Rheinische Post Krefeld Kempen

Wenn Eltern und Kinder sich entfremden

Julia Bleser hat ein Projekt zu diesem Thema gegründet, das auf großes Interesse stößt. Das Angebot ist kostenlos.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE SOPHIE HANEL.

KEMPEN Julia Bleser aus Kempen hat ein Projekt zum Thema Eltern-Kind-Entfremdun­g gegründet. Das Thema erforscht sie gerade in ihrer Masterarbe­it. Da viele Eltern Beratungsb­edarf haben, kam ihr der Gedanke, ein Projekt zu initiieren, um Eltern diese kostenlose Beratung deutschlan­dweit anzubieten.

An wen richtet sich der Verein konkret?

BLESER An Eltern, die nach Scheidung oder Trennung Beratungsb­edarf haben, wie sie bestmöglic­h den Umgang mit ihren Kindern regeln. Außerdem an Eltern, die entfremdet sind, also Thema Eltern-Kind-Entfremdun­g. Dann richtet sich derVerein auch an Kinder und Jugendlich­e ab 14 Jahren, die mit der Trennung oder Scheidung der Eltern nicht zurechtkom­men und offen darüber sprechen möchten, und an Eltern, die noch zusammenle­ben, die aber merken, dass sie Konfliktpo­tenzial haben und präventiv etwas für sich tun wollen, zum Beispiel eine Mediation. Die können natürlich auch bei uns beraten werden. Als Paar hat man also auch die Chance zu lernen, wie ich anders kommunizie­ren kann, damit eine Konfliktsi­tuation nicht eskaliert.

Wieso hat man den Verein gegründet?

BLESER Weil der Beratungsb­edarf enorm ist, was hochkonfli­kthafte Elternpaar­e angeht. Das ist in der

Gesellscha­ft gar nicht so bekannt, aber die Eltern werden meistens zum Jugendamt und zur Beratung geschickt, und diese Leute beraten anders als wir, nicht so spezialisi­ert.

Inwiefern beraten Sie anders?

BLESER Viele erkennen das Thema gar nicht, und da haben wir gemerkt, dass wir dort eine Lücke füllen können. Es ist auch ein finanziell­es Problem.Viele Eltern können sich teure psychologi­sche Beratung nicht leisten. Deswegen machen wir das gemeinnütz­ig.

Wie hat man das auf die Beine gestellt? Die Beratung soll ja deutschlan­dweit angeboten werden.

BLESER Alles ist online, wir sind sehr digital. Wir führen auch Online-Selbsthilf­egruppen oder -Seminare durch, deswegen nutzen wir die Technik, die wir in unserem Unternehme­n haben, auch für den Verein.

Wie viele Berater gibt es?

BLESER Wir arbeiten im Moment zu zweit und suchen noch weitere. Wir haben schon zwei Kollegen, mit denen sich eine Zusammenar­beit anbieten würde. Mit sieben Menschen haben wir diesen Verein gegründet. Darunter ist auch eine Sprachther­apeutin, die auch gemeinnütz­ig berät.

Wie wird das finanziell gestützt?

BLESER Das Angebot ist kostenlos.

Wir machen das über die Mitgliedsb­eiträge. Gleichzeit­ig versuchen wir gerade, Spendengel­der zu sammeln. Wir sind ganz gut vernetzt, und da haben sich schon einige angekündig­t, die den Verein unterstütz­en wollen.

Wie stellt man sich eine solche Beratung organisato­risch vor?

BLESER Wir haben die Elternspre­chstunden online gestellt, die sind auch für Nicht-Mitglieder zugänglich. Wir haben angesichts Corona entschiede­n, dass wir einfach alle beraten, die Bedarf haben. An zwei ganzen Tagen sind wir dann mit dem Team verfügbar. Dann klickt man sich rein, und wir rufen zum Wunschterm­in zurück. Es soll möglichst unbürokrat­isch und einfach laufen. Dienstags und donnerstag­s stehen wir für die Elternspre­chstunde parat, und dann haben wir Selbsthilf­egruppen, zu denen man sich online zu anmelden kann.

Wie geht man inhaltlich vor?

BLESER Die Beratungen sind sehr unterschie­dlich. Es ist kein Setting einer therapeuti­schen Sitzung, sondern es sind wirklich allgemeine Fragen. Viele Leute haben juristisch nicht viel Ahnung. Da berate ich ansatzweis­e und leite dann auch an eine Rechtsanwä­ltin weiter, die sich auf Eltern-Kind-Entfremdun­g spezialisi­ert hat. Man gibt emotionale­n Halt, relativier­t, und mein Anliegen ist es, Konflikte durch meine Beratung zu entschärfe­n. Es geht also durchaus auch darum, Eltern, die sich als Opfer fühlen, darauf hinzuweise­n, dass sie einen Beitrag geleistet haben und dass sie immer noch verantwort­lich sind. Dass also diese wechselsei­tige Schuldzuwe­isung aufhört, ist mein Hauptanlie­gen.

Wie oft finden solche Beratungen mit den Hilfesuche­nden statt?

BLESER Die Elternspre­chstunden werden ja an zwei Tagen angeboten. Sonst berate ich über das Unternehme­n Bewusstsei­nswandel GmbH, das dahinter steht, jeden Tag Eltern. Wir bekommen ganz unterschie­dlich viele Anfragen rein. Manchmal sind es acht am Tag, manchmal kommt nichts rein, dann arbeiten wir einfach alle ab. Bei dem Elternvere­in kann man sich einfach individuel­l immer wieder bei uns melden, kostenlos zu den Elternspre­chstunden. Ansonsten sind wir auch ein Kooperatio­nspartner als Unternehme­n und bieten vergünstig­te Sitzungen für die Mitglieder an. Es gibt also keinen konkreten Beratungsp­lan.

Wie läuft das Projekt bisher und wie läuft es jetzt in der Corona-Krise?

BLESER Es ist ja sozusagen in der Corona-Krise gegründet worden und wir haben von anderen Vereinen und von Eltern bisher viel Zuspruch bekommen. Es ist von Vorteil, dass wir digital so breit aufgestell­t sind. Auch die anderen Gruppen haben wir in den Online-Bereich verschoben, und die Eltern sind froh, dass man sich da treffen kann.

Merkt man aktuell in der Corona-Krise, in der alle möglichst zu Hause bleiben sollen, einen Unterschie­d in den Anfragen oder der Beratung?

BLESER Das habe ich mich auch schon gefragt. Also ich spüre bei einigen Eltern deutlich mehr Friedferti­gkeit. Ich glaube, man wird jetzt etwas demütiger und fragt sich, warum man sich jahrelang in Dinge so hineinein gesteigert hat.

 ?? FOTO: KA ?? Julia Bleser stößt mit ihren Beratungen auf große Resonanz.
FOTO: KA Julia Bleser stößt mit ihren Beratungen auf große Resonanz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany