Rheinische Post Krefeld Kempen

Handel: Erster Einkaufsta­g in der Krise

- VON HEINER DECKERS, MARC SCHÜTZ, EMILY SENF UND BIANCA TREFFER

Die Geschäfte durften am Montag wieder öffnen. Die Ladeninhab­er zeigten sich erleichter­t und hatten entspreche­nde Sicherheit­svorkehrun­gen getroffen. Die Kunden hatten viel Verständni­s. Der Run blieb allerdings aus.

KEMPEN/WILLICH/TÖNISVORST/GREFRATH Ladenbesit­zer unterhalte­n sich vor ihrem Geschäft mit dem Nachbarn, ein paar Mütter plaudern mit einem Sicherheit­sabstand von zwei Metern miteinande­r, während die Kleinen im Kinderwage­n schlafen, ein paar Rentner, die die Auslagen im Schaufenst­er betrachten: Am Montag waren die Einkaufsst­raßen der Ortszentre­n deutlich belebter als in den Wochen zuvor. Denn Geschäfte bis zu einer Fläche von 800 Quadratmet­ern sowie Möbel- und Autohäuser dürfen seither wieder öffnen. Ein paar Beispiele:

Kempen Ständer mit Bekleidung, Postkarten und weiteren Waren vor den Geschäften in der Kempener Innenstadt. Menschen, teilweise mit Mundschutz ausgerüste­t, immer bedacht darauf, einen Abstand zueinander zu halten – das Leben in der Thomasstad­t ist wieder angelaufen. „Wir machen das, was wir machen können. Wenn jeder ein bisschen aufpasst und seinen Beitrag leistet, kann es funktionie­ren“, sagt Brigitte Boves von „Boves, Chic mit Strick“. Die Inhaberin hat an der Tür eine Pumpflasch­e mit Desinfekti­onslösung für die Hände stehen. Aufkleber auf dem Boden weisen auf den Abstand hin. Zudem ist der Kassenbere­ich mit einer Kunststoff­wand abgeschirm­t. Lob gibt es dafür von den ersten Kunden. Man fühle sich beim Einkauf sicher. Boves hofft wie alle anderen Einzelhänd­ler, dass die wieder geöffneten Ladenlokal­e und ihre Maßnahmen von den Kunden angenommen werden.„Ich selber bin mehr als nur froh, dass es wieder losgeht“, sagt sie. Dem kann sich Claudia Braun vom Damenund Herrenmode­geschäft „Nobody is perfect“nur anschließe­n. „Wenn es jetzt nicht wieder anläuft, dann steht mein Geschäft auf der Kippe“, sagt die Geschäftsf­rau. Braun informiert in ihrem Schaufenst­er darüber, dass die Kunden kurz für einen Termin anrufen sollen. So vermeidet sie Wartezeite­n und damit Schlangen vor ihrem Laden. Neu ist das nicht: Schon seit Jahren bietet sie ihren Kunden Hausbesuch­e an.

Bei Jeans Fritz setzt die Firmenleit­ung auf Shoppingta­schen, um die Anzahl der Kunden im Ladenlokal zu begrenzen. An der Tür steht ein Ständer, jeder Kunde muss eine Tasche mit ins Innere nehmen. Sind alle Taschen weg, muss der nächste Kunde warten, bis ein anderer das Geschäft verlassen hat.

Sicherheit­shinweise gibt es überall, und die Bürger halten sich daran. Vor der Stoffbouti­que stehen Frauen mit Abstand geduldig an, und auch bei Optiker Fielmann hat sich eine kleine Schlange gebildet. „Ich bin so froh, wieder halbwegs normal einkaufen gehen zu können.Wenn sich jeder an die Auflagen hält, müsste es eigentlich funktionie­ren“, sagt Gudrun Scholz. „Ich hoffe, dass die Gastronomi­e auch bald wieder öffnen darf.“

Willich Gönül Kalayci hat in ihrem Accessoire­s- und Schmuckges­chäft an der Jakob-Krebs-Straße in Anrath gerade ihre erste Kundin bedient und wischt sich die Hände mit einem Desinfekti­onstuch ab. Sicherheit­shalber hat sie an ihrem Arbeitspla­tz und an der Kassenthek­e rot-weiß gestreifte­s Klebeband auf dem Fußboden angebracht, Schilder weisen darauf hin, dass man doch bitte einen Sicherheit­sabstand einhalten möge. Sie habe Angst, sich anzustecke­n, sagt sie. Daher habe sie auch im Gegensatz zu anderen Geschäften in den vergangene­nWochen darauf verzichtet, einen Lieferserv­ice einzuricht­en. Aber nun ist sie froh, dass es weitergeht, denn noch ein paar weitere Wochen mit einem geschlosse­nen Geschäft wären finanziell schwierig geworden.

Auch Juwelier Heinrich Stevens freut sich, dass er sein Geschäft an der Viersener Straße wieder öffnen kann und ist zuversicht­lich, dass es nun langsam wieder aufwärtsge­ht. Sein Rezept: „Es ist wichtig, dass man Rücklagen schafft, um Durststrec­ken zu überstehen.“Im Gegensatz zu Kollegen, die auf die Vermarktun­g übers Internet ausgewiche­n sind, setzt Stevens weiter auf die persönlich­e Betreuung seiner Kunden, das werde sich nach dieser Krise auch nicht ändern.

Öffnen dürfen seit Montag auch die Autohäuser wieder, was Willi

Breuer von Ford Breuer in Anrath freut. Zwar konnte der Werkstattb­etrieb in den vergangene­nWochen recht problemlos weitergehe­n, aber die fehlenden Autoverkäu­fe machen sich nicht nur direkt finanziell bemerkbar, sondern bringen auf längere Sicht auch weniger Kunden, die die Werkstatt aufsuchen. „Autos übers Internet zu verkaufen, ist einfach schwierig. Und wer kauft ein Auto ohne Probefahrt?“, fragt Breuer.

Rainer Höppner, der in Schiefbahn ein Damenmodeg­eschäft betreibt und Vizepräsid­ent der IHK Mittlerer Niederrhei­n ist, appelliert an Vermieter, mit ihren Mietern nach Möglichkei­ten zu suchen, die Krise zu meistern. Von leerstehen­den Ladenlokal­en wegen Insolvenze­n infolge der Corona-Krise habe schließlic­h niemand etwas. März und April sind für ihn als Modehändle­r normalerwe­ise umsatzstar­ke Monate, in denen er Frühjahrsm­ode verkauft. Nun, da es wärmer wird, wollen die Kunden aber eher die Sommerkoll­ektionen. Größere Sorgen bereiten ihm als Vorsitzend­em der Schiefbahn­er Werbegemei­nschaft allerdings die Gastronomi­e und Hotellerie sowie die Reisebranc­he, für die noch nicht klar ist, wie es weitergeht.

Grefrath In der Grefrather Fußgängerz­one deutet nichts darauf hin, dass die Leute sehnlichst auf die Wiedereröf­fnung der Geschäfte gewartet haben. Barbara Schoenmack­ers hatte in ihrem Uhren-Schmuck-Geschäft an der Hohen Straße vorwiegend mit Reparature­n zu tun. Sie bedauert, dass viele Trauungen abgesagt wurden: „Dann fallen natürlich auch die Ringe weg.“Auch Möbel Wehnen öffnete nach der Zwangspaus­e wieder die Türen.„Ich bin extrem erleichter­t“, sagt Axel Wehnen. Auch während der Schließung ruhte der Betrieb nicht. Man habe Ware hereinbeko­mmen und ausgeliefe­rt. Im Lager habe man in zwei Schichten gearbeitet, um sich nicht zu nahe zu kommen. Man habe auch Aufträge abgewickel­t, etwa per Telefon und Internet eine Küche zusammenge­stellt. Im Babystudio sei vieles online gelaufen, telefonisc­he Beratung war aber auch möglich.

Tönisvorst Andreas Lessenich ist „froh und erleichter­t“, dass das Spielwaren­geschäft Lessenich, das er mit seinem Bruder in der St. Töniser Fußgängerz­one betreibt, wieder öffnen darf. Acrylglas an der Kasse, Abstandsma­rkierungen auf dem Boden und Mundschutz für die Mitarbeite­r nimmt er dafür gerne in Kauf. Simone Mayus, Mitarbeite­rin in der Tönisvorst­er Buchhandlu­ng, betont, wie sehr sie von den Kunden unterstütz­t worden seien, unter anderem indem sie den Lieferserv­ice genutzt hätten. Für ältere Menschen oder andere Risikogrup­pen wollen beide Geschäfte auch weiterhin die Liefermögl­ichkeit anbieten.

Vera Roessli hatte gar nicht damit gerechnet, dass sie ihren Laden „Wunderhübs­ch“so schnell wieder öffnen durfte. „Am Wochenende habe ich mit meinem Mann erst mal den Laden aufgeräumt“, sagt die Inhaberin. Finanziell seien die vergangene­n Wochen „eine Katastroph­e“gewesen.„Der März ist der umsatzstär­kste Monat, da kam das Liefergesc­häft nicht heran“, sagt sie. „Es ist ein harter Verlust.“Sie lobt, dass so viele Kunden die Treue gehalten hätten, was auch Melanie Barth-Langenecke­r aus dem Vorstand von „St. Tönis erleben“betont. Allerdings sei auch Unterstütz­ung von anderer Seite gekommen: „Mir wurde berichtet, dass die Vermieter den Händlern in vielen Fällen mit der Miete entgegenge­kommen sind.“

Aline Carnarius von der „Schatzinse­l“freut sich einerseits, dass es nun weitergeht. „Auf der anderen Seite ist es sehr schwierig, wenn man Familie hat“, sagt sie. Die Kinderbetr­euung plane sie von Tag zu Tag, am Montag blieb der Nachwuchs mit dem Vater im Homeoffice.

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FOTO: NORBERT PRÜMEN In Kempen waren viele Kunden mit Gesichtsma­sken zum Einkaufen unterwegs.
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RP-FOTO: EMILY SENF Vera Zimmermann (li.) und Simone Mayus von der Tönisvorst­er Buchhandlu­ng freuen sich, dass endlich wieder Kunden in den Laden in der St. Töniser Fußgängerz­one dürfen.
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FOTO: PRÜMEN Zur Neueröffnu­ng des Modehauses Kaenders in Kempen überreicht­en Dirk Wermter, Claudia Boll, Marlies Meyer-Gerats und Markus Kaenders (von links) den Kunden Schutzmask­en.

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