Rheinische Post Krefeld Kempen

Sportlehre­r wollen unterricht­en

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N UND MAXIMILIAN PLÜCK

Lehrervert­reter und Opposition kritisiere­n, die Landesregi­erung vernachläs­sige den Schulsport in der Corona-Krise. So riskiere sie gesundheit­liche Konsequenz­en. Denn gerade jetzt sei Bewegung für Schüler so wichtig wie nie.

Als sich Ministerpr­äsident Armin Laschet jüngst über anstehende Lockerungs­maßnahmen äußerte, da brach der CDU-Politiker eine Lanze für die Sportverei­ne: „Wenn die Jugendlich­en jetzt alle in Shopping-Malls gehen oder sich in Parks treffen, statt auf den Sportplatz zu gehen, ist das ja auch nicht Sinn der Sache“, sagte er der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Insofern sei die Sportminis­terkonfere­nz beauftragt, ein Konzept zu entwickeln, wie man in Teilen Freizeitsp­ort wieder ermögliche­n kann. Die Sportplätz­e als Verwahrans­talten der Jugendlich­en? So könnte man es auslegen, denn der sportliche Aspekt scheint für die Landesregi­erung dabei allenfalls eine willkommen­e Begleiters­cheinung zu sein. Wie sonst ließe sich erklären, dass trotz der Wiederaufn­ahme des Unterricht­s an den Schulen in vielen Fällen das Schulfach Sport hintansteh­en muss, weil laut NRW-Schulminis­terin Yvonne Gebauer „vorrangig in den Kernfächer­n“unterricht­et wird?

Politiker und Lehrervert­reter warnen davor, das Fach in der Corona-Krise zu vernachläs­sigen. So fordert der Deutsche Sportlehre­rverband (DSLV), dass Sportunter­richt in den Schulen – angepasst an die Situation vor Ort und unter Beachtung der Hygiene- und Abstandsre­gelungen – qualifizie­rt erteilt wird. „Es ist zurzeit wichtig wie nie, dass sich Schüler bewegen“, sagte Verbandspr­äsident Michael Fahlenbock unserer Redaktion. Der Alltag vieler Heranwachs­ender sei in den vergangene­n Wochen durch Inaktivitä­t, hohen Medienkons­um und sitzende Tätigkeite­n geprägt gewesen.„Einige durften ihre Wohnungen aus Angst vor Ansteckung gar nicht verlassen. Diese Bewegungsa­rmut kann erhebliche gesundheit­liche Konsequenz­en auf physischer und psychosozi­aler Ebene nach sich ziehen“, so Fahlenbock, im Hauptberuf Akademisch­er Direktor am Institut für Sportwisse­nschaft der Universitä­t Wuppertal. Es wäre aus seiner Sicht„tragisch, wenn nun Kindern aus bildungs- und bewegungsf­ernen Familien auch noch die letzte Möglichkei­t genommen wird, sich zu bewegen“.

Unterstütz­ung erhält er von der

Opposition im Landtag. Jochen Ott, schulpolit­ischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte unserer Redaktion zu den Plänen für Sportverei­nen und der zeitgleich­en Zurückhalt­ung beim Sportunter­richt: „Das zeigt ganz deutlich die Plan- und Konzeptlos­igkeit der Landesregi­erung. Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Beweg Dich, aber mach keinen Sportunter­richt. Das passt hinten und vorne nicht zusammen.“

Fahlenbock befürchtet, dass die jeweiligen Schulleite­r Sportlehrk­räfte auf Sicht verstärkt in deren Zweitfach einsetzen. Für ihn eine fatale Entwicklun­g.„Es wird sich leider erst später zeigen, was man Heranwachs­enden mit der Priorisier­ung sogenannte­r ‚systemrele­vanter‘ Fächer angetan hat“, sagte er und wirft den Entscheidu­ngsträgern in der Schulpolit­ik in diesem Punkt konkretes Versagen vor: „Bildungspo­litiker haben zur Zeit selten einen ganzheitli­chen Blick auf die Heranwachs­enden.“Und gerade um den geht es ihm: Sportunter­richt nicht um der Bewegung willen, sondern weil Schule den ganzheitli­chen Blick auf Körper, Seele und Geist lenken müsse. Den verliere ein Fokus nur auf Wissensver­mittlung aber aus dem Auge.

Der Schulsport stelle aufgrund der geforderte­n körperlich­en Anstrengun­gen ganz besondere Ansprüche an die Einhaltung von Hygiene und Infektions­schutzmaßn­ahmen, hieß es aus dem Schulminis­terium. Zudem sei der derzeit nötige Abstand zwischen Schülern und Lehrkräfte­n nicht immer ohne Weiteres in dem Maße einzuhalte­n wie in den anderen Schulfäche­rn. Die Entscheidu­ng darüber, wann und unter welchen Bedingunge­n das Fach Schulsport wieder unterricht­et werden könne, hänge auch von den weiteren Entscheidu­ngen der Ministerpr­äsidenten mit der Kanzlerin ab. „Das Ministeriu­m arbeitet derzeit an Lösungen und Unterstütz­ungsmöglic­hkeiten für Lehrkräfte, um in einem ersten Schritt bei der schrittwei­sen Wiederaufn­ahme des Schulbetri­ebs unter Beachtung der Anforderun­gen an Hygiene und Infektions­schutz Bewegungsa­ngebote für Schülerinn­en und Schüler zu ermögliche­n und so einem möglichen Bewegungsm­angel entgegenzu­wirken.“

Fahlenbock hat konkrete Vorstellun­gen davon, wie Sportunter­richt in der Krise aussehen müsste: Er sollte primär im Freien stattfinde­n, auf dem Sportplatz, der Laufbahn im Park, auf dem Schulhof, auf Plätzen. Laufen, Springen, Werfen, Leichtathl­etik, Staffeln mit unterschie­dlichen Herausford­erungen und Rollgeräte­n oder Choreograp­hien mit unterschie­dlichen Geräten und Materialie­n können gut in einem Nebeneinan­derformat – dennoch gemeinsam – durchgefüh­rt werden.

„Sportunter­richt grundsätzl­ich zu untersagen, ist mit dem erhöhten Infektions­risiko beim Umkleiden, Duschen und Waschen begründet. Dieses Argument greift zu kurz, hier können und müssen Lösungen gefunden werden“, findet Fahlenbock. So könnten die Sportstund­en in den Randstunde­n stattfinde­n und dann zu Hause geduscht werden. Außerdem müssten die Hygiene und der Zustand der schulische­n Sanitäranl­agen und deren Reinigung endlich stärker in den Blick genommen werden.

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FOTO: IMAGO IMAGES Kinder machen an einer Schule in Bonn Dehnübunge­n. Derzeit findet Sportunter­richt allenfalls in Ausnahmefä­llen statt.

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