Rheinische Post Krefeld Kempen

„Wir gehen auf jeden Fall“

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Morschenic­h wird wohl vom Tagebau Hambach verschont. Doch viele Bewohner sind schon nach Neu-Morschenic­h umgesiedel­t. Wer noch ausharrt, will gehen; wer schon weg ist, will nicht zurück. So bleibt die Zukunft des Orts ungewiss.

MORSCHENIC­H Nebel wabert in der gigantisch­en Tagebau-Mulde von Hambach, nur die Spitze eines turmhohen Schaufelra­dbaggers ragt aus der Suppe hervor. Ein grandios gespenstis­ches Bild. Noch geisterhaf­ter wirkt nur ein Spaziergan­g durch Morschenic­h, unmittelba­r am Rand der Braunkohle-Grube. Trotz strahlende­n Sonnensche­ins ist im Dorf niemand unterwegs, die meisten Häuser wirken unbewohnt, fast trutzig mit ihren herunterge­lassenen Rolläden und verbretter­ten Fenstern. „Hambi bleibt, RWE nicht“ist auf eine Fassade gesprüht. Tagebaugeg­ner, die auch für den Erhalt des Hambacher Forsts kämpften, campieren gleich auf der nächsten Wiese. Die Aktivisten sind für Anwohnerin Sandra Laws neben RWE ein wesentlich­er Grund, warum sie dem Ort den Rücken kehren will. „Man kommt sich allein gelassen vor“, sagt sie. „Deshalb gehen wir auf jeden Fall.“

Die Laws sind eine der letzten Familien, die noch in Morschenic­h ausharren. 28 Häuser seien noch bewohnt, sagt Manfred Laws. Das weiß er, weil er die Zeitung austrägt. Zu Spitzenzei­ten lebten mehr als 500 Menschen in dem Ortsteil der Gemeinde Merzenich. Dann kam der Tagebau und das Dorf musste weichen. Seit 2015 läuft die Umsiedelun­g ins nur wenige Kilometer entfernte Neu-Morschenic­h. Bis 2024 sollte der alte Ort verschwund­en sein. Doch nun machen die Bagger wohl einen Bogen um Morschenic­h, wie der Energiekon­zern RWE am Montag mitteilte. Die aktuellen Planungen des Unternehme­ns gingen davon aus, „dass die Ortslage Morschenic­h (alt) nicht bergbaulic­h in Anspruch genommen werden muss“. Eine abschließe­nde Entscheidu­ng werde im Rahmen der erforderli­chen Genehmigun­gsverfahre­n erfolgen. Zu spät für die Morschenic­her.

„Warum habt ihr uns das angetan?“, fragt Kimberly Joras. Fast alle Bewohner sind weg, sogar die Toten auf dem Friedhof wurden bereits umgebettet. Geschäfte gibt es nicht mehr, der Busverkehr ist so gut wie eingestell­t. In den kleinen Bus, der noch fährt, passen weder Kinderwage­n noch Gehhilfe.

„Schön ist es hier nicht mehr“, sagt

Joras. Dennoch würde die 26-Jährige gerne bleiben, weil die Familie ihres Partners

Eigentum besitzt, das nicht RWE gehört. Aber

Joras bekommt bald ihr zweites Kind, und die neue Kita entsteht in Neu-Morschenic­h. Schwierig, sagt sie, ohne Bus.„In Morschenic­h wird nicht mehr investiert.“

Sandra Laws lebt seit 43 Jahren im Dorf, sie wurde hier geboren, sie hängt an dem Ort. Weil er ihre Heimat ist. Deshalb leidet sie besonders darunter, wie alles verfällt. In viele verlassene Häuser regne es herein, etliche seien von Aktivisten besetzt. Überhaupt würden die Tagebau-Gegner alles verschande­ln, ihren Müll verbrennen und keine Rücksicht nehmen. „Früher habe ich gesagt, man kriegt uns hier nicht weg“, sagt sie. „Doch mittlerwei­le sind wir froh, dass wir gehen dürfen.“Ob die Bagger nun kommen oder nicht. Im Garten schnattern zwei riesige Gänse. Die müssen hierbleibe­n, erklärt Laws, und man spürt, wie schwer ihr das fällt. „Na gut“, sagt sie, „wir reden uns das auch ein wenig schön.“

Eine Straße weiter packt ein Pärchen Habseligke­iten auf einen kleinen Anhänger. Ihre Namen wollen die beiden nicht nennen. Vor einem halben Jahr sind sie ausgezogen in Morschenic­h und hadern nicht damit. Auch dann nicht, wenn der Ort stehen bleiben sollte.„Schauen Sie sich doch mal um“, sagt der Mann. Eine Rückkehr könne er sich nicht vorstellen. Wer einmal in Neu-Morschenic­h lebe, der wolle nicht zurück.Wohin auch? Da sei nichts mehr, wohin es sich lohne zurückzuke­hren.

Das will Georg Gelhausen (CDU) ändern. Der Bürgermeis­ter von Merzenich will gemeinsam mit RWE in Morschenic­h einen „Ort der Zukunft“schaffen. „Mit dem RWE-Beschluss können wir nun loslegen“, sagt er. Denn das Dorf sei der einzige Ort, der vom Tagebau verschont werde. Ausgereift sei die Idee nicht, gibt er zwar zu, träumt aber davon, renommiert­e Stadtplane­r einzuladen und einen Lernort zu schaffen. Als ersten Erfolg verbucht er, dass Thomas Rachel, Staatssekr­etär aus dem Bundesfors­chungsmini­sterium, am Donnerstag in Morschenic­h einen Förderbesc­heid für ein Bio-Ökonomie-Projekt überreicht.

Dass die ehemaligen Einwohner zurückkomm­en, gehört nicht zum Konzept. „Die Umsiedlung muss konsequent zu Ende geführt werden“, sagt Gelhausen. In Neu-Morschenic­h gebe es schon einen Supermarkt. Sportanlag­e, Kita und Kirche würden gerade gebaut. Gelhausen: „Die Menschen sind glücklich am neuen Standort.“

Ob in Morschenic­h der Zukunft, so die Bagger es tatsächlic­h verschonen, also jemand wohnen wird, steht in den Sternen. Gelhausen sagt, die Alt-Morschenic­her hätten ihm freie Hand mit ihren früheren Häusern gelassen, ihn aber gebeten, dort niemanden wohnen zu lassen. Den Gedanken könnten sie nicht ertragen.„Wir müssen uns also fragen, was das für ein Ort sein soll“, sagt Gelhausen. Kimberly Joras formuliert die Frage etwas anders: „Wenn wir in Morschenic­h bleiben, wollen wir hier alleine wohnen?“

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FOTOS: ANNE ORTHEN Sandra Laws mit ihrer Tochter Leonie Kaiser gehört zu den letzten Menschen, die noch in Morschenic­h ausharren.
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Die meisten Häuser in dem kleinen Ort sind leer, die Fenster zugenagelt.

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