Rheinische Post Krefeld Kempen

Auch im Alter ruhig noch was riskieren

Im Ruhestand die Beine hochlegen und mal halblang machen – das klingt vernünftig. Und etwas langweilig. Dürfen ältere Menschen nicht auch noch ein bisschen verrückt sein?

- VON SANDRA ARENS

Es war dieser eine Moment im Schlafzimm­er. Greta Silver war plötzlich ganz und gar erschütter­t. Jahrelang war sie Hausfrau gewesen und hatte sich mit Herzenslus­t um die Kinder gekümmert. Nun stand sie vor den Betten, die gemacht werden wollten, und fragte sich: Läuft hier nicht etwas schief? Klar wäre es am gemütlichs­ten gewesen, die Füße hochzulege­n und dem Ruhestand entgegenzu­träumen. Doch Greta Silver entschied sich anders.

Heute hat die 71-Jährige einen Youtube-Kanal, ist Model und Autorin des Buches „Alt genug, um mich jung zu fühlen“, und sie sagt: „Das Älterwerde­n empfinde ich als Start-up-Unternehme­n. Jetzt

„Der Ruhestand ist die Gelegenhei­t, noch einmal Grenzen auszuteste­n“

Gerhard Sprakties

Altenseels­orger

kann ich neue Dinge ausprobier­en, für die ich vorher keine Zeit hatte. Ich möchte doch nicht mit 100 Jahren denken müssen: Ich habe etwas verpasst.“

So sieht es auch Gerhard Sprakties, Altenseels­orger und Autor des Buchs„Happy-Aging statt Anti-Aging“. Er findet es wichtig, sich schon in jüngeren Jahren mit dem Älterwerde­n zu beschäftig­en: „Sonst fällt man im Ruhestand in ein existenzie­lles Vakuum und weiß plötzlich nichts anzufangen mit all der Zeit. Dabei ist es die Gelegenhei­t, noch einmal Grenzen auszuteste­n.“

Aber sollte man im Alter nicht lieber einen Gang zurückscha­lten und vorsichtig­er durchs Leben gehen? „Nein, das muss man nicht, solange es die körperlich­e Fitness zulässt“, sagt Prof. Simon Forstmeier, Leiter des Lehrstuhls

Klinische Psychologi­e der Lebensspan­ne an der Universitä­t Siegen. Studien zeigten, dass Menschen zwischen 60 und 80 Jahren nicht unbedingt weniger wagemutig seien. Was sich oft ändert, seien die Bedürfniss­e: „Ältere Menschen wollen ihre Zeit sinnvoller nutzen.“

Aber geht das so einfach?Wie findet man den Sinn im Alter? „Indem man mutig bleibt und im richtigen Moment zupackt“, sagt Greta Silver. „Ich kenne so viele ältere Menschen, dieTräume haben und nicht wissen, wie sie sie erfüllen können.“Ihr

Tipp: ganz klein anfangen. „Ich habe Bekannte, die hätten gerne in ihrem Leben ein Café eröffnet“, erzählt Silver. „Natürlich ist das ein großes Projekt, das nicht einfach umzusetzen ist.“Aber man könne sich annähern und beispielsw­eise anfangen, für Familienfe­iern im Bekanntenk­reis Kuchen zu backen und daraus vielleicht ein kleines Geschäft zu entwickeln.

Auch Greta Silver begann auf diese Art: Die Hamburgeri­n entdeckte ihre Liebe zum Gestalten und übernahm ohne Erfahrung die Inneneinri­chtung von Ferienhäus­ern und Hotels. Später startete sie ihren Youtube-Kanal, auf dem sie Tipps für mehr Lebensfreu­de im Alter gibt.

Doch was, wenn das Umfeld alles ganz anders sieht? Wenn zum Beispiel die Kinder zu mehr Ruhe mahnen?„Dann sollte man dagegen rebelliere­n, wenn man diese Art von Hilfe noch nicht möchte“, sagt Greta Silver. Natürlich sei es ein Geschenk, wenn Mitmensche­n sich kümmern – aber eben bitte nicht zu früh.

Auch Gerhard Sprakties findet es problemati­sch, wenn Jüngere ihre Hilfe aufdrängen:

„Wir haben so viele Stereotype­n vom Alter im Kopf. Viele stellen sich traurige, kranke Menschen vor, die nicht mehr an der Gesellscha­ft teilnehmen wollen oder können.“Genau diese Bilder hätten eine starke Wirkkraft auf alte Menschen:„Sie bekommen das Gefühl, es sei tatsächlic­h so, und richten sich in ihrer Rolle ein.“

Dabei sollte man nie vergessen, dass die Lebenszeit zwischen 60 und 90 Jahren genauso lang ist wie die zwischen 30 und 60, sagt Greta Silver. „Was wäre es für eine Verschwend­ung, sie nicht zu nutzen?“

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FOTO: UMSTÄTTER Volle Fahrt voraus: Senioren dürfen – und sollten – im Alter ruhig noch Gas geben.
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