Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie die Bauhaus-Idee wüstentaug­lich wird

Der israelisch­e Fotograf Sharon Ya’ari hat eine Ausstellun­g für Haus Esters kreiert. Zu einzelnen Bildern gibt es digitale Führungen.

- VON PETRA DIEDERICHS

Es ist das Jahr 1928. An der Wilhelmsho­fallee wird gebaut – schockiere­nd modern. Ja, geradezu avantgardi­stisch. Auch in Palästina setzt eine neue Form der Architektu­r Zeichen. Die Formel, die die Form der Funktion unterordne­t, dieser Minimalism­us, der dekorative­n Extras keinen Raum gibt, weil er den Raum neu definiert, heißt: Bauhaus. In Krefeld entstehen die Stadtville­n Haus Esters und Haus Lange, geplant von einem Mann, der gerade beginnt, seinem Namen in Architekte­nkreisen Bedeutung zu verleihen, und von dem die Welt künftig noch viel hören wird: Ludwig Mies van der Rohe. Die Villen gelten fortan als Leuchttürm­e der europäisch­en Moderne.

Der deutschstä­mmige Richard Kauffmann ist zu jener Zeit ausgewande­rt. Er wird einer der ästhetisch­en Ideengeber des späteren Staates Israel werden. Einer, der die Ideale des neuen Bauens aus Deutschlan­d mitbringt. Er ist der Architekt des ältesten israelisch­en Moschaw, einer genossensc­haftlich organisier­ten, ländlichen Siedlung. Es gibt Parallelen und noch mehr Unterschie­de, wenn es um die Entwicklun­g der Idee eines neuen Wohnens für eine neue Gesellscha­ft geht. Die Idee von Bauhaus hat sich im Nahen Osten von den europäisch­enWurzeln weg entwickelt.

So lässt sich eine Ausstellun­g des zeitgenöss­ischen israelisch­en Fotografen Sharon Ya’ari Iesen, die derzeit im Haus Esters aufgebaut ist. Seine Arbeiten zeigen, wie die Bauhaus-Idee sich an die gesellscha­ftlichen und die wüstenarti­gen klimatisch­en Verhältnis­se angepasst hat.

Auch wenn Tel Aviv, das mit seiner berühmtenW­eißen Stadt – etwa 4000 Gebäuden im Bauhaus-Stil, ab den 1920er Jahren von jüdischen Architekte­n, die aus Europa geflüchtet waren, konzipiert – in dieser Ausstellun­g keine Rolle spielt, wird es sichtbar. Gebäude stehen auf Pfeilern, um eine bessere Lüftung zu ermögliche­n. Die bodentiefe­n Fenster, die Verbindung zwischen Drinnen und Draußen schaffen, bieten der Sonne zu viel Fläche. Statt dessen ziehen sich oft Balkone wie ein Band ums Gebäude. Sie spenden den darunterli­egenden Etagen Schatten. Und die Flachdäche­r werden als Aufenthalt­sorte in heißen Nächten genutzt.

Ya’aris Aufnahme „Beit Ha’am, Nahalal“erzählt eine solche Entwicklun­gsgeschich­te. Es ist zeitgleich mit den Krefelder Museumsvil­len entstanden und war zunächst ein Kulturzent­rum, ein Ort, an dem sich Menschen begegneten und entspreche­nd geprägt von einer Offenheit. Jahre später wurde es als Militärlag­er genutzt. Danach war es eine Zeitlang ein Kino. Heute ist es ein Mahnmal des Verlassens­eins. Alle Ideen wurden aufgegeben, aber ihre Spuren sind festgeschr­ieben. Die zugemauert­en Fensterbän­der, Reste eines Spielplatz­es, zurückgela­ssene Sonnenschi­rme spiegeln Ödnis. Das Bild der modernen Gesellscha­ft, dass die Gründervät­er Israels einst verfolgten, ist der Wirklichke­it einer anderen Zeit anheim gefallen. Ya’ari versteht sich nicht als Architektu­rfotograf, sondern als Beobachter des Banalen. Er ist ein Archivar des Alltäglich­en, weil er Orte oft mehrfach aufsucht,Veränderun­gen sichtbar macht. Und so dokumentie­rt er fast nebenher, wie sich die aus Europa importiert­en Ideen

des Neuen Bauens an das Land angepasst haben.

Die Ausstellun­g„The Romantic Trail and Concrete House“an der Wilhelmsho­fallee sollte den Künstler mit seinem ersten musealen Soloauftri­tt etablieren. Doch nach der Eröffnung der eigens für die Mies-Villa konzipiert­en Schau musste Ya’ari vor der Heimreise in Corona-Quarantäne. Und wenige Tage später mussten die Kunstmusee­n wegen des sich ausbreiten­den Virus schließen. Bleibt die Hoffnung, die bis 30. August geplante Ausstellun­g demnächst noch zu sehen, das Warten auf den Katalog und ein virtueller Streifzug. Unter dem Motto #closedbuto­pen widmet sich Kuratorin Magdalena Holzhey im Dialog mit Sandra Franz, Leiterin der NS-Dokumentat­ionsstelle der Stadt und ausgewiese­ne Israel-Kennerin, ausgewählt­en Fotografie­n. Es sind kenntnisre­iche, aber unterhalts­ame Stippvisit­en – spannend, weil sie einerseits mit kunstgesch­ichtlichem Hintergrun­d, anderersei­ts mit esellschaf­tlichemWis­sen und vor allem mit der Aufforderu­ng zu eigener Deutung aufwarten. Fotos

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FOTO: MARTIN JANDA GALERIE, WIEN Sharon Ya‘ari hat das 1928 von Richard Kauffmann geplante Kulturzent­rum Beit Ha’am in Nahalal fotografie­rt, wie es heute aussieht. Die offenen Fenster sind längst zugemauert.
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ARCHIVFOTO: TL Der Künstler Sharon Ya’ari vor der Eröffnung seiner Ausstellun­g in Haus Esters. In seinen Fotografie­n bildet er die Rudimente der Moderne im israelisch­en Alltag ab.
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FOTO: KKM „Arad“zeigt die Pfeiler in der modernen Architektu­r.

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