Rheinische Post Krefeld Kempen
Kirche online zu den Menschen bringen
Andachten trotz Corona: Die evangelische Kirchengemeinde St. Tönis stellt Videos ins Netz — mit großem Erfolg.
ST. TÖNIS Wenn die Menschen nicht in die Gottesdienste dürfen, bringt die Kirche die Gottesdienste eben zu den Menschen: In Zeiten der Corona-Pandemie stellt die evangelische Kirchengemeinde St. Tönis Videos ihrer Andachten ins Internet, jede Woche ein neues. Wer damit nichts anfangen kann oder keinen Internetanschluss besitzt, der kann sich die gesprochenen Andachten über das Telefon anhören. Um den Kontakt zu ihren Mitgliedern auch in der Krise nicht zu verlieren, wird die Kirchengemeinde moderner – und erreicht viel mehr Menschen, als üblicherweise in einem Gottesdienst sitzen.
Der letzte reguläre Gottesdienst in der Gemeinde fand am 15. März statt. Seitdem gelten die Corona-Kontaktbeschränkungen, Gottesdienste sind nicht mehr möglich. Viele, wie auch die Gemeinschaft der Gemeinden Kempen-Tönisvorst, reagierten schnell: Sie übertragen ihre Gottesdienste im Internet, einige sogar als Livestream. Für Daniela Büscher-Bruch, Pfarrerin in der evangelischen Kirchengemeinde St. Tönis, sei aber schnell klar gewesen, dass das für sie keine Option sei. „Mit dem Format spricht man eher Jüngere an, also muss alles moderner sein“, sagt sie und erläutert: Eine übliche Andacht von 45 Minuten wäre zu lang. Stattdessen wählt sie Kurzandachten, die etwa eine Viertelstunde dauern. Und in einer Live-Übertragung wäre auch nicht das möglich, womit Büscher-Bruch Atmosphäre schaffen will: verschiedene Kameraeinstellungen, Schnitte und Musik zur Unterlegung. Büscher-Bruch will nicht nur eine Andacht übertragen, sie will die Menschen berühren.
Der Erfolg gibt ihr recht: Im
Schnitt sitzen 60 bis 80 Besucher in einem Gottesdienst; die Videos dagegen werden alle jeweils mehr als 200-mal angeklickt, die Osterandacht sogar mehr als 700-mal. „Ich habe viele Rückmeldungen von Menschen bekommen, die von unseren Videos angetan waren“, sagt die Pfarrerin. „Es gefällt ihnen, die Gemeinde einmal aus dieser Perspektive zu sehen.“
Denn neben der Andacht gibt es noch mehr zu entdecken. So nimmt Büscher-Bruchs MannVolkmar Büscher, der Jugendleiter und Diakon ist, im Video vom vergangenen Sonntag die Zuschauer mit auf eine
Suche nach dem Inneren der Kirche. Sie führt ihn ins Gemeindebüro und in den Glockenturm hinauf. Der Zuschauer erhascht einen Blick auf Botschaften, die die derzeitigen Konfirmanden auf Zettel geschrieben und an die Fenster des Gemeindezentrums geklebt haben. Ein Blick auf die Kirche wird mit der Drohne aus der Luft eingefangen, dazu erklingt Musik, die die Organistin extra für die Videos einspielt.
Der Erfolg der Videos liegt wohl auch darin begründet, dass sie so liebevoll geplant und umgesetzt werden. Ein kleines Team um Büscher-Bruch und ihren Kollegen
Pfarrer Christian Dierlich trifft sich zweimal wöchentlich zu einer Videokonferenz, um Inhalt und Aufbau des nächsten Videos zu besprechen. Für jede Folge entwickeln die Mitglieder ein Drehbuch. Technische Hilfe kommt von Büscher-Bruchs Tochter Noemie (23) und deren Freundin Marit Weiss (20). Sie filmen, steuern die Drohne und schneiden das Material am Computer zusammen. Das nächste Video, das ab Sonntag auf der Internetseite der Gemeinde zu finden sein wird, ist seit Freitag im Kasten. Ist eine Andacht einmal online, kann sie jederzeit angesehen werden.
So angetan die Pfarrerin auch von der Resonanz auf die Videos ist, so vermisst sie doch den direkten Kontakt zu den Menschen. Dennoch liegt das Thema Kirchenöffnung für sie noch in der Ferne. Die Landesregierung hat zwar am Donnerstag mitgeteilt, dass ab Mai wieder öffentliche Gottesdienste gefeiert werden können, wenn sie unter Beachtung des Infektionsschutzes gestaltet werden. Doch:„Wir sehen das skeptisch“, sagt Büscher-Bruch.„Es kommen gerade Ältere, sie gehören zur Risikogruppe. Wir denken, dass damit ein falsches Signal gesetzt würde.“Mit dem Rückhalt durch die Landeskirche soll nun sorgfältig geprüft werden, „was geht in unserer Kirche“, erläutert die Pfarrerin. Schon die üblichen 60 bis 80 Besucher wären zu viel. Wegen der Organistin dürfe niemand auf die Empore, und gemeinsames Singen sowie das Abendmahl wären sowieso tabu. „Wir werden vorerst bei den Online-Andachten bleiben“, sagt Büscher-Bruch.