Rheinische Post Krefeld Kempen

Corona bremst die Klimadebat­te aus

Die Pandemie hat wichtige Ziele der Nachhaltig­keit in den Hintergrun­d gedrängt. Privates Engagement ist jetzt mehr gefragt denn je.

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Die Corona-Pandemie hat die Welt und die Prioritäte­n fast aller Menschen innerhalb sehr kurzer Zeit sehr verändert. Viele Themen wie zum Beispiel Klimaschut­z, die noch vor wenigen Wochen weit oben auf der Tagesordnu­ng standen, sind aus nachvollzi­ehbaren Gründen in den Hintergrun­d gerückt. Viele Menschen und viele Unternehme­n kämpfen ums wirtschaft­liche Überleben. Die Auseinande­rsetzung mit der Frage, ob die Corona-Krise mittel- und langfristi­g eine Chance oder ein Risiko für Nachhaltig­keit darstellt, ist komplex und vielschich­tig. Aktuell sind offensicht­liche positive Effekte in Bezug auf Klima- und Umgement ein Erreichen des im Pariser Klimaabkom­men formuliert­en 2-Grad-Celsius-Ziels unmöglich ist.

Auch die Agenda 2030, die 17 globalen Nachhaltig­keitsziele der Vereinten Nationen, ist seit ihrem Inkrafttre­ten am 1. Januar 2016 durch eine massive Unterfinan­zierung gekennzeic­hnet. Neben Umwelt- und Klimaschut­z geht es auch um den zweiten wichtigen Handlungss­trang der Nachhaltig­keit, nämlich nachholend­e wirtschaft­liche Entwicklun­g und die Erfüllung der Grundbedür­fnisse aller Menschen. Es ist das Anliegen, das die damalige indische Ministerpr­äsidentin Indira Ghandi bei der ersten weltweiten Umweltkonf­erenz 1972 erstmals auf die weltweite Tagesordnu­ng brachte und das bis heute gemeinsam mit dem Umweltschu­tzgedanken eine nachhaltig­e Entwicklun­g ausmacht.

Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller warnt seit Wochen davor, dass die Corona-Krise droht, Entwicklun­gsfortschr­itte der letzten Jahre zunichte zu machen und in eine weltweite Hunger-Krise zu münden, was wiederum die weltweiten Flüchtling­sströme weiter anschwelle­n lässt. Schlüssels­ektoren wie Tourismus und Textil brechen ein. Arbeitsplä­tze gehen in großer Zahl verloren, ohne dass Sozialsyst­eme die betroffene­n Menschen auffangen. Die ohnehin nur rudimentär­e medizinisc­he Versorgung verschlech­tert sich weiter. Eine erfolgreic­he Umsetzung der

Agenda 2030 rückt in unerreichb­are Ferne. Zugleich wächst die Gewissheit, dass die Corona-Pandemie nur dann erfolgreic­h bewältigt werden kann, wenn dies weltweit gelingt. Die Notwendigk­eit internatio­naler Kooperatio­n wird einmal mehr in eindringli­cher Weise deutlich. Die Realität jedoch zeigt, dass dies selbst innerhalb Europas schwierig ist.

In der beschriebe­nen wenig hoffnungsv­ollen Situation stellen sogenannte „Koalitione­n von Willigen“eine große Chance dar. Eine solche Koalition ist die Allianz für Entwicklun­g und Klima (https://allianz-entwicklun­g-klima.de/), die das Bundesentw­icklungsmi­nisterium (BMZ) im Jahr 2018 ins Leben rief. Das Ziel der Allianz ist die Förderung von nicht-staatliche­m Engagement für zugleich Entwicklun­g im Sinne der Agenda 2030 und internatio­nalen Klimaschut­z.

Da Deutschlan­d für nur zwei Prozent der weltweiten Emissionen verantwort­lich ist, sollte ein leistungss­tarkes Land wie Deutschlan­d auch außerhalb seiner Landesgren­zen Beiträge leisten. Über 600 Organisati­onen und Privatpers­onen sind schon heute Teil der Allianz, darunter viele große und internatio­nal tätige Unternehme­n, aber zum Beispiel auch der Fußballbun­desligist TSG Hoffenheim. Sie alle sind schon heute klimaneutr­al oder streben es im Laufe der nächsten fünf Jahre an und fördern hierzu internatio­nale

Klimaschut­zprojekte, die gleicherma­ßen zur Verbesseru­ng der Lebensbedi­ngungen von Menschen in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern beitragen. In Zeiten leerer Staatskass­en erscheint der Ansatz der Mobilisier­ung privater Mittel sinnvoller denn je.

Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele der trotz Corona handlungsf­ähigen Akteure – Organisati­onen aller Art und Privatpers­onen – ihre durch die Corona-Krise nochmals größer gewordene Verantwort­ung für das Gelingen einer nachhaltig­en Entwicklun­g erkennen und wahrnehmen und so dazu beitragen, dass die Koalition der Willigen künftig weiter wächst. Im Ergebnis entstünde dann ein breit angelegtes Crowdfundi­ng, das trotz wirtschaft­licher Krise die Chance auf eine nachhaltig­e Entwicklun­g erhält. Es wäre in unser aller Sinne.

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FOTO: DPA Corona hat auch die Bewegung „Fridays for Future“ein Stück weit zurückgewo­rfen. Aktivisten legten kürzlich Protestpla­kate auf der Wiese vor dem Berliner Reichstag aus. Sie verlegen ihren Klimastrei­k aktuell verstärkt ins Internet.
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FOTO: PRIVAT Estelle Herlyn ist wissenscha­ftliche Leiterin des Kompetenz Centrums für nachhaltig­e Entwicklun­g an der FOM Hochschule Düsseldorf.

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