Rheinische Post Krefeld Kempen
Dann halt Trainer
Mit 20 gibt Jaron Siewert den Traum auf, in der Bundesliga zu spielen. Sechs Jahre später wechselt der Cheftrainer des Tusem Essen zu den Füchsen Berlin, in die Spitze des Handballs.
ons League.
Mit seinen Freunden spielt er als Teenager in der zweiten Mannschaft. Die Füchse sind bekannt für den leistungsstarken Nachwuchs. Nicht wenige schaffen es, sich aus der Jugend heraus in der Profimannschaft in der Bundesliga zu etablieren. Fabian Wiede zum Beispiel, oder Paul Drux. Jaron Siewert schafft es nicht.
Es ist Bob Hanning, der Siewerts Traum zerstört. Er sticht nicht mit einer feinen Nadel hinein, er haut mit dem Vorschlaghammer drauf. Hanning ist zu dieser Zeit Manager der Füchse und Siewerts langjähriger Trainer. Siewert erinnert sich an Hannings Worte: „Vom Leistungsvermögen traue ich dir die Bundesliga nicht zu.“Er könne sich aber in der zweiten Liga das Studium finanzieren.
In der zweiten Liga wollte Siewert nicht landen, nun ist er doch da. An einem Freitag im Februar sitzt er, mittlerweile 26, auf der Bank des Turn- und Sportvereins Essen-Margaretenhöhe, genannt Tusem. Siewert trägt eine graue Hose, die sich nur als Buxe bezeichnen lässt, und unfrisiertes Haar. Ein bisschen sieht er aus, als sei er gerade aufgestanden, dabei ist er hellwach.
Vor dem Sportpark am Hallo warten mehr Menschen auf eine Bratwurst als auf eine Eintrittskarte. Drinnen begrüßen Ordner Fans mit dem Vornamen, das Maskottchen Elmar hüpft herum, und der Fanclub prügelt auf die Trommeln. Viele Gesichter waren früher schon da, zu den glorreichen Zeiten. Aber nun spielt der Tusem gegen den HC Elbflorenz. 1896 Zuschauer sind für Essen, zwei für Dresden.
Nach einer Minute und 30 Sekunden wirft Lucas Firnhaber das 1:0 für den Tusem. Die ganze Bank springt auf, jubelt, nur Jaron Siewert bleibt sitzen. Ein Gegenstoß, Lucas Firnhaber wirft das 2:0, er lässt sich etwas zu lange feiern. Siewert pfeift ihn zurück. Nach zwölf Minuten, da steht es 8:5, hebt Jaron Siewert das erste Mal die Faust und applaudiert. Er ist dann doch zufrieden.
Die Welt von Jaron Siewert endete viele Jahre in Hannover. Er ist in Hennigsdorf vor Berlin aufgewachsen, aber sein Leben spielte in Berlin. Die Verwandtschaft der Familie, die am weitesten entfernt wohnt, lebt in Niedersachsen. Weiter kam er nicht in den Westen. Nun ist er tief drin.
Er habe sich in das Ruhrgebiet verliebt, sagt er. Die Abwechslung zwischen Grün und Grau gefalle ihm. Er hat in Essen auch seine Freundin kennengelernt, der Sohn ist im November zur Welt gekommen. „Es ist wunderschön hier“, sagt Siewert. Sätze, die man in der Gegend lange nicht gehört hat. Aber er hat auch etwas zurückgegeben.
Als Siewert mit 23 Jahren Cheftrainer des Tusem wird, war der Verein gerade fast abgestiegen. Nun, drei Jahre später, ist der Essener Traditionsverein – sollte die Saison noch ein Ende nehmen – Kandidat für den Aufstieg in die Bundesliga. Das Ruhrgebiet zu alter Stärke führen, dafür würden sie Jaron Siewert wohl ein Denkmal bauen. Das letzte Mal richtig gejubelt haben sie in Essen 2005, als der Tusem den EHF-Pokal gewann.
Die Entwicklung, die Siewert nun „sehr gut“nennt, war zunächst nicht abzusehen. Aus den ersten zehn Spielen unter seiner Führung holte der Tusem bloß drei, vier Punkte. „Ich habe mich nicht gefragt, ob ich auf das falsche Pferd gesetzt habe“, sagt Siewert, „aber vielleicht andere.“
Die anderen, das sind gute Bekannte von Bob Hanning. Zwischen dem Tusem und Hannings Füchsen besteht eine enge Kooperation. Anfang der 90er Jahre war der gebürtige Essener Trainer beim Tusem. Aus dieser Zeit kennt er Herbert Stauber, der sein Kapitän war und heute sportlicher Leiter ist. Mit Niels Ellwanger, dem Geschäftsführer, verbindet ihn eine lange Freundschaft. „Nur daher“, sagt Hanning, „haben sie einem 23-Jährigen die Chance gegeben.“
Bob Hanning, der Mann mit dem Händchen für bizarre Oberbekleidung, mag den einen Traum zerstört haben, aber er hat Siewert zugleich den neuen Weg bereitet. Gut möglich, dass Hanning in Siewert ein Stück von sich selbst sieht. Hanning war 26, als er die A-Jugend des Tusem zur deutschen Meisterschaft führte. Siewert ist 26, wenn er im Sommer Essen verlässt und Cheftrainer der Füchse Berlin wird, einem der besten Vereine der Bundesliga.
Der Satz ist etwas kitschig, aber man kommt nicht umher, ihn zu schreiben: Obwohl Jaron Siewert erst 26 Jahre alt ist, schließt sich ein Kreis. Die Füchse, das ist sein Verein. Als Junge hat er die Spiele in der Max-Schmeling-Halle gesehen und gedacht, es wäre das größte, da mal zu stehen. Dieser Traum realisiert sich nun, wenn auch anders, als er dachte.
Nur ein paar Tage Zeit hatte Siewert, sich zu entscheiden. Er könnte weiterspielen, mit der Aussicht, in der zweiten Liga zu landen. Oder er würde Co-Trainer der B-Jugend unter Volker Zerbe. Einige Monate nach seinem Debüt in der Champions League an einem Sonntag mit Schneeregen im Februar 2013, nimmt Jaron Siewert Hannings Angebot an.„Ich wollte kein Mittelmaß sein“, sagt er. Dann halt Trainer.