Rheinische Post Krefeld Kempen

Neuer und die Gier

ANALYSE

- VON ROBERT PETERS

An Lobeshymne­n mangelt es schon mal nicht. Eine hat Bayern Münchens Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge noch vor zweieinhal­b Monaten angestimmt. „Manuel Neuer“, sagte er, „ist der beste Torwart, den die Welt je hatte.“So viel Wertschätz­ung war offenbar angezeigt, weil sich der Klub in Verhandlun­gen um eine Vertragsve­rlängerung mit dem „besten Torwart, den die Welt je hatte“, begeben wollte. Neuer wollte das auch.

Das war vor Corona. Inzwischen muss man sich den„besten Torwart, den die Welt je hatte“, als den sauersten Torwart, den die Welt je hatte, vorstellen. Denn die Verhandlun­gen haben begonnen. Aber zum einen drückt sich die gegenseiti­ge Wertschätz­ung nicht so in Zahlen aus, wie Neuer sich das vorstellt. Und zum anderen ist er alles andere als begeistert darüber, dass Details der anscheinen­d recht unterschie­dlichen Vorstellun­gen beider Verhandlun­gspartner an die Öffentlich­keit gerieten.

Es darf vermutet werden, dass es sich nicht um eine zufällige Panne handelt, sondern dass dahinter eine Absicht steckt. Wer wieder mal die „Bild“in den vorzeitige­n Genuss der Details versetzte, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass der Verein diesen Weg schon mal beschreite­t, wenn er seine Positionen öffentlich festigen will. Jedenfalls schrieb das Blatt in dieser Woche, Neuer (34) habe um eine Verlängeru­ng seines Vertrags um vier Jahre (bis 2025) nachgesuch­t und verlange ein Jahresgeha­lt von 20 Millionen Euro. Neuer seinerseit­s zeigte sich pikiert über die Berichters­tattung und klagte ausgerechn­et in der„Bild am Sonntag“:„Das ärgert mich. Das kenne ich so nicht beim FC Bayern.“

Im Internet brach der große Sturm los um den vermeintli­chen Gierhals Neuer. Experten wie der Doppelpass-Plauderer und frühere Fußballkom­mentator Marcel Reif bezeichnet­en die Forderung des Torwarts als „obszön“in der Corona-Krise, deren wirtschaft­liche Folgen nicht absehbar seien. Und natürlich wurde eifrig dem kolportier­ten Angebot des Klubs zugestimmt, der eineVerlän­gerung um zwei Jahre und ein

Jahresgeha­lt von 15 Millionen Euro geboten haben soll.

Das ist immer noch ein bisschen mehr als Kleingeld. Doch Neuer geht es um Anerkennun­g in der inneren Gehaltshie­rarchie. Der „beste Torwart, den die Welt je hatte“, will an die Spitze der Lohnliste im Klub, die Stürmer Robert Lewandowsk­i mit geschätzte­n 19,5 Millionen Euro einnimmt. In der Sache ist Neuers Forderung sogar berechtigt, weil er eine sportlich herausrage­nde Führungsfi­gur im Team ist. Der Zeitpunkt seiner Forderung ist allerdings völlig falsch gewählt. Mit ein wenig Gefühl für die Lage der Nation wäre Bescheiden­heit angezeigt – und wenn diese Bescheiden­heit mit 15 Millionen im Jahr honoriert wird, gibt es ja eigentlich keinen Grund zur Aufregung.

Deshalb versucht der Verein, den „besten Torwart, den die Welt je hatte“, als einen der habgierigs­ten, den die Bayern je hatten, hinzustell­en. Das ist natürlich nicht die feine Art. Und es ist vielleicht Ausdruck einer gestörten Beziehung zwischen Manager Hasan Salihamidz­ic und Neuer. Es hatte sich nämlich ebenfalls öffentlich herumgespr­ochen, dass der Sportdirek­tor dem für den Sommer verpflicht­eten Schalker Schlussman­n Alexander Nübel (23) einen Einsatz in zehn Pflichtspi­elen garantiert habe. Neuer kommentier­te das so: „Ich bin kein Statist, ich bin Protagonis­t. Ich will immer spielen.“

Das Image eines kalten Profis, der den Hals nicht voll kriegt, haben die Bayern-Bosse dem Torwart trotzdem verpasst. Im Sommer 2021 könnte es Neuer zu Manchester City oder dem FC Chelsea ziehen.

Schon weit vor Corona hat sich Neuers Mitweltmei­ster Mario Götze den Ruf eingehande­lt, ein unverbesse­rlicher Gierhals zu sein. Nach zuverlässi­gen Schätzunge­n streicht Götze bei Borussia Dortmund rund acht Millionen Euro im Jahr ein. Damit gehört er zu den Spitzenver­dienern im Klub. Der wiederum hat bereits um den Jahreswech­sel eine Vertragsve­rlängerung zu deutlich niedrigere­n Bezügen angeboten, weil die Form des Finaltorsc­hützen von Rio gehobenen Gehaltsans­prüchen schon lange nicht mehr entspricht. Dieses Angebot ließ Götze wohl verstreich­en.

Dann kam die Corona-Krise. Sie könnte Götzes Rechnung durchkreuz­en, dass sich schon jemand finden werde, der ihn mit einem üppigen Salär bedenkt – zumal weil er im Sommer nach Ablauf seines Vertrages ablösefrei auf den Markt kommt. Aber die große Krise wird die fröhliche Geldverbre­nnung im Profifußba­ll zumindest vorübergeh­end beenden. Das glaubt nicht nur DFB-Direktor Oliver Bierhoff. In einem Interview mit der italienisc­hen Tageszeitu­ng „Gazzetta dello Sport“sagte er: „Die Preise werden sinken. Ein Spieler am Ende desVertrag­s wie Mario Götze zum Beispiel wird nicht mehr die bisherigen Beträge erhalten. Bisher wollte man im Fußball immer mehr. Jeder überlegte, wie man immer mehr verdienen kann. Gier galt als oberstes Prinzip. Am Schluss explodiert das System.“Den Begriff Gier im Zusammenha­ng mit dem Namen Götze platzierte der mit allenWasse­rn gewaschene Funktionär sicher nicht zufällig.

Zu Neuer hat sich Bierhoff nicht geäußert. Das ist auch nicht zu erwarten. Denn die Nationalma­nnschaft braucht ihren Kapitän Neuer noch, während Götze nicht mehr auf der DFB-Liste steht. Ob wiederum der FC Bayern in naher Zukunft so leicht auf ihn verzichten kann, ist nicht heraus. Nübel hat bislang nicht mehr als Talent bewiesen. Zumindest wurde er noch nicht mit dem Vorwurf der Gier überzogen. Und das ist ja schon was im Fußball in Zeiten von Corona.

 ?? FOTO: DPA ?? Manuel Neuer bei einer Flugeinlag­e während des Kleingrupp­en-Trainings des FC Bayern an der Säbener Straße.
FOTO: DPA Manuel Neuer bei einer Flugeinlag­e während des Kleingrupp­en-Trainings des FC Bayern an der Säbener Straße.

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