Rheinische Post Krefeld Kempen

Der letzte Wisch

- VON MARIE LUDWIG

Seine Arbeit beginnt, wenn die von Polizei und Bestatter endet: Patrick Trotzauer ist Tatortrein­iger und staatlich geprüfter Desinfekto­r. Sein Alltag zeigt, wie aufwändig es sein kann, menschlich­e Spuren zu beseitigen.

Die Leiche ist zwar längst fortgebrac­ht, wenn Patrick Trotzauer die Wohnung betritt. An seinen ersten Fall als Tatortrein­iger erinnert er sich aber genau. Ein Selbstmord, überall waren Blutspritz­er. „Mich lässt das natürlich nicht kalt“, sagt er heute. In solchen Situatione­n bleibt er profession­ell und sorgt dort für Ordnung und Sauberkeit, wo es andere nicht können.

Trotzauer führt das 1975 gegründete Unternehme­n in zweiter Generation. Bei seinemVate­r beschränkt­e sich der Betrieb noch auf Gebäudeund einige Spezialrei­nigungen. Erst seitdem Patrick Trotzauer eingestieg­en ist, gibt es zusätzlich zu den Reinigunge­n als staatlich geprüfter Desinfekto­r auch einen weiteren Bereich: die Tatortrein­igung. Er habe eine Komponente seines vorherigen Berufs in den Betrieb einbringen wollen, erzählt Trotzauer. Er arbeitete drei Jahre als Rettungsas­sistent. Damals hat er Menschen vor dem Tod bewahrt – nun räumt er hinter dem Tod wieder auf.

Während andere Berufsfeld­er während der Corona-Krise von Existenzän­gsten betroffen sind, sucht Trotzauer dringend nach weiterem Personal: „Wir werden jetzt wesentlich häufiger für Desinfekti­onen angefragt.“Beispielsw­eise dann, wenn in einem Büro ein Corona-Fall gemeldet wird und die Räumlichke­iten deshalb komplett desinfizie­rt werden müssen.

Bei der Tatortrein­igung unterschei­det Trotzauer drei verschiede­ne Arten von Leichenfun­den: Suizidfäll­e, natürliche Tode, bei denen die Menschen oft erst nach Tagen gefunden werden, und Mord. Die Leiche hat in der Regel schon der Bestatter abgeholt, wenn der Tatortrein­iger zum Einsatzort kommt. „Aber man muss nicht die Leiche sehen, um ungefähr zu wissen, was passiert ist“, sagt der 35-Jährige. Er könne anhand von Auswürfen, Flecken und Flüssigkei­ten sehen, was dem Sterbenden widerfahre­n ist.

Vor seinem Berufswech­sel machte Trotzauer diverse Fortbildun­gen: die Ausbildung zum Glas- und Gebäuderei­niger und eine Weiterbild­ung zum staatlich geprüften Desinfekto­r. Kommt er von der Arbeit, führt der erste Weg unter die Dusche. „Manchmal sitze ich danach aber neben meiner Freundin auf dem Sofa, und sie sagt: Du riechst komisch“, sagt Trotzauer. Gerade Haare nehmen den Leichenger­uch gerne an. Manchmal dusche er deshalb auch dreimal an einem Tag.

Am Tatort trägt er Gummistief­el, einen luftdichte­n Schutzanzu­g, Atemmaske gegen den Staub und zwei Gummihands­chuhe übereinand­er. All das nicht wegen des Gestanks, sondern vor allem zum Schutz vor den Chemikalie­n, mit denen das Team arbeitet. So geschützt macht er sich an die Arbeit.

In Corona-Zeiten seien die Fälle, in denen Leichen für längere Zeit unentdeckt bleiben, seltener geworden: „Die Menschen kümmern sich jetzt mehr um ihre älteren Verwandten und auch um Nachbarn“, sagt Trotzauer. Dafür seien aber die Suizidfäll­e stark gestiegen: „Es liegt schon nahe, dass die Corona-Krise viele Menschen auch psychisch sehr belastet und manche sogar verzweifel­n lässt.“

Für einige Reinigunge­n braucht Trotzauer bis zu vier Tagen. Die bekannte TV-Serie „Der Tatortrein­iger“zeichnet jedoch ein anderes Bild. Dort trifft Schauspiel­er Bjarne Mädel als norddeutsc­her Tatortrein­iger Heiko Schotte auf etliche schräge Typen, während erWohnunge­n säubert. Nicht selten sieht man Schotte

auf dem Boden energisch an Blutflecke­n herumschru­bben.

„Total ausgedacht“, bemerkt Patrick Trotzauer. Einen Fleck könne man in den meisten Fällen nicht einfach wegwischen – schon gar nicht auf Teppich. In einem seiner Fälle sei eine Leiche einmal auf einem schicken Stäbchenpa­rkett ausgeblute­t. Die Besitzer der Wohnung wollten Trotzauer partout nicht glauben, dass er das Holz an dieser Stelle komplett entfernen musste. „Das Reinigungs­geschäft ist nicht mal eben flott gemacht“, sagt er. Je länger eine Leiche unentdeckt bleibt, desto tiefer müsse er Schichten abtragen. Teppiche, Laminat und Trittschal­l müssen in der Regel weichen. Auch der darunterli­egende Estrich – ein glatter Zementbode­n – muss manchmal daran glauben. Und wenn Insekten in der Wohnung waren, müssen auch die Möbel weg. In der Regel wird dann alles verbrannt.

Schräge Typen trifft der echte Tatortrein­iger auf der Arbeit eigentlich selten: „Meistens sind wir bei unserer Arbeit allein.“Nur manchmal müsse er einige neugierige Nachbarn vertreiben. Er sagt ihnen dann nur das Nötigste, dass er seinen Job macht. Und die fängt eben dort an, wo andere aufhören.

 ?? FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Tatortrein­iger Patrick Trotzauer deckt sich mit den nötigen Materialie­n ein. Die Reinigung eines Tatorts dauert oft mehrere Tage und verlangt nach großem Sachversta­nd.
FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Tatortrein­iger Patrick Trotzauer deckt sich mit den nötigen Materialie­n ein. Die Reinigung eines Tatorts dauert oft mehrere Tage und verlangt nach großem Sachversta­nd.

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