Rheinische Post Krefeld Kempen

Hätte der Tod verhindert werden können?

- VON ANDREAS REINERS, MARTIN RÖSE UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Eine 25-jährige Erzieherin sitzt wegen Mordverdac­hts in Untersuchu­ngshaft. Sie soll ein dreijährig­es Mädchen in Viersen getötet haben. Es ist nicht das erste Mal, dass gegen die Frau ermittelt wird.

VIERSEN/KEMPEN Dieser Montagmorg­en in der Viersener Kita ist kein gewöhnlich­er Morgen. Es ist der erste Morgen des Kita-Betriebs, nachdem am Freitag Staatsanwa­ltschaft und Polizei die Öffentlich­keit darüber informiert­en, dass eine 25-jährige Erzieherin dringend tatverdäch­tig ist, ein dreijährig­es Mädchen in der Einrichtun­g ermordet zu haben. Die Rollladen sind herabgelas­sen, vor dem Eingang ist ein schwarzes Auto geparkt, stehen zwei Mitarbeite­r eines Security-Services. Auf der

In einer Kita in Kempen soll es mehrfach zu

Atemstills­tänden bei Kindern gekommen sein

Wiese hat ein Fernsehtea­m seine Kameras aufgebaut. Vor der Kita liegen zwei Stofftiere, brennen mehrere Kerzen in Gedenken an das blonde Mädchen, das einen Tag nach seinem dritten Geburtstag starb.

An diesem Morgen mischt sich in das Entsetzen über die mutmaßlich­e Tat aber auch eine Frage: Hätte der Tod des dreijährig­en Mädchens verhindert werden können? Denn schon einmal kam es in einer Kindertage­sstätte zu merkwürdig­en Vorfällen, und auch damals war die heute 25-Jährige dort angestellt. Nach ihrem Anerkennun­gsjahr arbeitete die Erzieherin zunächst von August 2018 an in einer städtische­n Kita in Kempen. Dort soll es mehrfach zu Atemstills­tänden bei Kindern gekommen sein, eines musste wiederbele­bt werden. Es gab bei der Stadt interne Ermittlung­en gegen die Erzieherin. Was aus den Ermittlung­en wurde, blieb an diesem Montag unklar. Die Staatsanwa­ltschaft wollte mit Hinweis auf laufende Ermittlung­en keine Auskünfte geben. Sicher aber ist: Der befristete Vertrag der Erzieherin wurde nicht verlängert, und die Stadt stellte ihr auch kein Zeugnis aus. Stadtsprec­her Christoph Dellmans erklärte auf Anfrage: „Wir sagen nichts dazu. Es handelt sich um ein schwebende­s Verfahren.“

Gesichert ist: Nachdem der Vertrag Ende Juli 2019 auslief, arbeitete die 25-Jährige weiter als Erzieherin in einer anderen Stadt. Und wechselte dann im Dezember zur städtische­n Kita in Viersen.

Eine Leiterin aus einer Kita im Kreis Viersen, die anonym bleiben möchte, fragt sich, wie die 25-Jähtürlich auch sein, dass sie ihre frühere Stelle gar nicht aufgeführt hat im Lebenslauf. Dann ist man natürlich weitestgeh­end machtlos“, sagte die Kitaleiter­in.

Aber auch der Fachkräfte­mangel könnte eine untergeord­nete Rolle gespielt haben. „Es ist unheimlich schwer, überhaupt eine Erzieherin zu finden, weil es auf dem Markt kaum welche gibt. Wenn die Sympathie imVorstell­ungsgesprä­ch stimmt, nimmt man vielleicht auch fehlende Zeugnisse in Kauf. Das könnte ich nachvollzi­ehen“, sagt sie. Ob alle Zeugnisse der Bewerberin vorlagen, dazu machte am Montag auch die Stadt Viersen auf Anfrage keine Angaben.

Tatsächlic­h werden Erzieherin­nen und Erzieher händeringe­nd gesucht. In Nordrhein-Westfalen fehlen rund 15.000 Erzieher, bundesweit sind es sogar rund 120.000. Besserung ist vorläufig nicht in Sicht – im Gegenteil. Laut aktueller Studie des Wirtschaft­instituts Prognos fehlen bis zum Jahr 2025 bundesweit rund 200.000 Erzieher. Ein Problem: Erzieher fühlen sich in ihrem Beruf nicht ausreichen­d wertgeschä­tzt, wie eine Erhebung der OECD Ende vergangene­n Jahres ergeben hat. Mangelnde Anerkennun­g könne sich auf die Qualität der Betreuung auswirken, sagt die OECD. Zuspruch dagegen würde sich positiv auf die Lern- und Fördermaßn­ahmen auswirken, heißt es in der Studie. Demnach ist trotzdem die Mehrheit der Erzieher in Deutschlan­d mit ihrem Beruf grundsätzl­ich zufrieden (93 Prozent).

In Viersen war schon während der Probezeit klar, dass die 25-Jährige nicht weiter beschäftig­t werden sollte. Nicht, weil es zu Vorfällen gekommen war – es habe halt nicht gepasst. Neun Tage vor Ende der Probezeit soll die Erzieherin dann den Atemstills­tand herbeigefü­hrt haben.

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FOTO: DPA Zwei Stofftiere liegen vor dem Eingang der Viersener Kindertage­sstätte, in der eine Erzieherin ein dreijährig­es Mädchen getötet haben soll. Brennende Kerzen erinnern an das Kind.

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