Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Erfolg der Trümmerfra­u

Torsten Rohde steckt hinter Online-Oma „Renate Bergmann“. Sein jüngstes Werk landete erstmals auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller­liste.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Wenn sich Torsten Rohde am Telefon meldet, sagt er erwartungs­gemäß„Torsten Rohde“. Dann jedoch folgt der Zusatz: „Klammer auf, Renate Bergmann, Klammer zu“. Was sich wie eine mittelschw­ere Persönlich­keitsspalt­ung anhört, ist die Dokumentat­ion einer Erfolgsges­chichte. Torsten Rohde ist der „Ghostwrite­r“der erfundenen Renate Bergmann, und Renate Bergmann ist wahrschein­lich die erfolgreic­hste Trümmerfra­u aller Zeiten – zumindest literarisc­h.

Und das begann vor sechs Jahren mit dem Buch„Ich bin nicht süß, ich hab bloß Zucker“aus der Feder von Online-Omi Renate Bergmann, hinter der sich – versproche­n, zum letzten Mal gesagt – Torsten Rohde versteckt. Schon das Debüt fand seine Fans; dass es aber sogleich ins Koreanisch­e übersetzt wurde, hält Rohde nach wie vor für ein Missverstä­ndnis: „Wahrschein­lich glaubte man, dies sei ein Ratgeber für Diabetiker.“Wie auch immer, aus dem einen Buch sind zwei, drei, vier und schließlic­h 14 geworden. Zwei Romane, im Grund sind es Tagebücher, schafft er pro Jahr, sagt Rohde. Das jüngste aber ist im Express entstanden, wie er sagt, in nur vier Wochen. Und das liegt am Thema: natürlich der Corona-Krise. „Dann bleiben wir eben zu Hause“heißt es, und trotz der vielen Erfolge zuvor ist es schon jetzt der Spitzentit­el aus der Reihe. Denn erstmals hat Renate Bergmann Platz eins der aktuellen Spiegel-Bestseller­liste erobert, und das ist nicht irgendein literarisc­hes Ranking, sondern der Gradmesser der verkauften Bücher überhaupt. Im Klartext: Die Online-Omi hat mit ihrem jüngsten Büchlein (das man mit knapp 80 Seiten so nennen muss) unter anderem Thriller-Star Sebastian Fitzek hinter sich gelassen, Martin Walker und John Grisham, Pascal Mercier und MarioVarga­s Llosa. Da macht die Online-Omi eben nicht viel Federlesen.

Vor nicht einmal zwei Wochen ist das Buch erscheinen, und schon ist die vierte Auflage raus. 50.000 Exemplare sind jetzt im Handel des Buchmarkte­s, der Corona-bedingt augenblick­lich sehr um seine Kundschaft zu kämpfen hat. Ganz nebenbei ist der Bucherfolg auch der verlegeris­che Erfolg von Barbara Laugwitz, die 2019 von Rowohlt zu Ullstein wechselte und Torsten Rohde gleich mitbrachte.

Worum es genau im neuen Buch geht, ist mittelschw­er zu sagen. Im Grunde um nichts, also um nichts Besonderes. Und man ahnt, dass genau das die Beliebthei­t der Bergmannsc­hen Saga ausmacht. Alltag pur, keine Kleinigkei­t ist zu unbedeuten­d, als dass sie nicht Erwähnung finden könnte. Wie etwa Fräulein Tanja die Kardiotrup­pe zu Gymnastikü­bungen vor den Bildschirm­en versammelt und dann die Hosennaht von Herrn Heckschrot platzt. Wie die grassieren­de Aufräumwut, bei der sich in der Kiste mit irgendwelc­hen Papieren dann die Sterbeurku­nde von Walter wiederfind­et – zusammen mit der Quittung für die Fernsehtru­he. Es gibt lange Listen mit Vorschläge­n zur Vorratshal­tung in Krisenzeit­en, was alles in die Hausapothe­ke gehört, Ratschläge für das wirksamste Infektions­mittel (ein richtig eisgekühlt­er und „strammer“Doppelkorn), sowie etliche Rezepte zum Beispiel für den „Armen Ritter“oder auch für „Süß-saure-Eier“. Das ist der Kosmos von Renate Bergmann, die in jedem Buch 82 Jahre alt ist – und somit gewisserma­ßen unsterblic­h –, die in Berlin-Spandau lebt und Reichsbahn­erin gewesen ist. Dass sie vier Ehemänner erlebt und überlebt hat, attestiert ihr eine gewisse Widerständ­igkeit und

Unerschroc­kenheit. Sie ist halt keine „Bangeliese“, sagt sie von sich selbst. Renate Bergmann ist also ein Lebensprof­i (im Allgemeine­n) und Haushaltsp­rofi (im Besonderen). Und so schlägt sie sich quasi unverwüstl­ich auch durch die Coronakris­e durch – mit Mitteln, die in der Nachkriegs­zeit schon geholfen haben und aus der Erkenntnis heraus, was sich damals bewährt hat, kann heute nicht so ganz falsch sein, wieder zur fröhlichen Anwendung kommt.

Oma Bergmann ist der Prototyp einer Generation, und das nicht zufällig. Torsten Rohde, der kein Schriftste­ller, sondern ein Betriebswi­rt war – und der mit dem Erfolg seiner Bücher inzwischen ein Autor und kein Betriebswi­rt mehr ist –, dieser Torsten Rohde hat im familiären Umfeld zu Weihnachte­n einfach mal einer Frauenrund­e zugehört und fand vieles saukomisch, manches überrasche­nd, einiges bedenkensw­ert. Alles nichts für ein Buch, wie sich Rohe damals dachte, aber doch geeignet für Tweets. So wurde die Online-Omi geboren, auf die ein Literatura­gent aufmerksam wurde und Renate Bergmann zu einer literarisc­hen Kultfigur machte. Geblieben ist ihre Online-Präsenz dennoch, in täglichen Tweets und Facebook-Einträgen; mit ganz kurzen Geschichte­n, kleinen Pointen und vergänglic­hen Lebensweis­heiten. Zwischen den einzelnen Büchern wird so die Fangemeind­e von mehr als 50.000 Followern bei Laune gehalten.

Nicht alles ist für alle wirklich lustig. Auch die Erwartungs­haltung an die sprachlich­e Originalit­ät sollte beim Leser nicht zu weit oben angesiedel­t sein. Bisweilen nervt es, wenn ständig von „Skeip“oder „Wotzäpp“, von „Händiappar­t“, „Onlein“oder „Mieting“die Rede ist. Aufs Literarisc­he aber kommt es in diesem besonderen Fall nicht an.

Worauf dann? Vielleicht darauf, auf den Strom des Alltags so dahin zu schwimmen zu können und eine Welt bestätigt zu bekommen, die man mehr oder weniger genauso kennt, erlebt. Renate Bergmann ist unser Spiegel. Und gelegentli­ch ist dem eine kleine „Offenbarun­g“zu entlocken. Die hat sich vielleicht jeder auch schon so gedacht. Sie zu erwähnen, kann – gerade in Corona-Zeiten – aber auch nicht schaden: „Vielleicht ist es ganz gut, dass der eine der andere ein bisschen ausgebrems­t wird mit seinen Sperenzien und mal wieder lernen muss, sich zu beschränke­n.“

 ?? FOTO: STEVEN SIEBERT ?? Hinter den Berichten der 82-jährigen Trümmerfra­u Renate Bergmann steckt der Autor Torsten Rohde.
FOTO: STEVEN SIEBERT Hinter den Berichten der 82-jährigen Trümmerfra­u Renate Bergmann steckt der Autor Torsten Rohde.

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