Rheinische Post Krefeld Kempen
Chaos im Notkrankenhaus
Die jüngsten Corona-Zahlen in Spanien machen vielen Angst. Doch Behörden hoffen: Der Höhepunkt könnte erreicht sein.
Das Messegelände hinter dem Flughafen Barajas von Madrid ist nicht wiederzuerkennen. Krankenwagen stauen sich vor dem Eingang zu den Pavillons. „Ifema“, das war mal die spanische Chiffre für moderne Messehallen und internationales Publikum. Jetzt stehen die fünf Buchstaben für Spaniens erstes Notkrankenhaus in der Corona-Pandemie und für Bedingungen, wie sie nur ein nationaler Notstand hervorbringen kann.
Das hat nicht nur mit den weiter drastisch ansteigenden Infektionszahlen und Todesfällen wegen Covid-19 in Spanien zu tun. Innerhalb eines Tages sind 864 Menschen an dem Coronavirus verstorben. Die Zahl der Infektionsfälle stieg innerhalb von 24 Stunden um 7719 auf 102.136, wie spanische Behörden am Mittwoch mitteilten. Die Zahl der Neuinfektionen war um etwa 1500 niedriger als am Vortag, was Hoffnung auf eine Stabilisierung der Ausbreitungsgeschwindigkeit weckte. Spanien ist das dritte Land nach den USA und Italien, das bei den Infektionen die 100.000er-Marke überschritten hat. 9053 Menschen sind dort bislang an Covid-19 gestorben. Für die meisten Spanier gilt seit zweieinhalbWochen eine Ausgangssperre.
Im ganzen Land kommen die Krankenhäuser an ihre Grenzen. Spaniens Regierung reagierte am Sonntag mit einer Verschärfung der Ausgangssperre, die am Dienstag landesweit in Kraft trat. Arbeiten sollen ab sofort nur noch „systemrelevante Sektoren“, alle anderen Arbeitnehmer, die nicht im Home-Office tätig sein können, müssen pausieren. Weite Teile von Industrie und Bauwirtschaft kommen zum Stillstand. Die bis zum 9. April geltende
Maßnahme sei notwendig, um den Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern, erklärte Regierungssprecherin und Finanzministerin María Jesús Montero.
Das Ifema-Notkrankenhaus ist seit mehr als einer Woche in Betrieb. 1300 Betten sind bereits belegt, 5500 normale sowie 500 Intensivbetten sollen es am Ende werden. Bei aller Anstrengung der Verantwortlichen regiert aber offenbar das Chaos. Das zeigenVideoaufnahmen und Stimmen aus dem Lazarett. Man sieht dort Krankenbetten in langen Reihen stehen, kaum durch Trennwände voneinander getrennt. Covid-19-Patienten haben Sauerstoffflaschen neben sich stehen. Das freiwillig arbeitende medizinische Personal trägt teilweise Plastiktüten als Infektionsschutz auf dem Kopf oder an den Füßen.
„Die Patienten liegen dicht gedrängt, es ist wie im Krieg“, zitiert die Zeitung „El País“eine Freiwillige. Es fehlt an Schutzausrüstung.„Es ist wahrscheinlicher, sich hier anzustecken, als geheilt zu werden“, sagte eine Krankenschwester, die ebenfalls anonym bleiben wollte, über das Großlazarett, in dem teilweise angeblich Besenstangen als Halterungen für Infusionen benutzt werden.
Antonio Zapatero, einer der Direktoren der Notklinik, erklärte:„Wir rechnen damit, dass die Krise noch vier bis sechs Wochen dauern wird, unsere Betten sind dafür da, um Madrid zu entlasten.“Ab sofort jedoch geht Spanien in „eine Art Winterschlaf“. So bezeichnete Regierungssprecherin Montero die verschärfte Ausgangssperre, die von Seiten der Wirtschaft scharf kritisiert wurde. Die Maßnahmen würden „einen nie dagewesenen starken negativen Effekt auf die spanische Wirtschaft auslösen, vor allem in der Industrie“, hieß es in einer Erklärung des Unternehmerverbands CEOE. Auch die Baubranche, die rund zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beiträgt, ist betroffen. Experten befürchten den Verlust von Millionen Arbeitsplätzen sowie einen Rückgang des BIP um bis zu zehn Prozent.
Für die neun katalanischen Separatistenführer, die wegen der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums im Herbst 2017 zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, könnte die Pandemie einen positiven Effekt haben. Wegen Ansteckungsgefahr im Gefängnis dürfen sie wohl in den kommenden Tagen ihre Zellen vorübergehend verlassen und sich zu Hause aufhalten.