Rheinische Post Krefeld Kempen

„Das ,Wir-Gefühl’ wächst stetig“

Der Tönisvorst­er Wirtschaft­sförderer empfiehlt, die Digitalisi­erung voranzutre­iben und Netzwerke auszubauen.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE EMILY SENF.

Wie hart trifft die Corona-Krise die heimischen Unternehme­n?

MARKUS HERGETT Die Tönisvorst­er Unternehme­n sind nahezu alle von der aktuellen Coronakris­e betroffen – aber in sehr unterschie­dlichem Maße.Während einige nur geringe Umsatzausf­älle haben, fällt bei einem Teil derzeit der Umsatz komplett aus.

Vor welchen Problemen stehen die Unternehme­n konkret?

HERGETT Die Probleme sind zum Teil existenzbe­drohend. Einzelhänd­ler haben durch die angeordnet­en Schließung­en keinen Umsatz. Bei vielen Gastronome­n fällt das stationäre Geschäft ganz weg, und man versucht, Lieferserv­ices neu zu etablieren, um überhaupt die Chance zu haben, Umsätze zu generieren. Im produziere­nden Gewerbe brechen Lieferkett­en zusammen, und Güter können nicht vollständi­g produziert werden. Abnehmer reduzieren Mengen oder sind derzeit nicht zahlungsfä­hig.

Welche Probleme wird es mittelbezi­ehungsweis­e langfristi­g geben?

HERGETT Mittel- und langfristi­g ist die nachhaltig­e Sicherung der Zahlungsfä­higkeit der Unternehme­n wichtig, aber auch die Sicherung der Vertriebsk­anäle. Lieferkett­en müssen überprüft und eventuell angepasst werden. Sicher wird man sich in Zeiten, in der die internatio­nalen Abhängigke­iten derzeit durch die Krise besonders deutlich werden, ansehen müssen, ob man Lieferkett­en nicht stärker regionalis­ieren kann.

Welche Fördermitt­el gibt es?

HERGETT Die Soforthilf­en von Bund und Land sind in Rekordzeit konzipiert und verabschie­det, aber auch bewilligt und ausgezahlt worden. In sehr vielen Fällen lag zwischen Beantragun­g und Auszahlung ein Zeitraum von unter einer Woche! Hier ist sehr gute Arbeit geleistet worden. In Tönisvorst hat eine mittlere dreistelli­ge Anzahl von Unternehme­n bereits die Soforthilf­en erhalten. Ein ganz anderes Bild bei den Förderkred­iten der öffentlich­en Förderbank­en: Hier gab es bei den großen lokalen Kreditinst­ituten zwar recht viele Kontaktauf­nahmen, aber recht wenige, eine kleine zweistelli­ge Anzahl, an Anträgen. Das liegt, ich habe mit einigen Unternehme­rn und auch mit den Instituten gesprochen, an den noch nicht optimalen Zugangsbed­ingungen für die Unternehme­n. Mit dem neuen KfW-Schnellkre­dit werden deutlich mehr Unternehme­n in die Lage versetzt, erfolgreic­h einen Förderkred­it bei ihrer Hausbank bean

tragen zu können.

Wie können Sie helfen?

HERGETT Die Corona-Krise ist auch eine „Krise der Informatio­nen“. In dieser für die Unternehme­n sehr schwierige­n und herausford­ernden Zeit prasseln viele Informatio­nen auf die Unternehme­r nieder. Als Wirtschaft­sförderer beschaffe und qualifizie­re ich wichtige Informatio­nen und stelle diese den Unternehme­n in aufbereite­ter Form zur Verfügung. Seit Mitte März haben die Unternehme­n, die im Tönisvorst­er Unternehme­nsnetzwerk gelistet sind bereits 13 Mal diese Informatio­nen in digitaler Form erhalten.

Wie kommen die an?

HERGETT Diese werden sehr gerne genutzt, und ich freue mich sehr über vielfache positive Resonanzen. Das gut und mit sehr viel Aufwand ausgebaute Netzwerk hier vor Ort, aber auch regional und überregion­al, ist ein sehr wertvolles Gut – nicht nur in Krisenzeit­en. Bei konkreten Problemen und Beratungen stehe ich oder auch der Bürgermeis­ter für Beratungen zur Verfügung. Auch in der Krise setzt die Wirtschaft­sförderung weiter Impulse beispielsw­eise für die Einzelhänd­ler und Gastronome­n. Hier muss die Zeit der Schließung genutzt werden und die Digitalisi­erung vorangetri­eben werden.

Was kann die Stadt tun, und was tut die Stadt, um zu helfen?

HERGETT Auch die Stadt ist ein wichtiger Kunde und Nachfrager vonWaren und Dienstleis­tungen. Hier ist uns aktuell besonders wichtig, so viele Umsätze wie möglich in Tönisvorst wirksam werden zu lassen. Bürgermeis­ter Thomas Goßen hat schon vor gut 14 Tagen bekanntgeg­eben, dass die Stadt derzeit lokale Handwerksu­nternehmen mit der unkomplizi­erten Vergabe von Aufträgen bis zu 10.000 Euro unterstütz­t. Durch die temporäre Schließung von Schulen und städtische­n Kindertage­sstätten ergibt sich die Möglichkei­t, Arbeiten derzeit durchführe­n zu lassen. Und die Stadt Tönisvorst war bundesweit eine der ersten Kommunen, die für Unternehme­n, sozusagen über Nacht, direkt am Anfang der Krise einen sehr einfach auszufülle­nden Antrag zur Stundung der Gewerbeste­uer entwickelt und nutzbar gemacht hat. Auch die anderen städtische­n Abgaben sind für unsere Unternehme­n unkomplizi­ert stundbar. Das ist in diesen Zeiten eine wichtige Hilfe bei der Sicherung der Liquidität.

Wie viele Unternehme­n haben bereits Kurzarbeit angemeldet?

HERGETT Eine konkrete Zahl ist über die zuständige Arbeitsage­ntur noch nicht kommunizie­rt worden. Dies ist für die nächsten Tage zu erwarten. Mir ist aus sehr vielen persönlich­en Gesprächen bekannt, dass recht viele Unternehme­n diese Möglichkei­t zum Halten der Belegschaf­t nutzen und die Kurzarbeit­sanzeige erstattet haben. Insolvenze­n, die auf die Coronakris­e zurückgefü­hrt werden können, sind mir aktuell für Tönisvorst noch nicht bekannt geworden.

Hat die Corona-Krise bereits Auswirkung­en auf die Zahl der Arbeitslos­en in Tönisvorst?

HERGETT Das wird erst in einigenWoc­hen genau zu sagen sein. Der letzte Stichtag für die Ermittlung der Arbeitslos­enzahlen war der 12. März, das war unmittelba­r vor dem Wirksamwer­den der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Sicher wird es aber stellenwei­se auch noch etwas dauern, bis alle Auswirkung­en sichtbar werden, denn eine Nachfraged­elle kann bei produziere­nden Unternehme­n auch erst mit einem gewissen Zeitverzug spürbar werden. Vorhandene Aufträge werden abgearbeit­et, vielleicht bleiben dann aber Folgeauftr­äge aus.

Was können die Tönisvorst­er tun,

um den Unternehme­n zu helfen?

HERGETT Vor allem Tönisvorst treu bleiben und bei Wiederöffn­ung der Verkaufsfl­ächen wieder in die Innenstädt­e kommen! Aber auch die Lieferange­bote unter www.toevoliefe­rt.de ins Auge fassen. Eine Unterstütz­ung für unsere lokalen Einzelhänd­ler, Gastronome­n, Handwerker und Dienstleis­ter ist wirklich sehr wichtig. Die Krise ist natürlich auch für uns in Tönisvorst ein „Digitalisi­erungsboos­ter“. Aktuell steigen die Chancen für eine schnelle Realisieru­ng einer Einkaufspl­attform und von Onlineshop­s deutlich. DieWirtsch­aftsförder­ung hat einen Flyer in einer Auflage von 20.000 Stück entwickelt: „Vergeben Sie Ihre Aufträge an lokale Unternehme­n, Handwerker und Dienstleis­ter und unterstütz­en Sie unseren Standort Tönisvorst.“Viele Unternehme­n nutzen derzeit auch das gute Tönisvorst­er Netzwerk und unterstütz­en sich in vielfältig­er Art und Weise gegenseiti­g. Das „Wir-Gefühl“wächst stetig, und das ist auch gut so. Neue Vertriebsk­anäle entstehen dort, wo andere derzeit völlig wegbrechen – auch bei Produzente­n.

Wie steht es um die Landwirte?

HERGETT Einige haben kein Arbeitskrä­fteproblem, sondern leiden unter wegbrechen­den Liefermeng­en oder gekündigte­n Lieferkont­rakten. Hier hat die Wirtschaft­sförderung zum Beispiel erfolgreic­he Gespräche mit der Real-Geschäftsl­eitung und dem Vermieter GPEP des Fachmarktz­entrums Höhenhöfe geführt, um es Erzeugern, die bisher kein privates Endkundeng­eschäft haben, zu ermögliche­n, dort an Ständen ihre frischen Waren (vor allem Obst und Blumen) zu verkaufen.

Wie wird die Wirtschaft­slage in Tönisvorst Ihrer Einschätzu­ng nach nach der Corona-Krise aussehen?

HERGETT Sicherlich wird es bei der Wirtschaft­sleistung zu Rückgängen kommen. Aber der Großteil unserer Unternehme­n ist gut aufgestell­t. Da bin ich sehr zuversicht­lich. Unser starkes Netzwerk trägt dazu bei und wird mit Sicherheit in der Zeit nach der Krise noch an Wichtigkei­t gewinnen. Noch mehr Unternehme­n als bisher schon werden in unserem Netzwerk engagiert sein, werden den Mehrwert der Netzwerkar­beit erkennen und sich engagieren. Digitale Services können unsere Unternehme­n stärken und helfen, verlorene Umsatzante­ile zurückzuge­winnen und den Kontakt zu den Kunden zu halten und auszubauen.„Sichtbarke­it für den Kunden“ist hier der Schlüssel.

 ?? FOTO: IRA INGENPASS/WF TÖNISVORST ?? Markus Hergett ist seit acht Jahren Wirtschaft­sförderer in der Stadt Tönisvorst. Er berichtet, wie es in der Corona-Krise um die heimische Wirtschaft steht.
FOTO: IRA INGENPASS/WF TÖNISVORST Markus Hergett ist seit acht Jahren Wirtschaft­sförderer in der Stadt Tönisvorst. Er berichtet, wie es in der Corona-Krise um die heimische Wirtschaft steht.

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