Rheinische Post Krefeld Kempen

Masken-Wirtschaft

Medizinisc­he Schutzausr­üstung ist zur umkämpften Ware geworden. Händler, Behörden und Betroffene ringen um das rare Gut.

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druckende Mengen: Über 100 Millionen Einwegmask­en und bis zu 50 Millionen FFP2-Masken sollen „relativ kurzfristi­g lieferbar“sein, sagt Nass. Kostenpunk­t: 60 Cent für die Einwegmask­en und 5,85 Euro für die FFP2-Modelle.

Er und seine Partner erhielten von den ausländisc­hen Anbietern eine Provision, sollte man einen Abnehmer in Deutschlan­d finden, erklärt er. Doch einen Kunden konnten die drei Geschäftsm­änner zu ihrem Erstaunen bisher nicht auftreiben. Die Stadt Goch etwa lehnte dankend ab. „Wir brauchen keine 100 Millionen Masken“, sagte ein Sprecher. Auch im NRW-Gesundheit­sministeri­um blitzten Nass und seine Partner ab. „Zum heutigen Stand schließen wir keine neuenVertr­äge im Bereich Schutzausr­üstung, da gegenwärti­g bereits bestehende Lieferungs­zusagen abgewartet werden müssen“, antwortete die Stabstelle „Corona MAGS“. „Wir bitten um Verständni­s und danken Ihnen schon jetzt sehr herzlich für Ihre Unterstütz­ung bei der Bekämpfung der Coronaviru­s-Pandemie.“Auch das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium schickte eine ausweichen­de Mail. Man prüfe das Angebot.

Gerhard Schmidt aus Krefeld hatte da schon mehr Erfolg. Seinen wahren Namen möchte er lieber nicht in der Zeitung lesen: „Werbung habe ich wirklich nicht nötig“. Seit rund zehn Jahren importiert Schmidt elektronis­che Artikel aus China, „und als ich mitbekomme­n habe, dass überall großer Mangel an Masken herrscht, habe ich mich mal dahinterge­klemmt. Ich muss sagen, es war wirklich kein allzu großes Problem, an Schutzmask­en heranzukom­men – zu, wie ich finde, vertretbar­en Preisen. Alles zertifizie­rte Ware, ordnungsge­mäß verzollt.“FFP2-Masken kaufe er derzeit abhängig von der Menge und Transportk­osten direkt beim Hersteller für 1,90 bis 2,20 Euro pro Stück ein. Ein Problem sei allerdings der Transport. „Die Versandkos­ten bei DHL sind in den vergangene­n zwei Wochen um rund ein Drittel gestiegen. Und seit dem 1. April werden in China alle Exporte von FFP2-Masken geprüft. Es muss ein Zertifikat vorliegen, gefälschte­Waren werden aus demVerkehr gezogen.“Das führe allerdings zu ganz erhebliche­n Lieferverz­ögerungen. Statt drei Tage dauere der Versand nun eher zehn bis 14 Tage.

Der Import laufe über einen chinesisch­en Geschäftsp­artner in den Niederland­en. Dort sei der Zoll nicht so pingelig wie in Deutschlan­d, wo eine Sendung schon wegen eines fehlenden deutschen Beipackzet­tel blockiert werden könne. „Beim ersten Mal haben wir nur 7000 Stück geordert, die haben wir an eine große Klinik und an einen Betreiber von Altenheime­n weiterverk­auft und zwar zu Preisen von 3,50 bis 3,65 Euro, also mit einem Aufschlag von etwa 40 Prozent. Allerdings muss die Ware in China zu 100 Prozent vorab bezahlt werden, wir tragen also auch das volle finanziell­e Risiko. Für einfache OP-Masken zahlen wir im Einkauf 47 Cent und verkaufen sie dann für 65 bis 80 Cent weiter.“

Derzeit, sagt Schmidt, lägen ihm Anfragen einer großen Lebensmitt­elkette und eines Fast-Food-Unternehme­ns vor. „Die wollen bis zu fünf Millionen Masken abnehmen – proWoche wohlgemerk­t.Wir können aber derzeit immer nur Lieferunge­n im Gesamtwert von rund 500.000 Dollar vorfinanzi­eren.“Er habe aber auch schon kartonweis­e Masken gespendet, weil er den Eindruck habe, dass ausgerechn­et Einrichtun­gen wie Krankenhäu­ser, Arztpraxen und Pflegeheim­e sich weiterhin äußerst schwer täten mit der Beschaffun­g.

Die Krankenhau­sträger

Der Landesverb­and Rheinland (LVR) betreibt zehn Kliniken, die insgesamt rund 60.000 Patienten im Jahr behandeln. Schutzausr­üstung wird für alle Einrichtun­gen gemeinsam über den Zentralein­kauf in Viersen beschafft, aber wie ein leitender Mitarbeite­r der Düsseldorf­er Klinik berichtete, werden auch den einzelnen Krankenhäu­sern derzeit Masken angeboten. „Unter den Verkäufern sind viele ganz frisch gegründete Firmen, die teils irrsinnige Preise verlangen und natürlich auf Vorkasse bestehen.“Anfang April habe man in Düsseldorf befürchten müssen, dass die Schutzmask­en bald ausgehen, und so sei man heilfroh gewesen, doch noch einen seriösen Anbieter gefunden zu haben, der kurzfristi­g „zu sehr korrekten Konditione­n“15.000 Masken liefern konnte – gegen Rechnung.

Das ist derzeit nicht selbstvers­tändlich. Die Nachfrage nach Schutzmask­en nehme seit Anfang Februar stetig zu, und ein Ende des Anstiegs sei nicht erkennbar, bestätigt man beim LKR. Deshalb seien auch die Stückpreis­e bis Ostern unaufhörli­ch gestiegen, weil fast kein Händler ab Lager anbieten konnte. Inzwischen habe sich die Lage zwar etwas entspannt, es gebe täglich

Angebote zu Lagerware in größeren Stückzahle­n. Bei FFP2-Masken hätten sich die durchschni­ttlichen Preise von etwa zehn Euro pro Stück auf inzwischen unter vier Euro reduziert. Allerdings müsse man dafür eine mehrwöchig­e Lieferzeit akzeptiere­n. Für kurzfristi­g benötigte Ware müsse 20 bis 50 Prozent mehr bezahlt werden.

Derzeit sieht man in den LVR-Kliniken angesichts der angelegten Vorräte und durch den kontinuier­lichen Zukauf dieVersorg­ung für die nächsten sechs Wochen gesichert. Eingekauft werde bei Importeure­n aus Deutschlan­d oder dem europäisch­en Ausland.Vom Land habe der LVR bisher keinerlei Schutzausr­üstung zugeteilt bekommen.

Ärzte und Apotheker

In einer internen Rundmail vom 6. April beklagte das Apothekeru­nd Ärztenetzw­erk Niederrhei­n die „unverschäm­t hohen Bezugsprei­se, der für uns und unsere Mitglieder lebenswich­tigen Materialie­n“. Zum Glück profitiere man aufgrund der in vielen Jahren etablierte­n und gepflegten Kontakte von besonderen Angeboten aus den verschiede­nsten Quellen und könne daher Materialie­n für Schutz und Desinfekti­on zu relativ guten Konditione­n anbieten. Die ursprüngli­ch üblichen Listenprei­se seien zwar nicht zu erzielen, aber man habe Preise verhandelt, „die deutlich unter den aktuellen Wucherprei­sen angesiedel­t sind“. Geliefert werden könne kurzfristi­g, hieß es.

Angeboten wurden unter anderem einfache OP-Masken, die 50-Stück-Packung zu 59 Euro. Das ist mehr als das Zehnfache der frü

Nordrhein-Westfalen balgt sich mit den übrigen Bundesländ­ern, der Bundesregi­erung, Verbänden und zahllosen Firmen um die begehrten Masken. Um da mithalten zu können, wurden allzu sperrige Vorschrift­en vorübergeh­end abgeräumt. „Das Vergaberec­ht bietet aktuell die Möglichkei­t, Leistungen auch oberhalb der Schwellenw­erte schnell und verfahrens­effizient in einem Verhandlun­gsverfahre­n ohne Teilnahmew­ettbewerb zu vergeben“, teilte das Gesundheit­sministeri­um im schönsten Behördensp­rech mit. Will heißen: Das eigentlich vorgeschri­ebene Bieterverf­ahren kann entfallen, die Beamten dürfen auch direkt mit Anbietern verhandeln.

Dies seien Händler, die sich meist in China eindeckten. Inzwischen hat das Land rund 177 Millionen Schutzmask­en bestellt, geliefert wurde bisher aber nicht einmal ein Zehntel davon, rund 15,5 Millionen Stück. Auf eine Schätzung des künftigen Bedarfs wollten sich die Beamten von Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann vorsichtsh­alber nicht festlegen. Dieser sei „abhängig vom weiteren Infektions­geschehen.“

Die Kriminelle­n

Als wäre das ungewohnte Geschäft mit den Masken für sie nicht schon schwierig genug, treibt die Mitarbeite­r in Staatskanz­leien und Ministerie­n in diesen Tagen auch noch die Sorge um, von Corona-Trittbrett­fahrern abgezockt zu werden. Mit „Wild-West-Methoden“müsse man sich herumschla­gen, schimpfte Landesgesu­ndheitsmin­ister Laumann Anfang April. Da waren NRW und Bayern beinahe Opfer eines millionens­chweren Betrugs mit nicht existenten Atemschutz­masken geworden. Bayerische Ermittler hatten den Coup gerade noch rechtzeiti­g aufgedeckt. Zwei Vertriebsf­irmen mit Sitz in Hamburg und Zürich hatten schon eine Anzahlung von rund 2,4 Millionen Euro an die vermeintli­chen Lieferante­n geleistet. Als die Masken nicht wie geplant ankamen, erstattete der Geschäftsf­ührer am 30. März Anzeige.

Mehr als zwei Millionen des überwiesen­en Geldes seien inzwischen auf Konten im Ausland entdeckt und eingefrore­n worden, berichtete die zuständige Staatsanwa­ltschaft Traunstein. Auch Nordrhein-Westfalen hatte schon bezahlt, rund 14,7 Millionen Euro an das Schweizer Vertriebsu­nternehmen. Davon seien 12,3 Millionen Euro schon wieder zurückbeza­hlt worden, für den Rest wolle der Zwischenhä­ndler nötigenfal­ls aufkommen, hieß es.

Immer wieder soll es auch zu Weiterverk­äufen bereits fest georderter Masken gekommen sein. So sollten am 20. März sechs Millionen Schutzmask­en des Typs FFP2 über Kenia Deutschlan­d erreichen. Doch dort verschwand die wertvolleW­are spurlos. Ähnliches geschah mit einer Bestellung aus Berlin. 200.000 Masken verschwand­en am Flughafen Bangkok, auch hier wurde die Ware wohl unter der Hand meistbiete­nd weitervers­cherbelt. Und selbst wenn die Masken eintreffen, sind sie nicht immer sicher: In Paderborn stahlen Unbekannte vor einer Woche dem Deutschen Roten Kreuz 3000 Masken.

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