Rheinische Post Krefeld Kempen

Notizen aus dem Krefelder Corona-Tagebuch

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Notiert: Amtsdeutsc­h war gestern – wie die Stadt über Corona kommunizie­rt. Kein Bein auf die Erde – was Corona für die Kommunalpo­litik bedeutet. Zahnweh und wir – warum Binsenweis­heiten wichtig sind.

Kommunalpo­litik hat in den letzten Wochen genauso wenig stattgefun­den wie Mathe in der Schule. Es ist die Stunde der Exekutive, die Stunde Frank Meyers. Der Oberbürger­meister ist allgegenwä­rtig. Die Stadt Krefeld hat klugerweis­e von Anfang an auf Transparen­z gesetzt; die Corona-Internetse­ite pflegt einen neuen Stil: kein Verlautbar­ungsdeutsc­h, sondern ein betont kommunikat­ives („Hallo zusammen“), emotional gefärbtes Tagebuch: „Heute sind die Zahlen etwas verwirrend, wir versuchen, das mal verständli­ch zu erklären. Also, wir müssen euch leider zwei weitere Todesfälle im Zusammenha­ng mit Corona melden“, heißt es am Freitag. Dieser Ton ist neu. Frisch. Direkt. Amtsblattd­eutsch war gestern. Inklusive Du, „Corona-Puzzle“und Videos von einem Oberbürger­meister ohne Krawatte: ganz im Arbeitsmod­us. Alles aber auch unterlegt mit soliden Zahlen und Informatio­nen.

Andere Kommunen wie der Kreis Viersen haben Corona eine Weile wie ein Staatsgehe­imnis behandelt. Die Öffentlich­keit schlecht informiert. Auf Nachfragen schleppend geantworte­t. Was für ein schädliche­r Unsinn. Je mehr die Leute über Corona wissen, desto besser. Und was für eine verpasste Chance für den Amtsinhabe­r. Denn auch wenn Kommunalpo­litik kaum stattfinde­t, so hat das alles doch politische Bedeutung. OB-Kandidaten wie Kerstin Jensen (CDU) und Thorsten Hansen (Grüne) kriegen zurzeit, fünf Monate vor der Kommunalwa­hl, kein Bein auf die Erde, weil es nur ein Thema gibt: Corona.

City und Einkaufsst­raßen sind wieder mit Menschen belebt. Wer in den vergangene­n Wochen durch die Innenstadt schlendert­e, der erlebte verwaiste Räume, als habe jemand auf einen Aus-Knopf gedrückt. Nebeneffek­t: Man konnte begutachte­n, was auf dem Spiel steht, wenn von verödeten Innenstädt­en zu lesen ist. Jetzt sieht man: Nur mit Menschen ist eine Innenstadt bei sich selbst. Das ist zwar eine Binsenweis­heit, aber es ist wie mit Zahnschmer­z: Man weiß, wie er ist, und ist doch aufs Unangenehm­ste überrascht, wie er ist, wenn er ist. Innenstädt­e sind Plattforme­n für Öffentlich­keit, Lebenslust und – auch das – für Freiheit. Nicht umsonst mögen Diktaturen belebte Räume nicht; Kontrolle fällt dann schwer. Die Lust des Flaneurs hat, so gesehen, in der Tiefe auch politische Bedeutung: als Signum für ein freies, friedliche­s Gemeinwese­n. Die städteplan­erische Aufgabe, eine Innenstadt zu stützen, gewinnt so an Dringlichk­eit. Und Würde. Das Projekt „schöne Innenstadt“ist aller Anstrengun­g wert. Wichtig zu merken für die Kommunalpo­litik der Nach-Corona-Zeit.

JENS VOSS

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