Rheinische Post Krefeld Kempen
Handlanger des Teufels
In der vorletzten Folge mit Maria Simon bekommen es die Ermittler in Frankfurt an der Oder mit religiösem Fanatismus zu tun – auf vielen Ebenen.
FRANKFURT Maria Simon hat eine mutige Entscheidung getroffen, findet Lukas Gregorowicz. Noch ermitteln beide zusammen im „Polizeiruf“aus der polnisch-deutschen Grenzregion, aber eben„noch“: Diesen Sonntag zeigt das Erste „Heilig sollt ihr sein“, dann gibt es noch einen weiteren Fall mit Simon, und dann ist Schluss für das Duo, das rund um Frankfurt an der Oder im Einsatz ist. Wie es weitergeht? Weiß sie noch nicht. Was sie treibt? „Ich möchte meine Gabe in einen anderen Dienst stellen. Menschen brauchen Werkzeuge, wie wir das schaffen, wieder zu uns zu finden, Dinge zu überwinden, auszuhalten. Da will ich mich gern dran beteiligen“, sagt die Schauspielerin.
Dass Simon geht, ist schade. Warum, zeigt sie auch in der aktuellen Folge: Ihre Olga Lenski ist rational, pragmatisch, sachlich, dabei aber nie kalt. Man sieht, dass sie ein Herz hat. In „Heilig sollt ihr sein“schüttelt es die Ermittlerin, die eine kleine Tochter hat, mehrfach sichtlich durch. Es geht um eine 16-Jährige (Paraschiva Dragus), die ungewollt schwanger wird, sich das Leben nehmen will und von einem jungen Mann (Tom Gronau), der sich nach der Bibelfigur Elias nennt, davon abgehalten wird. Weil es geheißen hatte, das Baby hätte Trisomie 18, möchte sie es in einer deutschen Klinik in der 20. Woche abtreiben lassen – doch wieder taucht Elias auf. Polnische Ärzte wollten den Abbruch nicht vornehmen, die Medien dort schreiben von „Handlangern des Teufels“. Dazu muss man wissen: Polen hat eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa.
Elias, der im echten Leben Jonas heißt, schleicht sich zu Larissa in den OP, kurz bevor die Abtreibung passieren soll. Er sieht sich quasi als Abgesandter Gottes und fühlt sich dazu berufen, das Leben des ungeborenen Kindes zu retten – und es ihr aus dem Bauch zu schneiden. Als Olga Lenski und Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) eintreffen, schwebt die junge Frau in Lebensgefahr. Das Kind ist entgegen der ärztlichen Prognosen nicht behindert, hat die brachiale Art, auf die Welt zu kommen, überlebt. Dies ist nur eins von vielen Rätseln – oder Wundern – in dieser Folge: Laut Gerichtsmedizin ist die 16 Jahre alte Larissa Jungfrau.
Die beiden Ermittler bekommen es in dieser vorletzten Folge mit einem fanatischen jungen Mann aus einer kaputten und überkatholischen Familie zu tun, mit einer zweiten Familie, die zerbricht, nachdem ihr Kind in Folge der Gewalttat stirbt, mit extremen, harten Formen von Religiosität und Glaube und derVorstellung von einem strafenden Gott. Raczek spürt die Religiosität auch am eigenen Leib: Seine tief gläubige Mutter (Malgorzata Zajaczkowska), die er fünf Jahre lang nicht gesehen und kaum gesprochen hat, taucht überraschend wieder auf, erklärt, sie habe Darmkrebs und wolle sich aber nicht behandeln lassen, weil sie die Krankheit als Strafe Gottes betrachtet. „Gott straft mich für meine Härte“, sagt die Mutter, „Krebs hat mit Gott nichts zu tun“, antwortet der Sohn. Raczek hat Angst um sie, ist gleichzeitig wütend, beim Fall nicht bei der Sache und fahrig; mehrfach versucht Lenski herauszubekommen, was er hat, mehrfach weist sie ihn zurecht.
„Ich habe mich noch nie so zu Hause gefühlt wie in dieser Folge“, sagte Lucas Gregorowicz jüngst in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr lebte er in Polen, fühlte sich geborgen zwischen den kirchlichen Ritualen und dem katholischen Pomp.„Es gab gewisse Muster von Bewusstsein, von Schuld, und es hat lange gedauert, bis ich das sortieren konnte.“
„Heilig sollt ihr sein“ist harter, düsterer Tobak, macht fassungslos, betroffen und auch immer wieder wütend. Die Folge ist aber auch rätselhaft: Aufgeklärt wird längst nicht alles, was angerissen wird. Schon weil es Maria Simons vorletzter Fall ist, lohnt es sich, ihn anzuschauen.
„Polizeiruf 110: Heilig sollt ihr sein“, Das Erste, 20.15 Uhr