Rheinische Post Krefeld Kempen
Ein wertvolles Grundrecht
ANALYSE
Die Grundrechte stehen hierzulande unter Druck wie nie zuvor seit der Gründung der Bundesrepublik. Bund und Länder sehen sich gezwungen, sie auf breiter Front einzuschränken, um die Ausbreitung eines gefährlichen Virus zu verlangsamen. Noch vor wenigen Monaten wäre das undenkbar gewesen. Anlass für Grundsatzdebatten und politischen Streit bietet sich reichlich. Je länger die Gesellschaft im Corona-Modus verharren soll und je stärker sich die wirtschaftlichen und sozialen Folgen spüren lassen, desto schärfer dürfte der Ton der Auseinandersetzung werden. Deswegen ist es gut, dass ein Grundrecht ohne Einschränkungen weiter gilt: die Pressefreiheit, deren Bedeutung am Sonntag weltweit gewürdigt wird.
Mehr noch, Medienhäuser sind in Deutschland als systemrelevant eingestuft. In der Tat gehört Aufklärung sicher so elementar zur Pandemiebekämpfung wie die Bereitstellung von Schutzmasken. Dazu zählt aber auch die politische Analyse – wer sollte denn der gerade so mächtig auftretenden Exekutive sonst auf die Finger schauen? Die Freiheit der Medien bedingt unser politisches System.
Wie sie ihre Freiheit nutzen, ist allerdings ihre Sache. Viele sehen es als ihren Auftrag und ihre Verantwortung, Missstände aufzudecken, sei es in einer Gemeinde oder im ganzen Land. Andere begreifen sich als Fürsprecher für bestimmte Gruppen, Themen oder Überzeugungen, auch wenn das alte RechtsLinks-Schema nur noch selten trägt. Die öffentlich-rechtlichen Sender verfolgen einen Bildungsauftrag. Rudolf Augstein beschrieb seinen „Spiegel“einst als „Sturmgeschütz der Demokratie“. Die Rheinische Post, die im nächsten Jahr ihren 75. Geburtstag feiert, tritt seit jeher für Demokratie, Freiheit und Menschenwürde ein und steht besonders für die christlichen Werte.
An diesem Wochenende ist es soweit: Gottesdienste können gefeiert werden, nicht in irgendwelchen Autokinos auf größeren Parkplätzen, sondern in Kirchen – unter allen erdenklichen Schutz- und Hygienemaßnahmen. Viele Messen werden es nicht sein, da die Gemeinden erst einmal alles organisieren müssen, angefangen beim Angebot von Einlasskarten und der Eintrittskontrolle, den markierten Laufwegen bis hin zur sogenannten Priesterspuckschutzwand während der Eucharistie. Es wird eine Herausforderung für jeden Einzelnen, in einem hygienisch derart reglementierten Raum andächtig werden zu können.
Es gibt „die Medien“also in Deutschland gar nicht, jedenfalls nicht als monolithischen Block, sondern in einer nahezu unendlichen Vielfalt. Das Gerede von Systemmedien, die Behauptung einer wie auch immer organisierten Gleichschaltung – alles Quatsch. Grenzen findet die Pressefreiheit im Strafrecht; Mordaufrufe sind selbstverständlich nicht zulässig. Die Grenzen lotete Jan Böhmermann aus, und sie sind weit gefasst. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete ihre erste Wertung seines Erdogan-Gedichts („bewusst verletzend“) später deswegen als Fehler.
Für einen Staat, der auf den Trümmern von Krieg und Diktatur entstand, bedeutet dieses Ausmaß an Pressefreiheit eine historische Errungenschaft, die im internationalen Vergleich nicht selbstverständlich ist. Dass die Demokratie in Russland weniger lupenrein ausfällt, als Gerhard Schröder einst behauptete, und Journalisten dort in Lebensgefahr geraten können, ist leider traurige Realität. Doch auch in EU-Ländern kann die Pressefreiheit unter die Räder kommen, wie Ungarn und Polen zeigen. Und ausgerechnet in dem Land, das demWesten Deutschlands bei der Demokratie besonders stark auf die Sprünge geholfen hat, schwächelt die Anerkennung für die freie Presse: In den USA zieht das Staatsoberhaupt in seinen Reden und Tweets regelmäßig über die Medien her.
Donald Trump hat die Maßstäbe verschoben, so abschätzig ging noch kein US-Präsident mit dem Journalismus um. Aber mit seinem Missfallen steht er nicht allein. Politiker machen auch in Deutschland gerne die Medien verantwortlich, wenn etwas nicht gut für sie läuft. Es ist so schön einfach. Nur: Wer als Träger politischer Verantwortung Journalisten beschimpft, unterminiert das demokratische System, dem er Amt oder Mandat verdankt. „Don’t kill the messenger“heißt eine Redensart, die Journalisten dann einfällt – nicht der Überbringer schlechter Nachrichten soll haften, sondern der Urheber.
Pressefreiheit ist jetzt
noch wichtiger.
Der Diskurs entscheidet
über Leben und Tod