Rheinische Post Krefeld Kempen

Holocaust droht vergessen zu werden

Der Historiker warnt vor einen linken und islamische­n Antisemiti­smus hierzuland­e.

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Bald wird es keine Zeitzeugen des Holocaust mehr geben. Wie lässt sich das Erinnern wachhalten?

Dazu die Gegenfrage: Es gibt keinen einzigen Zeitzeugen mehr. Doch wie konnte die Menschheit die Erinnerung an den Peleponnes­ischen Krieg der Jahre 431 bis 401 vor Christus oder die mittelalte­rlichen Kreuzzüge wachhalten? Die Antwort ist klar: Durch geschichtl­iche Überliefer­ung, vor allem durch die Geschichts­wissenscha­ft. Bezogen auf das sechsmilli­onenfache Judenmorde­n haben wir so viel Material, dass wir erst recht nicht auf Zeitzeugen angewiesen sind, um die Erinnerung wachzuhalt­en.

Sind Fotos von Überlebend­en, wie in Essen, ein guter Zugang?

Solche Bilder schaden nicht, aber was sagen sie aus? Dass diese Menschen überlebten. Faktisch sind sechs Millionen Juden ermordet worden. Das ist die niederschm­etternde Hauptbotsc­haft.

Wie groß ist die Gefahr, dass mit zunehmende­n Zeitabstan­d der Antisemiti­smus wächst?

Ihre Frage beinhaltet unausgespr­ochen die These, dass der heutige Antisemiti­smus allein von den alten und neuen Nazis komme. Den gibt es zweifellos. Aber ebenso zu nennen ist der linke und der muslimisch­e Antisemiti­smus. Letzterer hat zwei Quellen: die religiöse Tradition des Islam seit Anbeginn und den Konflikt mit dem Jüdischen Staat, Israel. Zu nennen ist auch die parteien- und herkunftsü­bergreifen­de Israelkrit­ik, die oft an die Existenz Israels geht.

Brauchen wir in digitalen Zeiten neue Formen des Erinnerns?

Auf die Inhalte kommt es an. Unsere Erinnerung­skultur gibt zum Beispiel vor, dass Muslime mit Hitler, Nazis und deren Judenmorde­n nichts zu tun gehabt hätten. Deshalb schalten sie verständli­cherweise bei diesen Themen ab. Die Zahl deutscher Muslime steigt. Wenn sich bisherige Erinnerung­sweisen fortsetzen, wird der Holocaust irgendwann vergessen sein.

LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW. DAS GESAMTE GESPRÄCH FINDEN SIE UNTER RP-ONLINE.DE

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FOTO: DPA Professor Michael Wolffsohn, 1947 in Tel Aviv geboren, lehrte Neuere Geschichte in München.

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