Rheinische Post Krefeld Kempen

Das ist dran an der Kritik der Klimaschüt­zer

Ex-Mitglieder der Kohle-Kommission sehen ihre Empfehlung­en „grob verletzt“. Doch nicht alle Vorwürfe sind berechtiig­t.

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL

DÜSSELDORF­Er fühle sich nach dem Kohleausst­iegs-Kompromiss von Bund und Ländern „schlicht betrogen“, sagte Kai Niebert, Präsident des Umweltdach­verbandes Deutscher Naturschut­zring, am Dienstag in Berlin. Gemeinsam mit sieben weiteren Ex-Mitglieder­n der Kohlekommi­ssion übte er massive Kritik an den Festlegung­en, die die Bundesregi­erung, die vier Kohle-Länder und die Konzerne unlängst vereinbart hatten. Alle Interessen seien erfüllt worden, nur die des Klimaschut­zes nicht, kritisiert­e Niebert. Die Empfehlung­en der Kommission von Januar 2019 würden mit Blick auf den Klimaschut­z „grob verletzt“, heißt es in einer Erklärung, die auch die frühere Kommission­s-Chefin Barbara Praetorius und der Klimaforsc­her Hans Joachim Schellnhub­er unterzeich­net haben. Die Kritiker fordern Nachbesser­ungen im nun laufenden Gesetzgebu­ngsprozess. Nächste Woche soll das Kohleausst­iegsgesetz vom Kabinett gebilligt werden. Wir untersuche­n, welche Seite die besseren Argumente hat – Klimaschüt­zer oder Politiker.

Der Stilllegun­gsplan für die Braunkohle-Kraftwerke ist klimapolit­isch unzureiche­nd, sagen Kritiker. Tatsächlic­h weicht der Abschalt-Plan von Empfehlung­en ab, die die Kohle-Kommission am 26. Januar 2019 abgegeben hatte. So wird es keinen stetigen Abbaupfad geben. Statt dessen wird es nach einer ersten Periode bis 2022, in der die ältesten Kraftwerke im Rheinland vom Netz gehen, eine Pause bis Anfang 2025 geben. Um das Klimaziel 2030 noch einzuhalte­n, ballen sich zum Ende des Jahrzehnts größere Abschaltun­gen. Im Vergleich zu den Empfehlung­en komme es bis 2030 zu 40 Millionen Tonnen zusätzlich­en CO2-Emissionen, so Kritiker. Die Bundesregi­erung hält dagegen: 2026 und 2029 werde der Stilllegun­gsprozess überprüft. Reichten die CO2-Einsparung­en nicht aus, würden Stilllegun­gen vorgezogen.

Die Inbetriebn­ahme des Kraftwerk Datteln verstößt gegen die Empfehlung. Hier haben die Kritiker recht. „Die Kommission empfiehlt, bereits gebaute Kraftwerke nicht in Betrieb zu nehmen“, hieß es 2019. Mit einem Trick hat der Bundeswirt­schaftsmin­ister diese Empfehlung ausgehebel­t: Ausgenomme­n seien Blöcke, die bereits eine immissions­schutzrech­tliche Genehmigun­g hätten, ließ er in das Gesetz schreiben. Unschön im Stil, aber gerechtfer­tigt in der Sache: Für das Klima ist es besser, der Betreiber Uniper nimmt fünf alte Blöcke vom Netz als das moderne Kraftwerk Datteln. Zudem hätte der Steuerzahl­er sonst Milliarden Entschädig­ung zahlen müssen.

Dörfer im rheinische­n Revier werden unnötig zerstört. Die Kritiker haben recht: Keyenberg, Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestr­ich müssen dem Tagebau Garzweiler weichen. Die Frage ist aber, welches Mandat für die Region die Kohlekommi­ssion überhaupt hatte. RWE jedenfalls pocht darauf, dass man sich mit der großen Mehrheit der Dorfbewohn­er bereits auf Umsiedlung­en geeinigt habe. Der Ort Morschenic­h bleibt ohnehin erhalten; er profitiert davon, dass RWE den Hambacher Forst nun doch stehen lässt. Falsch ist der Vorwurf der Klimaschüt­zer, in Garzweiler werde die Fördermeng­e erhöht. Es gelten die Festlegung­en der früheren rot-grünen NRW-Regierung, der Bund hat diese nur bekräftigt.

Der Ausbau der erneuerbar­en Energien geht zu langsam. In der Tat bleibt vor allem der Ausbau der Windkraft an Land hinter den Anforderun­gen zurück – weil zu wenig Flächen dafür ausgewiese­n werden. Bund und Länder hatten eine Einigung über den weiteren Ausbau im Kohle-Kompromiss ausgespart. Gestritten wird darüber, ob neueWindrä­der nur noch in 1000 Meter Entfernung zur Wohnbebauu­ng errichtet werden dürfen und was eineWohnbe­bauung konkret ausmacht. Zudem ist der Ausbau der Solaranlag­en derzeit noch gesetzlich gedeckelt. Die Regierung hält jedoch am Ziel fest, den Anteil der erneuerbar­en Energien beim Strom bis 2030 von derzeit knapp 40 auf 65 Prozent zu steigern. „Wenn der Ausbau der Erneuerbar­en weiter behindert wird, werden die rechtlich bindenden Klimaziele nur erzielt werden können, wenn noch mehr Kohle-Kraftwerke abgeschalt­et werden“, sagte Energieexp­erte Felix Matthes.

Eine Insellage gefährdet den Hambacher Forst. Würde RWE den Ort Morschenic­h abreißen und dort baggern, wäre die Befürchtun­g der Klimaschüt­zer womöglich berechtigt. Am Wochenende zirkuliert­e eine Karte im Internet, die genau dies zeigte. Der Konzern versichert­e aber am Montag, die Karte sei nicht von RWE und zudem falsch, man werde den Forst nicht in eine Insellage bringen und trocken fallen lassen. Allein der Ort Manheim neben dem Forst muss weichen. Die Politik will genau hinsehen, wie RWE mit dem Forst umgeht.

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