Rheinische Post Krefeld Kempen
Mit dem Lastenrad zum Einkaufen
Julian und Alexandra Brinke verleihen in Krefeld unentgeltlich ein Lastenrad, um zu zeigen, dass Alltag auch ohne Auto geht. Das Ehepaar ist auch Gründer des „JA!-Instituts für gelebte Nachhaltigkeit“und engagiert sich bei der Initiative „Foodsharing“.
„Da hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht“, sagt Julian Brinke. Eigentlich wollten er und seine Frau Alexandra gerade ihre neue Firma gründen, das „Ja!-Institut für gelebte Nachhaltigkeit“. Als sich vor zehn Jahren der erste Nachwuchs ansagte, haben die beiden ihr Konsumverhalten überdacht und überlegt, wie sie ihren Kindern diese Welt hinterlassen wollen.
Die beiden und ihre mittlerweile vier Kinder leben in hohem Grade nachhaltig, das heißt, sie machen unter anderem sehr viele Produkte des täglichen Gebrauchs selber, zum Beispiel Wasch- und Putzmittel, Seife, Zahnpasta und Deo, aber auch Hausmittel bei Erkältungen sowie Kleber zum Basteln oder Knete, und leben so plastikneutral wie möglich. Nötige Neuanschaffungen kaufen sie deshalb bei „Lieber unverpackt“am Karlsplatz.
Auch bei der Mobilität ist Nachhaltigkeit angesagt: Für fast alle Fahrten nutzen sie ihr Lastenfahrrad. Der dazu gehörige Anhänger mit einem Elektromotor im vorderen Rad kann auch ohne Fahrrad, sozusagen als Handkarren, benutzt werden. Da der Anhänger 1,60 Meter lang ist und 150 Kilo transportieren darf, eignet er sich tatsächlich für den professionellen Einsatz und als Ersatz für das Auto, zumindest, schränkt Julian Brinke ein, für nicht allzu lange Strecken. Und die Geschwindigkeit? „Mein Rekord liegt bei 28 Stundenkilometer, voll beladen“, berichtet er lachend, ergänzt aber sogleich, dass eine umsichtige Fahrweise sehr wichtig und dies ein einmaligerVersuch gewesen sei.
Das Ehepaar möchte auch andere dabei unterstützen, nachhaltiger zu leben. „Das Fahrrad ist unser privates Herzensprojekt“, sagt Brinke. „Das verleihen wir auch an Interessenten, ohne dass wir daran verdienen möchten. Allerdings darf sich der Ausleiher dann gerne an den Unterhaltskosten mit einer freiwilligen Spende beteiligen.“
Zum Thema „Gelebte Nachhaltigkeit“möchten die beiden Workshops und Seminare anbieten, aber auch individuell beraten. „Für jeden ist etwas anderes sinnvoll und machbar“, erläutert Alexandra Brinke. „Nachhaltigkeit bedeutet bei allem Idealismus meist Mehrarbeit und eine Umstellung des Alltags. Da muss man nicht um jeden Preis das ganze Leben umkrempeln.“Jemandem, der sehr weite Wege bis zu seiner Arbeitsstelle zurücklegen muss, ist nicht unbedingt mit einem Rad gedient, verdeutlicht sie. Daher sei es hilfreich, zu den Interessenten nach Hause zu gehen undVorschläge und Ideen zu unterbreiten, die auch praktikabel sind. „Deswegen sehen wir uns auch das Einkaufsverhalten an.“Momentan seien individuelle Beratungen aber nur per Videochat möglich. Langfristig ist geplant, an Kindergärten und Schulen heranzutreten, um auf diese Weise auch Kinder an das Thema heranzuführen und dafür zu sensibilisieren, deren Eltern sonst wahrscheinlich nicht zu einem Nachhaltigkeitsseminar kommen würden.
Ein ganz wichtiges Thema bei Familie Brinke ist das nachhaltige Essen. Die sechsköpfige Familie verwendet soweit möglich Lebensmittel von „Foodsharing“. Vater Julian ist Mitbegründer und heute einer von fünf Krefelder Botschaftern der deutschlandweiten Initiative, die Lebensmittel, die noch in Ordnung sind, aber nicht mehr verkauft werden, bei dem entsprechenden Geschäft oder Restaurant abholt und verteilt, so dass keine Lebensmittel verschwendet werden. Die Botschafter koordinieren dafür die Tage und Uhrzeiten.Wichtig dabei ist, dass sich jeder diese Lebensmittel ohne Bezahlung bei den Verteilstellen abholen kann, es gilt also nicht das Prinzip der Bedürftigkeit.
Als letzte Woche das Mercurehotel aufgrund der Coronakrise schließen musste, wurde „Foodsharing Krefeld“informiert und holte die kompletten Lebensmittel dort ab. Auch vom Café Liesgen wurden schon Lebensmittel zur Verfügung gestellt, beispielsweise als eine Lieferung mit 120 Eiern nicht selbst benötigt wurde. Gekühlte Produkte werden bei den Abholern von zu Hause aus weiterverteilt, nicht gekühlteWaren, zum Beispiel gespendet vom Wochenmarkt an der Dionysiuskirche, stehen in einem Regal im Innenhof an der Lewerenzstraße 104 bis 106. Er ist offen zugänglich, und jeder darf sich ohne Voranmeldung bedienen.
Mittlerweile holen über 70 Personen regelmäßig Lebensmittel ab, die
andernfalls vernichtet werden würden. „Allerdings hat die Tafel immer Vorrang“, berichtet Brinke, „das ist ganz klar in einem Rahmenvertrag geregelt.“Aber auch „Foodsharing“beliefert regelmäßig einige soziale Einrichtungen, zum Beispiel das Offene Ohr, eine Initiative rund um Sankt Anna. Die Aktiven von„Foodsharing“arbeiten ehrenamtlich, können sich aber ihren Teil der geretteten Lebensmittel zum eigenen Verzehr mitnehmen.
„Foodsharing“bittet Gastronomen und Hoteliers sich zu melden, falls Lebensmittel abzugeben sind, denn gerade jetzt gibt es viele besonders Betroffene, die auf kostenlose Nahrung angewiesen sind. Julian Brinke verspricht: „Es wird beim Abholen auf jeden Fall auf den nötigen Abstand geachtet!“