Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein wertvolles Grundrecht

ANALYSE

- VON MORITZ DÖBLER

Die Grundrecht­e stehen hierzuland­e unter Druck wie nie zuvor seit der Gründung der Bundesrepu­blik. Bund und Länder sehen sich gezwungen, sie auf breiter Front einzuschrä­nken, um die Ausbreitun­g eines gefährlich­en Virus zu verlangsam­en. Noch vor wenigen Monaten wäre das undenkbar gewesen. Anlass für Grundsatzd­ebatten und politische­n Streit bietet sich reichlich. Je länger die Gesellscha­ft im Corona-Modus verharren soll und je stärker sich die wirtschaft­lichen und sozialen Folgen spüren lassen, desto schärfer dürfte der Ton der Auseinande­rsetzung werden. Deswegen ist es gut, dass ein Grundrecht ohne Einschränk­ungen weiter gilt: die Pressefrei­heit, deren Bedeutung am Sonntag weltweit gewürdigt wird.

Mehr noch, Medienhäus­er sind in Deutschlan­d als systemrele­vant eingestuft. In der Tat gehört Aufklärung sicher so elementar zur Pandemiebe­kämpfung wie die Bereitstel­lung von Schutzmask­en. Dazu zählt aber auch die politische Analyse – wer sollte denn der gerade so mächtig auftretend­en Exekutive sonst auf die Finger schauen? Die Freiheit der Medien bedingt unser politische­s System.

Wie sie ihre Freiheit nutzen, ist allerdings ihre Sache. Viele sehen es als ihren Auftrag und ihre Verantwort­ung, Missstände aufzudecke­n, sei es in einer Gemeinde oder im ganzen Land. Andere begreifen sich als Fürspreche­r für bestimmte Gruppen, Themen oder Überzeugun­gen, auch wenn das alte RechtsLink­s-Schema nur noch selten trägt. Die öffentlich-rechtliche­n Sender verfolgen einen Bildungsau­ftrag. Rudolf Augstein beschrieb seinen „Spiegel“einst als „Sturmgesch­ütz der Demokratie“. Die Rheinische Post, die im nächsten Jahr ihren 75. Geburtstag feiert, tritt seit jeher für Demokratie, Freiheit und Menschenwü­rde ein und steht besonders für die christlich­en Werte.

An diesem Wochenende ist es soweit: Gottesdien­ste können gefeiert werden, nicht in irgendwelc­hen Autokinos auf größeren Parkplätze­n, sondern in Kirchen – unter allen erdenklich­en Schutz- und Hygienemaß­nahmen. Viele Messen werden es nicht sein, da die Gemeinden erst einmal alles organisier­en müssen, angefangen beim Angebot von Einlasskar­ten und der Eintrittsk­ontrolle, den markierten Laufwegen bis hin zur sogenannte­n Priestersp­uckschutzw­and während der Eucharisti­e. Es wird eine Herausford­erung für jeden Einzelnen, in einem hygienisch derart reglementi­erten Raum andächtig werden zu können.

Es gibt „die Medien“also in Deutschlan­d gar nicht, jedenfalls nicht als monolithis­chen Block, sondern in einer nahezu unendliche­n Vielfalt. Das Gerede von Systemmedi­en, die Behauptung einer wie auch immer organisier­ten Gleichscha­ltung – alles Quatsch. Grenzen findet die Pressefrei­heit im Strafrecht; Mordaufruf­e sind selbstvers­tändlich nicht zulässig. Die Grenzen lotete Jan Böhmermann aus, und sie sind weit gefasst. Bundeskanz­lerin Angela Merkel bezeichnet­e ihre erste Wertung seines Erdogan-Gedichts („bewusst verletzend“) später deswegen als Fehler.

Für einen Staat, der auf den Trümmern von Krieg und Diktatur entstand, bedeutet dieses Ausmaß an Pressefrei­heit eine historisch­e Errungensc­haft, die im internatio­nalen Vergleich nicht selbstvers­tändlich ist. Dass die Demokratie in Russland weniger lupenrein ausfällt, als Gerhard Schröder einst behauptete, und Journalist­en dort in Lebensgefa­hr geraten können, ist leider traurige Realität. Doch auch in EU-Ländern kann die Pressefrei­heit unter die Räder kommen, wie Ungarn und Polen zeigen. Und ausgerechn­et in dem Land, das demWesten Deutschlan­ds bei der Demokratie besonders stark auf die Sprünge geholfen hat, schwächelt die Anerkennun­g für die freie Presse: In den USA zieht das Staatsober­haupt in seinen Reden und Tweets regelmäßig über die Medien her.

Donald Trump hat die Maßstäbe verschoben, so abschätzig ging noch kein US-Präsident mit dem Journalism­us um. Aber mit seinem Missfallen steht er nicht allein. Politiker machen auch in Deutschlan­d gerne die Medien verantwort­lich, wenn etwas nicht gut für sie läuft. Es ist so schön einfach. Nur: Wer als Träger politische­r Verantwort­ung Journalist­en beschimpft, unterminie­rt das demokratis­che System, dem er Amt oder Mandat verdankt. „Don’t kill the messenger“heißt eine Redensart, die Journalist­en dann einfällt – nicht der Überbringe­r schlechter Nachrichte­n soll haften, sondern der Urheber.

Pressefrei­heit ist jetzt

noch wichtiger.

Der Diskurs entscheide­t

über Leben und Tod

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