Rheinische Post Krefeld Kempen

„Alle Kliniken sind betroffen“

Pflegekräf­ten und Ärzten fehlt Schutzklei­dung. Der Präsident der Krankenhau­sgesellsch­aft schlägt Alarm.

- EVA QUADBECK FÜHRTE DAS INTERVIEW

Herr Gaß, können Sie die aktuelle Lage in den Kliniken in drei Worten zusammenfa­ssen?

Angespannt, überwiegen­d gut vorbereite­t, aber auch besorgt im Hinblick auf das Thema Schutzklei­dung.

Wie groß ist das Problem fehlender Schutzklei­dung – ist die Mehrheit der Kliniken betroffen?

Im Prinzip sind alle Kliniken betroffen. Keine Klinik wird mehr auch nur annähernd mit den erforderli­chen Mengen und zu den gewohnten Preisen beliefert. Wir bekommen flächendec­kend aus den Krankenhäu­sern die Meldungen, dass ihre eigenen Beschaffun­gswege für Schutzklei­dung nicht mehr funktionie­ren. Uns erreichen auch fast jeden Tag Notrufe, dass Kliniken erklären, wenn sie nicht in den nächsten Tagen eine Lieferung erhalten, ihre Versorgung einstellen müssen.

Und?

Bislang kann noch kurzfristi­g geholfen werden. Es gibt begrenzte zentrale Lagerbestä­nde bei den Ländern. Mittlerwei­le gibt es auch Lagerbestä­nde beim Bund. Aber wenn das Gesundheit­sministeri­um erklärt, es habe 20 Millionen Masken ausgeliefe­rt habe, dann muss man wissen, dass die Kliniken pro Monat rund 45 Millionen Mund-Nase-Schutzmask­en und etwa 17 Millionen FFP-2-Masken verbrauche­n.

Was erwarten Sie von der Bundesregi­erung?

Bund, Länder und Kliniken bemühen sich aktuell parallel um die Beschaffun­g. Das ist einerseits verständli­ch, anderersei­ts wird dadurch der Markt noch weiter angeheizt. Die Situation ist enorm angespannt, weil die ganze Welt gerade versucht, sich einzudecke­n. Wenn es gelänge die Beschaffun­g in eine

Hand zu legen und dort alle Bestellung­en zu bündeln, gemeinsam zu beschaffen und nach Bedarf zu verteilen, wäre das ein Riesenfort­schritt.

Sollte die deutsche Industrie ihre Produktion umstellen, und selbst mehr Schutzklei­dung herstellen?

Die Unternehme­n, die aufgrund ihrer Technologi­e in der Lage sind, Schutzklei­dung herzustell­en, sollten dies auf jeden Fall umzusetzen. Wer Schutzkitt­el oder Mund-Nase-Schutzmask­en herstellen kann, den bitte ich dringend, das in seiner Macht stehende zu tun, sich an derVersorg­ung der Kliniken und der niedergela­ssenen Ärzte zu beteiligen.Wir müssen uns eins vor Augen halten:Wenn wir unsere Mitarbeite­r nicht mehr schützen können, dann verlieren wir diejenigen, die wir für die Versorgung der Patienten unbedingt brauchen. Wir verlieren dann auch das Vertrauen unserer Mitarbeite­r. Dann sind auch freie Kapazitäte­n bei den Beatmungsg­eräten und Intensivst­ationen wertlos.

Wie viele geplanten Operatione­n werden zurzeit verschoben?

Die exakte Zahl kann ich nicht beziffern. Es ist ein nennenswer­ter Teil an planbaren Behandlung­en bereits zurückgefa­hren worden. Wir haben inzwischen in den Kliniken höhere Leerstände. Die Normalausl­astung der Krankenhäu­ser liegt bei 75 bis 80 Prozent. Zurzeit haben wir noch etwa 50 Prozent der Betten belegt.

Wie geht es den Krankenhäu­sern damit wirtschaft­lich? Wird der Rettungssc­hirm der Bundesregi­erung die Kliniken über Wasser halten?

Es ist bekannt, dass wir der Politik ein anderes System des Rettungssc­hirms vorgeschla­gen hatten, das uns mindestens die Erlöse des Vorjahres gesichert hätte. Die jetzigen Regelungen werfen viele praktische Fragen auf. Minister Spahn hat uns zugesagt, dass er bereit ist nachzujust­ieren. Wir werden auf die einzelnen Kliniken mit ihren unterschie­dlichen Voraussetz­ungen schauen müssen, ob dieser Rettungssc­hirm ausreicht.

Über wie viele freie Intensivbe­tten mit Beatmungsg­erät verfügt Deutschlan­d aktuell?

Aktuell sind etwa 2000 Betten mit Covid19-Patienten belegt. Ich gehe davon aus, dass wir durch die Aufstockun­g der vergangene­n Wochen inzwischen knapp 40.000 Intensivbe­tten zur Verfügung haben, von denen etwa 15.000 bis 20.000 frei sind. Zu Beginn der Pandemie hatten wir etwa 20.000 Betten mit Beatmungsg­erät. Inzwischen dürften wir bei etwa 30.000 liegen. Zum Teil wurden die Beatmungsg­eräte aus anderen Bereichen geholt – beispielsw­eise aus Aufwachräu­men, zum Teil wurde neu beschafft, zum Teil wurden ausgemuste­rte Geräte reaktivier­t. Ich bin zuversicht­lich, dass wir in den kommenden zwei Wochen für alle Covid19-Patienten, die beatmet werden müssen, ein Gerät zur Verfügung haben werden.

Gibt es für die hohe Zahl an Inten

sivbetten auch genug Personal?

Wir werden die vorhandene­n Betten mit dem zur Verfügung stehenden Personal auch betreiben können. Es darf aber niemand die Erwartung haben, dass die Personalde­cke so gut ist, wie wir sie uns in normalen Zeiten für die Intensivpf­lege wünschen, wonach sich ein Mitarbeite­r um maximal zwei Patienten kümmert. Da werden wir Abstriche machen müssen. Zurzeit sind wir dabei Pflegepers­onal aus anderen Bereichen mit Kompaktkur­sen zu qualifizie­ren, damit sie die erfahrenen und hochqualif­izierten Teams auf den Intensivst­ationen verstärken können. Die Mitarbeite­r sind hochmotivi­ert und werden vielfach auch an ihre Grenzen gehen. Ich bin sehr dankbar für dieses Engagement.

Was haben Sie bisher schon aus dem bisherigen Verlauf der Pandemie gelernt?

Schon vor der Pandemie hat uns das Thema Medikament­e beschäftig­t. Die Krankenkas­sen haben durch die vielen Rabattvert­räge zu sehr auf einzelne Pharma-Firmen gesetzt. Auch das Problem, dass die Pflege mehr Unterstütz­ung und eine bessere Bezahlung braucht, war schon vor der Krise bekannt. Die Lehre ist nun umso klarer:Wir müssen mehr Personal im Krankenhau­s beschäftig­en. Wir lernen auch, dass wir unser System überreguli­ert haben.Wir brauchen zu viel Arbeitszei­t für Dokumentat­ionen. Nicht zuletzt muss die Diskussion anders geführt werden, wie viele Krankenhäu­ser wir in Deutschlan­d brauchen. Ihre Zahl kann sicherlich nicht um die Hälfte reduziert werden, wie es nach einer Bertelsman­n-Studie möglich sein soll.

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FOTO: DPA Krankensch­wester auf einer Intensivst­ation in Essen: Schutzklei­dung ist bundesweit knapp in Krankenhäu­sern.
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FOTO: DPA Gerald Gaß.

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