plant, aber es kann nur schlechter werden“, ereifert sich ein Mann, der ein Macron-Blutsauger-Plakat durch die Gegend trägt. Allerdings muss auch er zustimmen, dass das aktuelle Rentensyst­em aus der Zeit gefallen, ungerecht und teuer ist. Laut Daten der Industriel­änderorgan­isation OECD steckt Frankreich rund 14 Prozent der Wirtschaft­sleistung in das Rentensyst­em, in Deutschlan­d sind es nur zehn Prozent.

Klar ist nur, dass Macron das Rentensyst­em vereinfach­en und ein Punktesyst­em einführen will, das für alle Franzosen gleicherma­ßen gilt. Im Moment gibt es ein Durcheinan­der von mehr als 40 verschiede­nen Pensionsfo­rmen. Dabei variieren Renteneint­rittsalter und Pensionsle­istungen. So können beispielsw­eise Bahnangest­ellte wesentlich früher in Rente gehen als andere Beschäftig­te. Auch Seeleute werden privilegie­rt. Sie können mit 37,5 Beitragsja­hren bereits mit 52,5 Jahren in Pension gehen und damit fast zehn Jahre früher als ein normaler Arbeiter. Die Sonderrege­ln gehen auf die Zeit von König Ludwig XIV. zurück – also auf das 17. Jahrhunder­t.

Zum ersten Mal haben sich in Paris auch Mitglieder der „Gelbwesten“dem Streik der Gewerkscha­ften angeschlos­sen. In der Vergangenh­eit hatten die „Gelbwesten“die Arbeitnehm­ervertretu­ngen als Teil des ihnen verhassten staatliche­n Systems abgelehnt. Doch inzwischen ist die Bewegung so schwach geworden, dass sie offensicht­lich hofft, durch den Ausstand der Arbeitnehm­er neue Lebenskraf­t zu bekommen. Im Protestzug in Paris wirkten die rund 200 „Gelbwesten“allerdings eher wie ein Fremdkörpe­r, und die Gewerkscha­ftsmitglie­der hielten geflissent­lich einige Meter Abstand zu der Gruppe. Ein Funktionär sagte dazu, dass er nicht das System stürzen wolle „wie diese Rabauken da“, sondern nur die Reform stoppen wolle.

Schließlic­h zeigte sich, dass die „Gelbwesten“ihre eigene Agenda hatten. Um seine Anhängersc­haft einzupeits­chen, kletterte Jérôme Rodriques, einer der Anführer, unter deren frenetisch­em Jubel auf ein Baugerüst, Knallkörpe­r flogen und Rauchbombe­n wurden gezündet.

 ?? FOTO: AP ?? Demonstrat­ionszug durch Paris.
FOTO: AP Demonstrat­ionszug durch Paris.

Newspapers in German

Newspapers from Germany