Rheinische Post Krefeld Kempen
Videoqualität senken ist keine Digitalstrategie
uf die deutsche Behäbigkeit war bislang Verlass. In Zeiten von Wohlstand und Rekordbe
konnten wir es uns leisten, die großen Fragen auszuklammern und in vielen Bereichen um uns selbst zu kreisen. Die Moderatorin Sandra Maischberger hat zuletzt auf den Punkt gebracht, warum das Mega-Thema Digitalisierung etwa in politischen Talkshows praktisch keine Rolle spielt: „Es ist ein Thema, das unheimlich viele Bereiche umfasst, über die man entweder schon vorher enorm viel wissen oder Erläuterungen anhören muss. Beides sind keine guten Voraussetzungen für verbale Kontroversen.“
Unabhängig von der Frage, ob man die Kontroverse (die ja oft ohne Erkenntnisgewinn bleibt) dem konstruktiven Diskurs vorziehen sollte, zeigt die Aussage eine falsche Grundhaltung: Die Digitalisierung ist ein Thema für Fachleute, mit dem man die Öffentlichkeit lieber möglichst wenig belasten sollte – egal ob in Talkshows, Unis oder Schulen.
Während Supermächte wie die USA und China die Regeln von Morgen definieren, verharrte Deutschland (und auch Europa) viel zu lange im digitalpolitischen Winterschlaf. Inzwischen ist man aufgewacht, wie einige Bemühungen der vergangenen Jahre demonstrieren, aber noch immer passiert zu wenig und dauert vieles zu lange. Dabei ist der Ausbau schneller Internetleitungen nur die Minimalanforderung für die kommenden Jahrzehnte. Europa muss dafür sorgen, dass die Netze stabiler und besser werden – und Deutschland sollte vorangehen. Das Coronavirus hat die eigene Verletzlichkeit aufgezeigt. Bislang reichte es, dieVideoqualität von Streamingdiensten wie Netflix zu verringern, um Überlastungen vorzubeugen.Wenn in Zukunft aber immer mehr ins Internet verlagert wird, inklusive medizinischer Leistungen, reicht das nicht mehr. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur muss schneller werden. BERICHT