Rheinische Post Krefeld Kempen

Historisch: Erstmals Muezzin-Rufe über Krefeld

Es ist ein historisch­es Datum: Im Zuge der Corona-Pandemie sind erstmals öffentlich Muezzin-Rufe in Krefeld zu hören. Noch vor zwei Jahrzehnte­n gab es in Deutschlan­d erbitterte Auseinande­rsetzungen darum. Auch in Krefeld gab es dazu 2012 und 2014 Debatten

- VON JENS VOSS

Ohne große Diskussion ist im Zuge der Corona-Pandemie in Krefeld (wie auch in anderen Kommunen) eine nachgerade historisch­e Entscheidu­ng gefallen. Erstmals ertönen öffentlich Muezzin-Rufe (wir berichtete­n). Die Genehmigun­g erteilte die Stadt im Einvernehm­en mit den großen christlich­en Kirchen und der jüdischen Gemeinde. Die Regelung gilt für die Dauer der Schließung von Moscheen, Kirchen und Synagogen und soll Zeichen der Toleranz und der Empathie sein: Mitgefühl mit Menschen, die ihren Glauben nicht mehr vereint im Gottesdien­st ausüben können. Corona hat damit einen Schub an Toleranz bewirkt, der alles andere als selbstvers­tändlich ist. Bis heute spaltet der Muezzin-Ruf die Gemüter, vor zwei Jahrzehnte­n gab es dazu in Duisburg eine deutschlan­dweit beachtete, erbitterte Debatte.

Vorweg: Die Krefelder muslimisch­e Gemeinscha­ft verfolgt bislang eine zurückhalt­ende Linie und setzt auf Konsens; sie will, wie es der frühere Vorsitzend­e der Türkischen Union, Mehmet Demir, im Jahr 2012 ausdrückte, nicht „mit der Brechstang­e“für den Muezzin-Ruf eintreten; „wir setzen auf Dialog“, hatte Demir damals gesagt. Im Jahr 2012 war die Debatte darum aufgeflack­ert, nachdem die FDP gefordert hatte, das Glockenläu­ten und den Muezzin-Ruf gleichzuse­tzen.

Die muslimisch­e Gemeinscha­ft bleibt bei ihrer zurückhalt­enden Linie: Sowohl das erste Krefelder Minarett – 2016 eingeweiht und zur Yunus-Emre-Moschee in Stahldorf gehörend – als auch das Minarett der in Bau befindlich­en Moschee an der Gladbacher Straße sollen „stille Minarette“ohne Muezzin-Ruf bleiben.

So kam es es zur Ausnahmere­gelung: Die muslimisch­en Gemeinden hatten bei Krefelds Integratio­nsbeauftra­gter Tagrid Yousef nach einem gemeinsame­n Kirchengel­äut und Muezzin-Ruf angefragt. Yousef leitete die Bitte an die übrigen Religionsg­emeinschaf­ten weiter; Katholiken, Protestant­en und Juden signalisie­rten Zustimmung.

Krefelds Muslime haben das „dankbar begrüßt“. Es sei „ein schönes Gefühl, den Gebetsruf, den wir Muslime ja nur innerhalb der Moschee bisher gehört haben, auch mit der Öffentlich­keit teilen“zu dürfen, erklärt Halide Özkurt via Facebook; sie gehört zur Fatih-Gemeinde, die die neue Moschee baut. „Für uns ist das ein einmaliges Erlebnis, es rührt uns und zeigt, dass wir in Deutschlan­d angenommen worden sind. Nicht mehr und nicht weniger“, so Özkurt weiter. Bei Facebook machen eine Reihe vonVideos der Muezzin-Rufe die Runde.

Unter der Oberfläche blieb das

Thema heikel, das Meinungssp­ektrum nicht einhellig. Die Evangelisc­he Allianz Krefeld, die im Wesentlich­en von evangelika­l geprägten Freikirche­n getragen wird, hat sich gegen den Muezzin-Ruf ausgesproc­hen. Hauptgrund: Die Allianz sieht den Muezzin-Ruf als „eine Proklamati­on muslimisch­en Glaubens in der Öffentlich­keit“, wie es in einer Stellungna­hme zu der muslimisch­en Bitte heißt. Der öffentlich­e Ruf werde „als herabwürdi­gend für Jesus Christus“empfunden; Christus werde öffentlich unter den Propheten Mohammed gestellt: „Jesus ist nur Prophet und Mohammed das Siegel der Propheten.“Insbesonde­re lehnen die Freikirche­n die Gleichstel­lung von Glockenläu­ten und Muezzin-Ruf ab: Das Läuten sei „neutral einladend zum Gebet“und „keine Proklamati­on für Jesus Christus in der Öffentlich­keit“, somit auch „kein Ärgernis für Andersgläu­bige“. Was würde geschehen, fragt die Allianz, „wenn Christen per Lautsprech­er in islamisch geprägten Straßen ausrufen: ,Jesus ist Gottes Sohn. Er ist an Karfreitag gekreuzigt worden und vom Tod auferstand­en. Jetzt thront er im Himmel an Gottes rechter Seite’?“.

Auch 2014 wurden beim Bau des ersten Minaretts von Krefeld Empfindlic­hkeiten deutlich: So begrüßte der SPD-Politiker Michael Haas seinerzeit den Verzicht der muslimisch­en Gemeinde auf den Gebetsruf mit den Worten: „Dass in Krefeld die islamische Gemeinde von sich aus auf den Muezzin-Ruf verzichtet, sehe ich als ein klares Signal des Respektes und der Toleranz vor der christlich­en Tradition in unserer Stadt.“

Bei der Debatte im Jahr 2012 im Zuge der FDP-Forderung nach einer Gleichstel­lung von Glockenläu­ten und Muezzin-Ruf kam Zustimmung von SPD und Grünen und eine differenzi­erte Ablehnung von der CDU. Sie lehnte den Ruf mit Lautsprech­erverstärk­ung ab. Dies falle nicht unter die grundgeset­zlich gewährleis­tete „ungestörte Religionsa­usübung“, hieß es; über einen Gebetsruf ohne Verstärker könne man nachdenken. „Beim Gebetsruf per Lautsprech­er wird die jahrhunder­telange christlich­e Prägung der deutschen Gesellscha­ft nicht mehr berücksich­tigt“, erklärte der damalige CDU-Fraktionsv­orsitzende Wilfrid Fabel.

Die Krefelder Debatten waren harmlos imVergleic­h zu der Auseinande­rsetzung, die 1996 und 1997 in Duisburg geführt wurde. Dort sollten in den Stadtteile­n Marxloh und Laar in der muslimisch­en Fastenzeit von Ende Dezember bis Ende Januar erstmals Muezzin-Rufe ertönen. Vor allem Pastor Dietrich Reuter erlangte seinerzeit bundesweit Berühmthei­t. Sein Kernargume­nt gegen den Muezzin-Ruf hob auch auf den Unterschie­d zum Glockenläu­ten ab: In einer Zeitungsan­zeige seines Presbyteri­um vom November 1996 hieß es, der Anspruch auf Gleichbeha­ndlung könne nicht das Recht auf regelmäßig­e lautsprech­erverstärk­te öffentlich­e Verkündigu­ng außerhalb der eigenen Räume begründen; auch„von den christlich­en Kirchtürme­n her ergeht bisher noch keine lautsprech­erverstärk­te Predigt über den Stadtteil“.

Für den„Spiegel“waren seinerzeit Fundamenta­listen auf beiden Seiten aktiv: Das Blatt berichtete im November 1997 von unterschwe­lligen Drohungen eines Moscheever­ein-Sprechers: Wer sich gegen den Muezzin-Ruf wehre, müsse mit„unkontroll­ierbaren Aktionen“rechnen, wird er zitiert.

Reuter wiederum wurde immer mehr zum Eiferer und hat sich in der evangelisc­hen Kirche zunehmend isoliert, ja unmöglich gemacht. Schon die Zeitungsan­zeige war von der Landeskirc­he scharf kritisiert worden, sie schüre „Ignoranz und Abgrenzung“, hieß es auf der Synode der Rheinische­n Kirche 1997. Im Jahr 2000 hat Reuters dann von der Kanzel herab die Namen von Gemeindegl­iedern genannt, die sich angeblich unzüchtige­n Verhaltens schuldig gemacht hatten, weil sie ein uneheliche­s Paar waren; Reuter schloss sie deshalb vom Abendmahl aus. Danach wurde er von der Landeskirc­he beurlaubt und aus der Gemeinde abberufen.

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narett ohne Muezzin-Ruf geplant. Der Ruf ist nun in der Zeit erlaubt, in der Gotteshäus­er wegen Corona geschlosse­n bleiben müssen.
RP-ARCHIV: LAMMERTZ Bild von der Ein weihung des ersten Minaretts Krefelds (2016; Yunus-Enre-Mo schee Stahldorf): Es ist wie das Minarett der im Bau befindlich­en Mo schee an der Gladbacher Straße als stilles Mi narett ohne Muezzin-Ruf geplant. Der Ruf ist nun in der Zeit erlaubt, in der Gotteshäus­er wegen Corona geschlosse­n bleiben müssen.
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