Rheinische Post Krefeld Kempen
Wie Corona das Bargeld zurückdrängt
In der Krise hat sich das Bezahlverhalten der Deutschen deutlich verändert. EC- und Kreditkarten kommen häufiger zum Einsatz.
Seit jeher waren die Deutschen ein Volk der Barzahler. Und sind es immer noch, wenn man die Zahlen von 2018 aus dem deutschen Einzelhandel als Maßstab nimmt. Da gilt offenbar noch immer: Nur Bares ist Wahres.
Zwar ist da in den Ladenlokalen erstmals mehr mit Plastikgeld umgesetzt worden als mit Scheinen und Münzen, doch nimmt man die Anzahl der Zahlungsvorgänge als Maßstab, schlägt das Pendel noch immer klar zugunsten des Bargelds aus. Drei von vier Einkäufen werden mit Münzen und Scheinen bezahlt. Die Umsatzzahlen laut Handelsinstitut EHI: 209 Milliarden Euro mit Karte (plus 12,4 Milliarden), was einen Umsatzanteil von 48,6 Prozent bedeutet; 208 Milliarden Euro mit Bargeld (Anteil: 48,3 Prozent): Die restlichen 3,1 Prozent verteilten sich auf Rechnungen, Finanzkäufe und Gutscheine.
Das sind Zahlen für 2018. Sie werden sich im vergangenen Jahr noch einmal ein bisschen verändert haben. Den großen Wandel im Zahlungsverhalten der Deutschen könnte es indes in diesem Jahr geben, und das liegt an der Corona-Krise.
Nicht, dass der Trend zum bargeldlosen Zahlen erst durch das Virus ausgelöst worden wäre. Aber es drängt das Bargeld schneller zurück, als es in Normalzeiten der Fall gewesen wäre. „Eine Entwicklung, die mehrere Jahre dauern sollte, wird durch die Corona-Pandemie nun auf wenige Monate kondensiert“, hat jüngst Gökhan Öztürk gesagt, Zahlungsverkehrsexperte beim Beratungsunternehmen Oliver Wyman. Das schätzt den Umsatzanteil der Bargeldzahler für 2020 nur noch auf 32 Prozent.
Die Pandemie hat das Hygienebewusstsein vieler Menschen nachhaltig verändert, vom intensiven Händewaschen über das regelmäßige Desinfizieren des eigenen Arbeitsplatzes bis hin zu der Furcht, dass das Virus über Geldscheine und Münzen übertragen werden könnte.Wissenschaftler weisen zwar darauf hin, dass es beim Zahlen mit Bargeld keine erhöhte Infektionsgefahr gebe. Dennoch gilt im Einzelhandel inzwischen vielerorts das Motto: Lieber mit Karte und bestenfalls Eingabe der Pin zahlen als im Supermarkt aus der Kasse das ganze Kleingeld zurückbekommen, von dem ich ja nicht weiß, wer es schon alles in seiner Hand hatte und ob da nicht möglicherweise doch ein Corona-Infizierter dabei war.
Und auch viele Händler schwenken um – und weisen explizit darauf hin, dass man bevorzugt mit Karte zahlen solle. In vielen Bäckereien ist dies inzwischen sogar erstmals möglich, nachdem gerade sie in den vergangenen Jahren aufgrund der niedrigen Rechnungsbeträge lieber Bares nahmen, als die Gebühren für die Kartenzahlung zu tragen.
Noch risikoloser ist das kontaktlose Zahlen. Nach Angaben des privaten Bankenverbandes wurden Ende des vergangenen Jahres drei von zehn Zahlungsvorgängen mit einer Girocard kontaktlos abgewickelt – Karte oder Smartphone an das Lesegerät halten, und zack, wird die Zahlung ausgelöst. Einfacher geht’s kaum, und man muss das Lesegerät nicht mal mehr berühren. Möglich ist das mittlerweile an vielen Stellen bis zu einem Einkaufswert von 50 Euro, aber nur vier- bis sechsmal, ehe man sich wieder einmal mit Pin identifizieren muss. So viel Bequemlichkeit nimmt man gern mit, egal ob Barzahlen gesundheitlich bedenklich ist oder nicht – zumal die Banken das Limit in der Corona-Krise von 25 auf 50 Euro verdoppelt haben, wodurch deutlich mehr Zahlungen kontaktlos abgewickelt werden können.
Dabei hat Bares viele Vorteile gegenüber dem Plastikgeld. Zum Beispiel den, dass man umso gläserner wird, je öfter man mit Karte zahlt. Wer mit Bargeld begleicht, bewahrt sich dagegen einen Teil der Anonymität und weitestgehenden Datenschutz. Außerdem funktioniert Haushalten deutlich besser, wenn man seinen Bestand im eigenen Portemonnaie oder in der Haushaltskasse überprüfen kann, anstatt permanent über das Smartphone oder den Computer den Kontostand abzurufen. Banken und Sparkassen verhängen keine Strafzinsen auf Bargeld, das Bare ist sicher gegen die mögliche Insolvenz eines Kreditinstituts, und aus wessen Sicht mit Bargeld zu viel Kriminelles passiert, dem sei gesagt, dass das Darknet ein wunderbarer Ort für zwielichtige Geschäftemacher und Verbrecher ist.
Aber was bringen all diese rationalen Argumente, wenn die Angst im Spiel ist? Wenn einen nicht nur selbst die Furcht beschleicht, sondern man im Supermarkt auch noch in besorgte Gesichter von Kassiererinnen schaut, die ja auch nicht wissen, ob der zahlende Kunde nicht längst infiziert ist? Ob man Empfehlungen der Geldhäuser als Maßstab nimmt, sei jedem selbst überlassen. Denn Banken und Sparkassen verdienen bei bestimmten Kontomodellen über Gebühren für Bargeldlos-Zahlungen ja mit. Sie beteuern stets, dass Hinweise auf unbares Zahlen der Sorge um die Kunden geschuldet seien, aber dass sie daran verdienen, wird ihnen auch nicht unrecht sein.
Corona fällt zudem in eine Zeit, in der jene, die schon als Kind den Umgang mit Computer und Handy gelernt haben, längst erwachsen geworden und regelmäßige Teilnehmer am Zahlungsverkehr sind. Von ihnen zahlen viele längst nicht mal mehr mit Karte und Geheimzahl, sondern mit Kreditkarte, per Paypal oder über Google Pay und Apple Pay, die beide auf Basis von Kreditkarten funktionieren. Nicht nur im Supermarkt, sondern auch im Restaurant, beim Metzger, beim Bäcker. Online-Konten sind vielfach der Normalfall, Kreditverträge per App nicht selten. Schon seit Jahren wird der Niedergang der Innenstädte beklagt, der durch den schier unaufhaltsamen Trend zum Online-Shopping ausgelöst wurde. Natürlich hat sich dieser Trend in der Krise noch verstärkt, und die unmittelbare Konsequenz aus dem Online-Kauf ist oft das Online-Bezahlen. Das Rad wird ohnehin niemand mehr zurückdrehen. Und es würde sich noch schneller drehen, wenn das Virus in schlimmerem Ausmaß zurückkehrte und wieder stärker Begleiter unseres Alltags wäre, als es in Zeiten der Lockerung zu sein scheint.