Rheinische Post Krefeld Kempen
Sportlehrer wollen unterrichten
Lehrervertreter und Opposition kritisieren, die Landesregierung vernachlässige den Schulsport in der Corona-Krise. So riskiere sie gesundheitliche Konsequenzen. Denn gerade jetzt sei Bewegung für Schüler so wichtig wie nie.
Als sich Ministerpräsident Armin Laschet jüngst über anstehende Lockerungsmaßnahmen äußerte, da brach der CDU-Politiker eine Lanze für die Sportvereine: „Wenn die Jugendlichen jetzt alle in Shopping-Malls gehen oder sich in Parks treffen, statt auf den Sportplatz zu gehen, ist das ja auch nicht Sinn der Sache“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Insofern sei die Sportministerkonferenz beauftragt, ein Konzept zu entwickeln, wie man in Teilen Freizeitsport wieder ermöglichen kann. Die Sportplätze als Verwahranstalten der Jugendlichen? So könnte man es auslegen, denn der sportliche Aspekt scheint für die Landesregierung dabei allenfalls eine willkommene Begleiterscheinung zu sein. Wie sonst ließe sich erklären, dass trotz der Wiederaufnahme des Unterrichts an den Schulen in vielen Fällen das Schulfach Sport hintanstehen muss, weil laut NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer „vorrangig in den Kernfächern“unterrichtet wird?
Politiker und Lehrervertreter warnen davor, das Fach in der Corona-Krise zu vernachlässigen. So fordert der Deutsche Sportlehrerverband (DSLV), dass Sportunterricht in den Schulen – angepasst an die Situation vor Ort und unter Beachtung der Hygiene- und Abstandsregelungen – qualifiziert erteilt wird. „Es ist zurzeit wichtig wie nie, dass sich Schüler bewegen“, sagte Verbandspräsident Michael Fahlenbock unserer Redaktion. Der Alltag vieler Heranwachsender sei in den vergangenen Wochen durch Inaktivität, hohen Medienkonsum und sitzende Tätigkeiten geprägt gewesen.„Einige durften ihre Wohnungen aus Angst vor Ansteckung gar nicht verlassen. Diese Bewegungsarmut kann erhebliche gesundheitliche Konsequenzen auf physischer und psychosozialer Ebene nach sich ziehen“, so Fahlenbock, im Hauptberuf Akademischer Direktor am Institut für Sportwissenschaft der Universität Wuppertal. Es wäre aus seiner Sicht„tragisch, wenn nun Kindern aus bildungs- und bewegungsfernen Familien auch noch die letzte Möglichkeit genommen wird, sich zu bewegen“.
Unterstützung erhält er von der
Opposition im Landtag. Jochen Ott, schulpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte unserer Redaktion zu den Plänen für Sportvereinen und der zeitgleichen Zurückhaltung beim Sportunterricht: „Das zeigt ganz deutlich die Plan- und Konzeptlosigkeit der Landesregierung. Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Beweg Dich, aber mach keinen Sportunterricht. Das passt hinten und vorne nicht zusammen.“
Fahlenbock befürchtet, dass die jeweiligen Schulleiter Sportlehrkräfte auf Sicht verstärkt in deren Zweitfach einsetzen. Für ihn eine fatale Entwicklung.„Es wird sich leider erst später zeigen, was man Heranwachsenden mit der Priorisierung sogenannter ‚systemrelevanter‘ Fächer angetan hat“, sagte er und wirft den Entscheidungsträgern in der Schulpolitik in diesem Punkt konkretes Versagen vor: „Bildungspolitiker haben zur Zeit selten einen ganzheitlichen Blick auf die Heranwachsenden.“Und gerade um den geht es ihm: Sportunterricht nicht um der Bewegung willen, sondern weil Schule den ganzheitlichen Blick auf Körper, Seele und Geist lenken müsse. Den verliere ein Fokus nur auf Wissensvermittlung aber aus dem Auge.
Der Schulsport stelle aufgrund der geforderten körperlichen Anstrengungen ganz besondere Ansprüche an die Einhaltung von Hygiene und Infektionsschutzmaßnahmen, hieß es aus dem Schulministerium. Zudem sei der derzeit nötige Abstand zwischen Schülern und Lehrkräften nicht immer ohne Weiteres in dem Maße einzuhalten wie in den anderen Schulfächern. Die Entscheidung darüber, wann und unter welchen Bedingungen das Fach Schulsport wieder unterrichtet werden könne, hänge auch von den weiteren Entscheidungen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin ab. „Das Ministerium arbeitet derzeit an Lösungen und Unterstützungsmöglichkeiten für Lehrkräfte, um in einem ersten Schritt bei der schrittweisen Wiederaufnahme des Schulbetriebs unter Beachtung der Anforderungen an Hygiene und Infektionsschutz Bewegungsangebote für Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen und so einem möglichen Bewegungsmangel entgegenzuwirken.“
Fahlenbock hat konkrete Vorstellungen davon, wie Sportunterricht in der Krise aussehen müsste: Er sollte primär im Freien stattfinden, auf dem Sportplatz, der Laufbahn im Park, auf dem Schulhof, auf Plätzen. Laufen, Springen, Werfen, Leichtathletik, Staffeln mit unterschiedlichen Herausforderungen und Rollgeräten oder Choreographien mit unterschiedlichen Geräten und Materialien können gut in einem Nebeneinanderformat – dennoch gemeinsam – durchgeführt werden.
„Sportunterricht grundsätzlich zu untersagen, ist mit dem erhöhten Infektionsrisiko beim Umkleiden, Duschen und Waschen begründet. Dieses Argument greift zu kurz, hier können und müssen Lösungen gefunden werden“, findet Fahlenbock. So könnten die Sportstunden in den Randstunden stattfinden und dann zu Hause geduscht werden. Außerdem müssten die Hygiene und der Zustand der schulischen Sanitäranlagen und deren Reinigung endlich stärker in den Blick genommen werden.