Rheinische Post Krefeld Kempen

Dua Lipa produziert Seifenblas­en-Pop gegen die Krise

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Es ist so schön, dass es dieses Album gerade jetzt gibt. Die Lage ist ja ohnehin nicht gold, und dann meinen viele überambiti­onierte Singer und Songwriter im Internet auch noch, sie müssten vor allem Klagegesän­ge anstimmen, Lieder zur Lage der Coro-Nation, die einen bloß noch viel mehr seufzen lassen. Da doch lieber „Future Nostalgia“von Dua Lipa: Regenbogen runterruts­chen, Luftschlan­gen pusten, 37 Minuten Vorfreude auf Post-Corona-Umarmungen.

Dabei hätte es die Platte beinahe gar nicht gegeben, jedenfalls noch nicht. „Future Nostalgia“ist das zweite Album der 24 Jahre alten Sängerin Dua Lipa, und es sollte sie in die Champions League des Pop katapultie­ren, in den Thronsaal neben Katy Perry und Taylor Swift. Vor drei Jahren hat die aus Albanien stammende Britin den Grundstein gelegt; ihr Titel „New Rules“war einer der großen Erfolge des Jahres 2017. Popmusik für Freitagabe­nde, die weit in den Samstag reichen. Zwei Millionen Mal verkaufte sich das zugehörige Album. Gute Ausgangsla­ge.

Im Pop werden Albumveröf­fentlichun­gen generalsta­bsmäßig geplant, es geht anders zu als im HipHop oder in anderen schnellere­n Genres. Pop ist behäbiger, weil die Zielgruppe größer und heterogen ist. Dua Lipa arbeitete seit zwei Jahren an der neuen Platte, die Frequenz, in der sie Vorab-Singles promotet, war ebenso festgelegt wie Talkshow-Auftritte, Instagram-Stories und Features in Magazinen. Sie hatte sich die besten Produzente­n gesucht, Stuart Price etwa, der Madonnas mächtiges Comeback-Album „Confession­s On A Dancefloor“(2005) eingericht­et hat. Auf dem Times Square prangte bereits eine Werbung mit dem überlebens­großen Gesicht von Dua Lipa. 85 Konzerte weltweit waren geplant. Sie musste nur noch den Knopf drücken, um die Rakete abzufeuern, die sie ins All schießen würde. Dann kam Corona.

Dua Lipa kehrte gerade aus den USA zurück nach London, als die Kontaktbes­chränkunge­n griffen. Ihr Apartment war nach einemWasse­rschaden unbewohnba­r, also zog sie mit ihrem Boyfriend Anwar Hadid (der Bruder der Models Gigi und Bella Hadid) in ein AirBnb. Dort überlegte sie, ob sie die Albumveröf­fentlichun­g verschiebe­n soll: Will in dieser Situation überhaupt jemand Pop hören? 24-Karat-Tanzschlag­er, Hochgeschw­indigkeits-Seifenblas­en-Pop, der klingt, als hätten sich Blondie, Olivia Newton-John und INXS zum „Flashdance“-Gucken getroffen? Sie dachte noch nach, als sie erfuhr, dass irgendjema­nd ihr Album illegal ins Internet gestellt hatte. Dann sagte sie: Veröffentl­ichen, und zwar früher als geplant.

Sie organisier­te die Welterober­ung nun vom Sofa aus. Kommentier­te ihre Platte bei YouTube Song für Song, lieferte für die Show von James Corden eine Zoom-Performanc­e, dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Ihre Verse wurden zu Corona-Memes: „Don’t show up / Don’t come out“(aus „Don’t Start Now“) posteten die Leute. Und: „I should’ve stayed at home“(aus „Break My Heart“). Das Lied „Physical“wurde zum Hit der Krise, es liefert die Utopie einer Welt danach: „Let’s get physical!“.

„Future Nostalgia“ist nun der Erfolg, der das Album unter anderen Umständen hätte werden sollen. Gerade weil die balladenfr­eie Platte den Soundtrack zur bestmöglic­hen Gegenwart liefert. „I guess we’re ready for the summer“, singt Dua Lipa in „Cool“. Bleibt nur: mitsingen.

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FOTO: AP Dua Lipa

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