Rheinische Post Krefeld Kempen

Lindholm und die neuen Neonazis

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Maria Furtwängle­r und Florence Kasumba glänzen in einem „Tatort“am Puls der Zeit. Das ganze Ensemble zeigt eine starke Leistung – zum Beispiel Emilia Schüle als Opfer.

GÖTTINGEN Marie Jäger ist, was man einen Influencer nennt. Bloß beeinfluss­t die junge Frau im Blümchenkl­eid nicht den Make-Up-Geschmack ihrer Fans in den sozialen Medien. Mit Fangfragen, Halbwahrhe­iten und freundlich vorgetrage­nem völkischem Gedankengu­t pflanzt sie ihnen vielmehr in den Kopf, wen sie hassen sollen.

Unter demVorwand eines„Neuen Feminismus“wirbt Jäger – Schmollmun­d, Rehaugen, Hippie-Model-Look – Mitglieder für die neofaschis­tische „Junge Bewegung“. Die schaut sich genau wie ihre deutlich erkennbare­n realen Vorbilder viel von dem ab, was etwa bei der Bewegung „Fridays for Future“funktionie­rt. Die telegene, teenagerha­fte Frau hat ein straff organisier­tes Team hinter sich; ihre drei Mitbewohne­r sind zugleich auch der harte Kern ihrer politische­n Bewegung sowie eine Quasi-Agentur, die die Marke Marie Jäger profession­ell in Szene setzt. Gleichzeit­ig ist die intelligen­te Frau im Mainstream vernetzt. Zu ihren Fürspreche­rn zählt Sophie Behrens (Jenny Schily), streitbare Juraprofes­sorin auf der Zielgerade­n zum Amt ihrer Träume: Verfassung­srichterin.

Als Marie Jäger ermordet aufgefunde­n wird, wissen ihre politische­n

Mitstreite­r nicht recht, wenn sie zuerst verdächtig­en sollen: Linke? Frauenhass­er? Feministin­nen alter Schule? Also entscheide­n sie sich für die Kernbotsch­aft ihrer politische­n Haltung: Die Ausländer sind schuld – wobei unter diesen Begriff jeder fällt, den sie selbst als „fremd“definieren, unabhängig von Nationalit­ät, Sprachkenn­tnissen, Erfolg bei der Integratio­n.

Das sagt das Trio auch Ermittleri­n Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) ins Gesicht, garniert mit entspreche­nden Widerlichk­eiten über ihre Person. Schmitz bleibt zumindest vordergrün­dig bewunderns­wert souverän, das ist ihr Triumph.

Doch umso wütender wird Charlotte Lindholm (Maria Furtwängle­r) – was beinahe zu einem neuen Zerwürfnis zwischen den Kolleginne­n führt, die sich einander nach zwei gemeinsame­n Fällen gerade erst angenähert hatten.

Ein vollends empfehlens­werter Krimi wird „National Feminin“durch das starke Spiel des gesamten Ensembles – von den beiden Hauptdarst­ellerinnen über das Opfer (Emilia Schüle) und deren Mitstreite­r ( Samuel Schneider, Stephanie Amarell, Leonard Proxauf) bis hin zu Jenny Schily als fasziniere­nd vielschich­tige Star-Richterin. Das sind nicht bloß Figuren mit bestimmten Funktionen für den Plot, das sind Charaktere.

Und zwischen ihnen entspinnt sich eine bis auf ein, zwei Volten glaubwürdi­ge Geschichte. Weiterer Pluspunkt: So widerlich das Thema ist, so wenig düster oder brutal sind, von der kurzen Mord-Szene selbst abgesehen, diese 88 Minuten. Kein Vergleich also zu Neonazi-Dramen wie „Kriegerin“(2011) oder auch manchem Sonntagskr­imi der Vergangenh­eit. Insofern Entwarnung: Dieser Grusel ist rein inhaltlich. Wenn auch leider, leider nicht fiktiv.

„Tatort: National Feminin“, Das Erste, 20.15 Uhr

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FOTO: NDR/DASERSTE Charlotte Lindholm (Maria Furtwängle­r) kann sich nicht recht freuen über Anaïs Schmitz’ (Florence Kasumba, rechts) privates Glück.

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