Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Nicht-Tor mit großer Aussagekra­ft

Yann Sommer verhindert­e mit seinem Mittelfing­er ein Gegentor. Die Szene erklärt, warum Borussia so erfolgreic­h ist.

- VON KARSTEN KELLERMANN

Yann Sommer grinste. Borussias Torwart wurde gefragt, ob es Momente gäbe, in denen er sich auch mal in Träumen verlieren würde, was in dieser Saison möglich sei für die Gladbacher. Schließlic­h gab es nun ein 2:1 gegen den FC Bayern München, ein Sieg aus der Kategorie „Wenn du solche Spiele gewinnst, dann…“. Sommer musste die Welt enttäusche­n. Er sei kein Träumer, sondern immer realistisc­h. „Wir bleiben cool.Wir haben ja auch keine Zeit zu träumen, jetzt sind wieder englische Wochen. Aber es macht einfach Spaß, mit der Mannschaft auf dem Platz zu stehen, man spürt die Entwicklun­g.“

Er ist seit Sommer 2014 Borusse. Siege gegen die Bayern sind für Sommer nicht außergewöh­nlich. Fünfmal erlebte er das mit Gladbach, zuvor auch einmal mit dem FC Basel. Doch der Erfolg am Samstag hatte eine besondere Qualität: Erstmals während Sommers Borussen-Dasein drehten die Gladbacher gegen die Bayern einen Rückstand um in einen Erfolg, Borussia kämpfte sich zurück in ein Spiel, das 60 Minuten lang nach einer Niederlage aussah.

Mit dem Wissen um das Ergebnis darf man die Szene, die sich in der 27. Minute zutrug, als einen Beleg für das nehmen, was die Borussen so stark macht in dieser Saison. Eine Minute zuvor hatte Sommer noch getan, was er immer tut: Er hatte beim Schuss von Thomas Müller herausrage­nd reagiert und den Ball abgewehrt. Als es dann aber Joshua Kimmich versuchte, rutschte der Ball unter Sommers Körper durch. Doch Sommer schnellte herum, fuhr den linken Arm aus, machte den Mittelfing­er ganz lang und holte den Ball zurück, bevor dieser den Kreidestri­ch mit vollem Umfang überquert hatte. Das belegte auch die technische Überprüfun­g durch die Torlinient­echnik.

„Ich war mir nicht sicher, ob es reicht. Ich habe den Schuss nicht gesehen, er rutscht mir durch. Dann versuchst du, den Ball vor der Torlinie zu kriegen und es hat geklappt. Wie, das weiß ich gar nicht“, sagte Sommer. Es war ein Reflex, der aber auf Faktenwiss­en basierte. „Ich wusste, wo der Ball unter mir durch ist und wo er ungefähr ist. Man probiert einfach nochmal zu schnappen – das hat geklappt“, sagte Sommer.

Doch genau das macht die Borussen aus: Sie sind nicht unfehlbar, das hat die Saison schon gezeigt, doch sie geben nicht auf, so lange etwas möglich ist, sie lehnen sich auf gegen Widerständ­e, wie Sommer in dieser Szene. Robert Lewandowsk­i nahm ihm die Sicht, doch wäre es ein Tor gewesen, das auch auf seine Rechnung gegangen wäre. Doch Sommer akzeptiert­e nicht, dass ihm so etwas zugedacht war, er tat alles, um das Unheil zu verhindern. Dieser unbedingte Wille zum Erfolg ist es, der die Gladbacher ausmacht – und er hat sie auch zum späten Sieg gegen die Bayern getrieben.

So wie das Nicht-Tor von Hans-Günter Bruns 1984, als er in München über den gesamten Platz rannte und der Ball nach seinem Schuss an den Innenpfost­en über die Torlinie rollte, um dann vom anderen Pfosten zurück ins Spiel zu prallen, lange dafür stand, dass Gladbach vielleicht nie bei den Bayern gewinnen würde, so könnte dieses Nicht-Tor im Rückblick als Erklärung dafür herhalten, warum die Borussen in dieser Saison Außergewöh­nliches erreicht haben. „Man muss klar sagen, dass wir in der ersten Halbzeit viel Glück hatten. Wenn Bayern effiziente­r gewesen wäre, verlieren wir das Spiel. Aber das Glück brauchst du auch. Der Schlüsselm­oment war das 0:1, danach waren wir auf einmal mutig, haben Moral gezeigt und haben den Bayern schwierige Aufgaben gestellt“, sagte Sommer.

Der Dusel, der sonst den Bayern nachgesagt wird, ist nun auch in Gladbach angekommen, dies und das Wissen, immer gewinnen zu können, sind wichtige Elemente des„Mia-san-Mia“-Gefühls, das die Borussen derzeit nun auch sich erarbeitet haben. Auch am vermeintli­chenWeckru­f war Sommer beteiligt. Beim seltsamen Schuss von Ivan Perisic in der 49. Minute war er schon auf demWeg in die andere Richtung, so kam er mit der Hand nicht mehr richtig hinter den Ball und das Spielgerät landete im Tor. An anderen Tagen hätte er diesen Ball wohl gehalten. Aber was wäre gewesen, wenn er das tatsächlic­h getan hätte? Hätten die Borussen wie bis dahin weiter vor allem versucht, das Gegentor zu verhindern, statt selbst nach einem Treffer zu gieren wie normalerwe­ise? „Am Anfang hat der Mut gefehlt“, gestand Sommer. „Darum konnten wir uns nicht befreien, das haben wir in der zweiten Halbzeit besser gemacht.“Weswegen Trainer Marco Rose sagte: „Das 0:1 war wichtig für uns.“

„Siege sind nie selbstvers­tändlich, wir müssen viel dafür investiere­n. Das machen wir auch und wir glauben daran. Wenn du gegen die Bayern 0:1 im Rückstand bist, hattest schon eine schwierige erste Hälfte und kommst dann nochmal auf 2:1 zurück – Chapeau“, sagte Sommer.

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FOTO: DPA Finger raus zum Ball aufhalten: Yann Sommer verhindert­e in der 27. Minute auf spektakulä­re Weise das 0:1.

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